Psychoanalyse zur Überwindung
frühkindlicher Traumata

Der verborgene Teil des
Eisbergs Model S Freud

zweijährige Patientenanalyse
von Jänner 2012 bis Februar 2014

Wien, 2018

Univ. Prof. Dr. Andrawis

Danksagung

Mein Dank gilt meiner Patientin für die Möglichkeit, die sie mir gab, gemeinsam ihr Leiden im „seelischen-Ozean“ (Metapher), das die Seele beim Menschen ist sowie ein Ozean in Ihre Tiefe, durch ein therapeutisches Verfahren zu erforschen. So wie immer wieder neue oder andere Formen von Gegenseitigkeit zu erfinden. So wie immer wieder neue oder andere Formen von Gegenseitigkeit zu erfinden. Allen PatientInnen, die geduldig an der Untersuchung teilgenommen haben. Ohne sie wäre der empirische Teil nicht zustande gekommen.
Sowie allen anderen Patienten und PatientInnen, die geduldig an weiterer Untersuchung teilgenommen haben.
Ich möchte an dieser Stelle folgenden Personen herzlich danken, die an der Entstehung meiner Arbeit beteiligt waren. Dass es eine gelungene Forschungsarbeit geworden ist, verdanke ich der Motivation meiner Patientin und meiner begleitenden Experten und Supervisoren; Herzlichen Dank für die vielen anregenden Gedanken in den Supervisionsstunden, der analytische Themenauseinandersetzung und für die Betreuung dieser Arbeit:
Primarius Dr. med. M. Leodolter Fachärzte für Psychiatrie-Psychoanalyse
Dr. med. J. Ranefeld, Fachärzte für Psychiatrie-Psychoanalyse
Dr. Fischer Christoph Analytiker und Vorstand des Psychoanalytischen
Seminars Innsbruck PSI. Kooperationspartner der Sigmund Freud Universität Wien.

AKADEMIE FÜR
GANZHEITLICHE MEDIZIN
PSOMATIK & PSYCHOTHERAPIE WISS.
DR. Andrawis Andrawis
Med.pth.praxis@gmail.com www.andrawis-akdemie.com
Favoritenstraße 37/16 A- 1140 Wien

Einleitung
Im Zuge meiner Tätigkeiten als Psychoanalytiker und durch die jahrelangen Erfahrungen im therapeutischen Bereich, konnte ich immer wieder beobachten, dass PatientInnen mit einer starken Glaubenshaltung eine kürzere Behandlungsdauer hatten, Medikamente besser angenommen haben und leichter geheilt werden konnten. Die gefestigte Glaubenshaltung schien einen wesentlichen Einfluss auf den besseren Heilungsverlauf, die tiefe Hoffnung und die Zuversicht auf Heilung in den schwierigen Zeiten zu haben. Neben der Heilung zeigte sich auch eine raschere Wiedereingliederung in den Alltag, wobei die PatientInnen wieder Beziehungen gründeten, sowie ihr soziales Umfeld und ihr berufliches Umfeld wieder stärken konnten. Weiteres erlebte ich PatientInnen die aufgrund ihrer mangelnden Glaubensüberzeugung einen schwierigeren Therapieverlauf hatten, der vergleichsweise langwieriger und komplizierter war. Aus diesen Beobachtungen heraus war es mir ein großes Anliegen, diese Wirkungsweisen und Zusammenhänge theoretisch und empirisch zu untersuchen. Das Ergebnis dieser Erhebung zeigt, dass meine Vermutung richtig war und dass die Auflösung von verdrängten Traumata zu einer friedlicheren Welt und einem guten zwischenmenschlichen Zusammenleben führen.

Vorwort

Alle Menschen wünschen sich ein Leben in Fülle ohne Mängel. Doch im Verlauf des Lebens wird dieser Wunsch getrübt durch psychische Konflikte und Krankheiten. Diese Beeinträchtigungen haben Einfluss auf jede persönliche Lebensentfaltung. Bei zunehmenden pathologischen Symptomen bis hin zur Chronifizierung stellt sich die Frage aus naturwissenschaftlicher Sicht, ob dieser Prozess zur Natur des Menschen gehört, ob es sich hierbei um frühkindliche Traumata handelt oder um eine Dysfunktionalität der inneren Organismen. Weitere Ursachen für Unstimmigkeiten können mangelnde Erkenntnis, Fehler in den zwischenmenschlichen Beziehungen, verfehlte Berufung des Menschen und geringe Einsicht in den Sinn des Lebens sein. Eine Horizont – Interpretation gibt es in der Psychoneuroimmunologie PNI und in der Psychosomatischen Medizin PSM auf die Frage bei Krankheit „warum gerade ich“? Nachdem der Mensch nicht nur physisch und psychisch geformt ist, sondern auch der Geist die Seele formt, sieht die PNI und PSM die Ursache von Krankheit in inneren psychischen Konflikten, unbewussten Ängsten, negativen Prozessen in der zwischenmenschlichen Beziehung und in unerfüllten Wünschen. Die Erklärung von Krankheiten aus Sicht der naturwissenschaftlichen PNI und PSM steht im Gegensatz zur Sichtweise von Theologie und Philosophie. Äußerliche Faktoren wie radioaktive Strahlen, bakterielle-virale Infekte, genetische Disposition und karzinogene Stoffe sind mitverantwortlich für Entstehung von Krankheiten. Auf der Suche nach Erklärungen findet PSM und PNI mehr Ursachen in seelischen Konflikten, weil der Mensch ganzheitlich zu betrachten ist.

Ein Zwei Jahre Patientenanalyse
von Jänner 2012 bis Februar 2014

1 Patientenanalyse

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Analytiker in meiner eigenen Ordination in Wien Wieden wurde mir eine Patientin von der psychosozialen Ambulanz zugewiesen. Nach zehn Sitzungen im Sitzen, welche als psychoanalytische Psychotherapie vorgesehen sind, entschied sich die Patientin nach einiger Zeit für eine Analyse im Liegen. Die Frequenz war 3 bis 5 Sitzungen in der Woche, die sich über zwei Jahre und zwei Monate erstreckte. Unser erster Termin war Anfang Jänner 2012. Zum Erstgespräch kam die Patientin in Begleitung ihrer Mutter, welche im Warteraum Platz nahm. In der ersten Stunde erläuterte und vereinbarte ich die Grundregeln der Therapie, die therapeutischen Pläne bzw.
therapeutischen Ziele wurden besprochen.
Während des therapeutischen Prozessverlaufs war für mich einerseits die Herausforderung der Patientin in Ihrer Erwartungshaltung entgegenzukommen. Diese waren gekennzeichnet durch ideale Phantasien, die nicht mit der Realität kompatibel waren und meiner Pflicht nachzukommen, die Patientin mit der Realität konfrontieren zu müssen.
Während der gesamten Analyse mit der Patientin gab es immer wieder einen Widerstand gegen die Therapie. Zudem erschwerten Übertragungsphänomene und Gegenübertragung den therapeutischen Prozessverlauf. Jedoch sah ich es als eine große Motivation an, diesen Widerständen entgegen zu wirken und durch meine Wissbegierde das therapeutische Ziel der Analyse zu erreichen.
Ich bemühte mich, neutral und unabhängig zu bleiben und zielfokussiert am Stand der neusten wissenschaftlichen Methoden meine Analyse präzise und erfolgreich beenden zu können.
Durch die Analyse meiner Patientin konnte ich an Erfahrungen dazu gewinnen, mein Wissen zu erweitern und dieses auch bei meinen nächsten Patienten anzuwenden. Ich erkannte, dass die Seele so tief ist wie der Ozean selbst.
Ein Psychoanalytiker zu sein bedeutet für mich nicht nur Beruf, sondern eine Berufung. Das Leben kann ein Lernprozess für jeden Menschen sein.
Kampf und Flucht: Während der Reise des Lebens auf der Suche nach der verlorenen Urliebe und dem Urvertrauen, weiter auf der Suche nach der idealen Vater- und Mutter Figur. Wo kann man sich wieder finden, wenn die Urliebe und das Urvertrauen verletzt sind?
So wie Freud 1856-1939 beschrieb, dort wo ES war soll ICH werden. Dies kann durch Überwindung von Traumata und durch Distanzierung des Über-ICH‘s geschehen.
Die folgende Patientenanalyse beinhaltet die Themen: der Minderwertigkeitskomplex, die weibliche Identität, Sexuelle Störung.

2 Therapieverlauf

Den Therapieverlauf erlebe ich nur als ein Mitgestalter, aus der Sicht des neutralen Beobachters. Von Beginn an war die Atmosphäre gut, Dialog, Stil, Deutung und Konfrontation wurden zum Ausdruck gebracht. Der analytische Raum hatte die Gestalt eines geraden Linienverlaufes hin zum Therapieziel. Die Ergebnisse in der Deutung waren der beste Weg zum therapeutischen Ziel. Es gab kurzfristige und langfristige Therapiepläne und Therapeutischen Ziele.
„Wer sich die Mühe macht, die Psychoanalytischen Lehren zu verfolgen, kann sich selbst einen Eindruck von den charakteristischen Merkmalen dieses neuen Inhalts verschaffen. Er besteht keineswegs in einer Geringschätzung der bewussten Seelentätigkeit und ihrer Rolle für die Bewältigung der Lebens aufgeben. Im Gegenteil: es ist Aufgabe und Ziel der Psychoanalytischen Arbeit, den Wirkungskreis des bewussten Denkens zu erweitern, Lücken in ihm auszufüllen, Widerstände gegen die Zulassung von seelischen Inhalten zum Bewusstsein aufzudecken und ihre Wirkung aufzuheben. Es ist der Triumph jedes Analytikers, wenn es ihm gelingt, unbewusste Vorgänge in bewusste zu übersetzen.“ (Freud A, Grubrich-Simitis L, 2006 S, 116 Band 1)
Aus Historischer Sicht, hat die Psychoanalyse im weiteren Sinn sich entwickelt. Die Menschen die sich mit der Psychoanalyse und ihrer frühe Geschichte auseinandergesetzt haben. Waren alle beeindruckten, hinsichtlich der Wechselwirkung, zwischen Physischen und Psychischen Komponenten.
Die frühen kindlichen Traumata und deren unbewusste Verdrängungen, waren die einzigen hilflosen Mittel Kampf gegen das Leid der menschlichen Seele (Freud A, Grubrich-Simitis 2006).

International Classification psychischer Störungen ICD-10 Kapitel V. F

– Generalisierte Angst Störung F 41.1
– bipolare affektive Störung, gegenwärtig mittelgradig depressive Episode F31.3
(Dilling H, Mombour W, Schmidt M H, 2011). sehe Kapitel
Anamnese Patientin Psychoanalyse
Es ging um Biographische Anamnese Darstellung eine Patientin Analyse, die Massiven Frühe kindlichen Traumata erlitten und verdrängt wurden ist auch als, komplex beinhaltet. Das Leid die Patientin In Zusammenhang mit, weibliche Identität, Sexualität – Störung, der Minderwertigkeitskomplex, Unsicherheit Gefühlen, Materiellen- Abhängigkeit von der Mütter, Depression, und Ängste.
So wie Bürgin et al. im Jahr 2009 erwähnet wurden ist dass die Patient sieht sich selbst als hilflos, Unterordnung eigener Bedürfnisse unter die der anderen Personen, zu denen eine Abhängigkeit besteht, unverhältnismäßige Nachgiebigkeit gegenüber den Wünschen anderer. Mangelnde Bereitschaft zur Äußerung angemessener Ansprüche gegenüber Personen, zu denen eine Abhängigkeit besteht, bei den meisten Lebensentscheidungen wird an die Hilfe anderer appelliert oder die Entscheidung wird anderen überlassen. Unbehagliches Gefühl der inneren Zerstörung und Hilflosigkeit beim Alleinsein aus übertriebener Angst, nicht für sich allein sorgen zu können. Durch Ablehnung leicht verletzbar (Bürgin et al. 2009).
Angabe zu Symptomen und Intensität der Störung am Beginn der Therapie
So wie Möller et al. im Jahr 2005, Symptome diese Depression: Depressive Verstimmung, Antriebsmangel, Konzentrationsstörungen, Leidensdruck, Überforderungszustand, Zukunfts-ängste, Leistungsbeeinträchtigung und somatische Störungen: Allergien beschrieben (Möller et al. 2005).

3. Behandlungsbezogene Anamnese

Depressive Stimmung mit somatischem Syndrom sowie darüber hinaus sind psychische und soziale Faktoren von Bedeutung. Dazu gehören belastende Ereignisse im privaten und beruflichen Umfeld, Stress, Überforderung (Belastungsfaktor), Existenzängste, anhaltend bestehende depressive Stimmungslage, Niedergeschlagenheit, emotionale Instabilität, psychosomatische Störungen z.B. Allergien, Laktoseintoleranz, Nahrungsmittel-unverträglichkeiten, Anzeichen zu Hashimoto thyreoiditis. (Möller HJ, Laux D, Deister A, 2005)
Zielsetzungen der Krankenbehandlung in Bezug auf ICD-10 die Diagnose
Verbesserung der sozialen Kompetenz, Strukturierung des Umfeldes. Bewusstmachung und Wiedererleben des Unbewussten ursprünglichen Konflikts im Rahmen eines Übertragungsprozesses, eine „Nachreifung“ des Ichs über die Entwicklung um diesmal optimale Konfliktlösungen zu erreichen. Aufbau eines tragfesten psychischen Zustands, tragfähige stabile Partnerbeziehung, in weiterer Folge: Wiedererlangung der sozialen Fertigkeiten, Aufbau von Selbsthilfekompetenz durch Reflexion der Ereignisse, inkl. Selbstwertförderung, unbewusste Verdrängungen der Kindheit mit Rekonstruierung verstehen, bewusst darstellen und im Alltag integrieren. Für Gesundheit, lebenswichtige persönliche Bedürfnisse sorgen. Wichtig ist, die gelungene Unabhängigkeit der Patientin. (Kernberg O F, 1998)
Die Therapie dauerte von Jänner 2012 bis Februar 2014, insgesamt zwei Jahre und zwei Monate, in einem Intervall von 2–4 Mal pro Woche. Durch die gelungene Zusammenarbeit konnte die Patientin Freude und Lebensqualität gewinnen.
Dieses psychoanalytische Verfahren kam zustande, weil die Patienten begeistert von ihren neuen Erkenntnissen über sich selbst und über die Psychoanalyse, diese Erfolge mit anderen Menschen teilen wollte und dies auch eifrig während der Zeit unserer Therapie ihren Freunden, ihrer Familie und nahen Bekannten mitteilte.
Ziel dieses Manuskriptes ist es jeden Menschen anzusprechen, der an einer Psychoanalyse interessiert ist, sich weiterbilden oder sich selbst einfach besser kennenlernen und verstehen möchte. Jedem Menschen, der sich die Frage stellt, wieso zwischenmenschliche Konflikte passieren und er immer wieder Beziehungsprobleme oder Beziehungsunfähigkeit erlebt, wird hier eine Hilfestellung erfahren.
Die Patientenanalyse gibt einen Einblick in die Problematik der Patientin, kann jedoch auch für andere Menschen sehr nützlich und profitabel sein. Viele werden sich angesprochen fühlen und sich mit der Analysandin in einigen Dingen identifizieren.
Das Eisbergmodell bezieht sich auf meine Patientin, wurde im Verlauf des therapeutischen Prozess erforscht. Viele verborgene Teile wurden Schritt für Schritt freigelegt. Verdrängungen, Verletzungen und Verbitterungen, die im Unbewussten lauerten wurden durch freie Assoziation und andere psychoanalytische Techniken zunächst ins Vorbewusste und schließlich ins Bewusste geholt und Erkenntnisse wurden daraus gezogen.
Die Erkenntnis ist der beste Weg zur Heilung beziehungsweise zu einem erfüllten Leben. Selbst die künstlerischen Arbeiten der Patientin lassen eine Entwicklung erkennen. In diesem Manuskript dokumentieren persönliche Zeichnungen der Patientin die Zeit vor, während und nach der Therapie.
Ich erlebte meine Patientin gegen Ende der Therapien als eine Person mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion, sich distanziert von sich selbst zu sehen und sich kritisch zu betrachten und reflektierend zu denken. Dieses Faktum erleichterte unsere Zusammenarbeit sehr. Während der ganzen 30 Jahre ihres Lebens hatten sich viele verdrängte frühkindliche Traumata von Erlebnissen angestaut. Die Analyse gab ihr die Möglichkeit alle diese Ereignisse aufzuarbeiten.
Der positive analytische Prozessverlauf bestand darin, dass in der stabilen therapeutischen Beziehung mit meiner Patientin Traumata erforscht wurden, so wie immer wieder neue Formen von Gegenseitigkeit in der therapeutischen Beziehung erfunden wurden.
Mit meinen Supervisor Herrn Prim. Dr. Med. Johannes Ranefeld und Herrn Primar Herrn Primar Dr. Michael Leodolter, beide Fachärzte für Psychiatrie und Psychoanalyse, habe ich mich ausführlich über die Fallstudie der Patientenanalyse auseinander gesetzt.
Unser Fokus richtete sich auf die behandelten Übertragung und Gegenübertragung, Prozessverlauf, Introspektion, Wertschätzung, Akzeptanz und Empathie auch von mir in der Gegenübertragung sowie Komplikationen im Verlauf einer Reflexion.
Mit den klinischen und theoretischen Überlegungen waren meine Supervisoren einverstanden. Das Ergebnis unserer Zusammenarbeit war erfreulich.
Ich bin der Meinung, dass nicht nur der theoretische und technische Teil der Psychoanalyse wichtig ist, sondern auch, dass die therapeutische Beziehung zur Patientin eine bedeutende Rolle gespielt hat. Eine umsichtige Art war notwendig, damit Vertrauen zwischen Patientin und Therapeut hergestellt werden konnte. Unser gemeinsames Vertrauen, Akzeptanz, und Wertschätzung war für die Zusammenarbeit auf jeden Fall vorteilhaft.
Mit dem Ende der Behandlung ließ ich die Therapie begleitend ausklingen. Die ursprünglich im Zentrum stehenden Themen der Minderwertigkeit, Sexualität, Angst und das weibliche Identitätsverständnis verbesserten sich im Laufe der Therapie eindeutig. Dies war ein vorläufig guter Abschluss.

3.1 Offen gebliebene Frage nach einer Partnerschaft

Erster Teil – Annäherungsphase
Zum Erstgespräch Anfang Jänner 2012 kam sie in Begleitung ihrer Mutter, welche im Warteraum Platz nahm. In der ersten Stunde erläuterte und vereinbarte ich die Grundregeln der Therapie. Bedingt durch die finanzielle Krise der Familie und das Studium der Patientin vereinbarten wir keinerlei finanzielle Belastungen durch die Therapien. Das wurde von ihr mit einer lächelnden Mimik honoriert. Es sei eine Erleichterung für sie, sagte sie.
Wir planten 10 Stunden, 2x die Woche im Sitzen. Die Patientin begann sofort über die Gründe zu sprechen, welche sie in die Ambulanz führten. Sie hatte immer wieder Stimmungsschwankungen und depressive Phasen und konnte nicht verstehen, was mit ihr los sei. Ein Arzt empfahl ihr daraufhin Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. Damals hatte sie als Medikation Cipralex, und Trittico – retard später kein Cipralex mehr sondern Tresleen verschrieben bekommen.
Die Patientin erzählte, dass sie Teilzeit in einem großen Büro für Fotoausrüstung arbeitet. Sie hätte einen jüngeren Bruder und ihre Eltern seien seit über 35 Jahre miteinander verheiratet. Die Patientin wurde in Linz geboren. Die Eltern führten ein Bekleidungsgeschäft ebendort.
So hatte Die Patientin ihre Kindergarten- bzw. Schulzeit in Linz verbracht. Zur Zeit des ersten Treffens studierte Die Patientin allerdings noch Fotografie an der Kunstuniversität Wien.
Die Patientin wirkte auf mich wie eine Puppe. Ihr Haar war mit mehreren Haarspangen zusammengeklammert, eine weiße Bluse, darüber ein heller Pullover und eine moderne Jeanshose rundeten das Erscheinungsbild ab. Auf den ersten Blick vermittelte sie mir den Eindruck, sie sei in etwa 20 Jahre alt. Sie hatte eine schlanke Figur und wirkte sehr mädchenhaft.
Ich fragte die Patientin, was sie zu mir führte und wieso gerade zu diesem Zeitpunkt. Gab es einen besonderer Grund?
Die Patientin gab an einen Leidensdruck zu empfinden und sie wusste einfach nicht was die Ursache ihres Problems sei. Das hatte sie zu mir geführt.
Ich fragte nach, ob ihr Leidensdruck vielleicht zugenommen habe. Darauf antwortete sie, er sei schon akut.
Der Autor erlebte die Patientin in einer ängstlich getönten, depressiven Verstimmung.
Vor einigen Jahren hatte der Hausarzt eine Bipolare affektive Störung der Patientin diagnostiziert. Dies stand so in ihrer Akte in der Ambulanz vermerkt. Wie sich in unserer Ambulanz herausstellte, ist die heutige Diagnose ICD-10 V F:

⦁ Generalisierte Angststörung F 41.1,
⦁ Bipolare affektive Störung, gegenwärtig mittelgradig depressive Episode F31.3. sehe Kapitel
(Dilling H, Mombour W, Schmidt M H, 2011)

Bei unserem ersten Gespräch schneidet die Patientin gleich das Thema ihrer Jungfräulichkeit an, für die sie sich sehr schämte, da sie zu dem Zeitpunkt schon 30 Jahre alt war. Für sie ist es eine Schande noch Jungfrau zu sein. Ihr Freundeskreis bestand mittlerweile nur aus Paaren und frisch gegründeten Familien, während sie selber noch nie eine Partnerschaft hatte.
Ich erkenne sofort Minderwertigkeitsgefühle, eine Entwertung ihres Selbst. Sie gibt auch an sich als Frau nicht vollwertig zu fühlen. Positiv verwundert bin ich über Ihre Offenheit. Sie spricht sofort vertraulich mit mir, gibt ungehemmt intime Sachen preis, spricht aktiv, fängt bald an zu weinen, wird emotional. Zu diesem Zeitpunkt kann ich also keine Depression vermuten. Ich bin regelrecht verwundert, dass sie so offen ist.
Obwohl sie auf den ersten Blick sehr mädchenhaft auf mich wirkt, und auch selbst angibt sich gar nicht erwachsen zu fühlen, hat sie in ihrem Sprachfluss sehr viel mitzuteilen und keine Hemmungen mit mir, einem für sie Fremden, über das Thema zu reden.
Trotz ihrer Offenheit und Zutraulichkeit wirkt sie auf mich sehr unsicher, da im weiteren Gespräch ersichtlich wird, dass sie sich immer wieder mit anderen Frauen und weiblichen Familienangehörigen vergleicht. Konkret macht ihr zu schaffen, dass ihre Cousinen viel hübscher, beliebter, besser seien als sie, außerdem schon verheiratet und Kinder haben. Ich dachte damals, dass diese Information sehr inhaltsreich sei.
Die Patientin ist selbstunsicher, kann sich nicht wertschätzen, fühlt sich anderen Frauen unterlegen. Ich frage mich, ob ihre Unterlegenheit Frauen gegenüber sich nur auf die Jungfräulichkeit bezieht. Ich stelle ihr die Frage ob sie denkt, dass andere Frauen erwachsener wären als sie? Sie bejaht dies und begründet es damit, dass andere Frauen mehr Erfahrungen haben als sie.
Ich frage sie, welche Bedeutung die Jungfräulichkeit für sie hat.
Die Pat. sagt, es ist eine Schande für sie und sie ist überhaupt nicht stolz darauf. Im Gegenteil – sie schämt sich dafür, fühlt sich rückständig und ausgeschlossen von den sexuellen und partnerschaftlichen Erfahrungen die andere in ihrem Umfeld schon gemacht haben.
Ich frage sie nach ihrer Meinung, woran es liegt, dass sie keinen Partner hat.
Pause.
Sie gibt keine Antwort. „Widerstand“.
Ich denke mir an Attraktivität mangelt es ihr nicht. Interessiert sich kein Mann für sie? Ist in ihrem Verhalten etwas das Männer abschreckt? Ist sie Männern gegenüber ängstlich? Ich frage nach ob sie Angst vor Männern hat.
Sie sagt „Ja, ich denke schon.“
Weiteres frage ich die Patientin ob ihre Jungfräulichkeit vielleicht aufgrund von kulturellen oder religiösen Vorgaben oder den der Eltern zustande kam? Eine Vorgabe der Kultur, Moral, Strenge?
Ihre Antwort ist eine Abwehr: „Nein, sicher nicht. Meine Mutter hat sich sogar gewünscht, dass ich öfter mal abends fortgehe und Burschen kennenlerne. Mein Vater hat sich zu dem Thema überhaupt nicht geäußert. Ich kann mich allerdings erinnern, dass mein Vater streng war, wenn es darum ging, dass ich bei Freundinnen über Nacht bleibe. Das hat er mir immer verboten“.
Ich notiere die Stichwörter „Überbehütung“ und „Über-Ich“.
Gab es vielleicht ein Verbot von Seiten der Eltern bezüglich der Jungfräulichkeit? War das Verbot stärker als der Wunsch von der Pat. nicht mehr Jungfrau zu sein? Gab es einen Konflikt zwischen Jungfrau sein und keine zu sein?
Die Pat. verneint dies.
Zu diesem Zeitpunkt kann ich weder Suizidgefahr noch Selbstmordgedanken feststellen. In einem späteren Gespräch mit Ihr stellte sich dann allerdings ein riskantes Verhalten ihrerseits heraus, betreffend eine leichtsinnige Reise innerhalb Indiens, als sie eine gefährliche Busfahrt in die Himalaya-Region unternahm.
Patientin hatte damals einen Aufenthalt bei einer Familie in Indien, bei der sie eine Woche lang leben durfte. Für sie war das wahrscheinlich eine Ersatzfamilie.

3.2 Von der negativen Bindung zum Ödipal Konflikt

Ich stelle bei Patientin einen negativen Ödipalen Konflikt fest: In ihrer Familie herrscht eine enge, liebevolle Beziehung zur Mutter. Von ihrem Vater hält sie allerdings nicht sehr viel.
Ich vermute, dass der Vater der Pat. nie in ihrer Weiblichkeit gesehen und diesbezüglich ermutigt hat. Patientin trug als Kind immer kurze Haare und bubenhafte Kleidung. Das war die Idealvorstellung ihres Vaters von seiner Tochter. Darunter litt sie sehr. Durch ihre enge Verbindung mit der Mutter wird der Vater als Konkurrent erlebt. Die Patientin bezeichnet die Beziehung ihrer Eltern zueinander als nicht vorbildlich. Sie hätten vor den Kindern nie Zärtlichkeit ausgetauscht. Im Gegenteil, der Vater zeigte oft kein liebevolles oder respektvolles Verhalten seiner Frau gegenüber.
Ich frage mich, ob die Patientin, wenn sie die Männer dem vorgelebten Bild ihres Vaters nach beurteilt, sich dann überhaupt einem Mann nähern möchte? Dies ist keine Ermutigung für sie eine Beziehung einzugehen.
Die Patientin macht sich überdies Sorgen um ihre sozialen Kontakte, weil sie seit einiger Zeit keine Lust mehr hat neue Leute kennenzulernen oder alte Freundschaften zu pflegen, weshalb sie sich auch immer mehr zurückzieht.
Sie findet Sympathie zu Frauen. Hierbei handelt es sich um eine Identifikation mit der Mutter. Eine Frau, die ihr sympathisch ist, wird gleich zu einem Mutterbild für sie. Das weist auf eine Abhängigkeit von der idealen Mutterfigur hin.
Aber wenn eine Frau in der Mutterrolle ist, gibt es keine Rivalität mit der Frau um einen Mann. Im Zusammenhang mit dem guten Verhältnis von der Pat. zu ihrer Mutter ist zu beachten, dass es durch deren Mutterrolle zu keiner Rivalität mit dem Vater als Mann kommen konnte.
Wir vereinbaren den nächsten Termin. Sie bedankt sich freundlich für das Gespräch und sucht eilig das Weite, da Ihre Mutter draußen auf sie wartet. Nach der Stunde erlebe ich mich sehr abgespannt durch ihren Redefluss und mein konzentriertes Zuhören.

3.3 Meine Eindrücke aus diesem Erstgespräch

Die Art und Weise wie die Patientin sich ausdrückt wirkt auf mich sympathisch. Ihr Erscheinungsbild ist brav, angepasst, unauffällig, mädchenhaft, gar nicht erwachsen. Die Patientin wirkt auf mich sehr unsicher. Ich bin nachdenklich, weil noch keine befriedigende, klärende Intervention zustande gekommen ist. Leidensdruck und Therapieziele bleiben noch offen. Ich bin aber erleichtert einen Spielraum für mich von zehn weiteren Stunden zu haben, um mir einen Überblick über die möglichen Therapie-Inhalte und eine spezifische Arbeitsweise mit der Pati. zu verschaffen. Ich hoffe auf Klarheit über ihr Anliegen und ein beiderseits geschätztes Arbeitsbündnis.

3.4 Der I. Teil des Prozessverlaufs

Die erste Therapiestunde und weitere Themen für die nächsten zehn vereinbarten Stunden. In dieser Stunde bemerke ich die Entwicklung einer Dynamik in der Beziehungsgestaltung, entsprechend unseren Vereinbarungen am Beginn der Therapie.
Die Patientin kommt regelmäßig pünktlich und sagt sie sei bereit, sich auf diese Therapie einzulassen. Durch unseren gemeinsamen kulturellen Ursprung (ihre Mutter ist ebenso wie ich im Orient aufgewachsen) ergibt sich eine Vertrauensbasis, was sich auf unsere Beziehung positiv auswirkt.
Dieses Faktum scheint mir bemerkenswert, da es sich wie ein roter Faden durch alle weiteren Sitzungen hin durch ziehen sollte.

3.5 Konflikt der Patientin – Zwischen Hemmung und Angst

Die Patientin entdeckt schon bald etwas in ihr Verborgenes, nämlich Angst bzw. Hemmungen. Daraus entsteht bei ihr eine große Vielfalt von Ängstlichkeit So wie Mentzos im Jahr 1984 bei der Patientin Mit Angstneurose wie ihre ängstlichen Symptome zeigen
– Scham (vor Jungfraulichkeit) als Aspekt der Angst.
– Angst entdeckt/erkannt zu werden
– Angst vor Sexualität insgesamt / Sexual Tabuverhalten. (Mentzos S, 1984)
Ebenso bestehen unüberwindbare Hemmnisse davor eine eigene Sexualität zu haben und eine normale Frau zu sein.
Patientin kommt pünktlich in die Stunde und berichtet von ihren depressiven Episoden. Ihr wird sehr eng zumute, wenn sie vielen Menschen in der Innenstadt begegnet.
Ich fragte sie: “ Was löst die Menschenmenge bei Ihnen aus?“
Patientin: „Ich habe Angstzustände, Schwindel und einen Druck in der Brust, so dass ich keine Luft mehr bekomme.“
Auf die Frage: “Was machen Sie dann?“ antworte die Patientin: “Ich flüchte schnell weg. Gott sei Dank befindet sich meine Wohnung ganz in der Nähe des Stadtzentrums. Pause! Die Patientin weint. „Ich bin sehr traurig, alle meine Verwandten und Freunde haben Partner und ich bin immer noch allein und Jungfrau. Ich will niemandem davon erzählen, dass ich noch Jungfrau bin. Ich habe Angst vor den Reaktionen.“
Dann erzählt die Pat. dass ihre Menstruation mit vielen Schmerzen verbunden ist und sie sich vor dem Blut ekle. Alles was man in sich hereinstecken kann verbindet sie mit Sexualität. Daher ist die Verwendung von Tampons ein Tabu für sie.
Als sie ein Kind war, hielt sie sich für hässlich im Vergleich zu ihrer älteren Cousine. Diese fand sie viel hübscher als sich selbst. Sie verglich sich schon in früher Zeit immer mit anderen. Selbstwertproblematik.
Mein erster Eindruck bestätigt, dass die Pat. verschiedene Konflikte lange Zeit schon in sich trägt. Zum einen wird der Konflikt vor Sexualität sichtbar. Zum anderen vergleicht sie sich immer wieder mit anderen Frauen (Minderwertigkeitskomplex). Zusammengefasst ergibt sich also:
Sie schämt sich für ihre Jungfräulichkeit, hat Angst vor den Reaktionen und dem Bloßgestellt werden durch ihre Umwelt und hat gleichzeitig Angst vor Sexualität. Sie verwendet keine Tampons und das Phantasiebild Sex und Blut ekelt sie. Ich überlege, ob allein ihr sexualphobisches Verhalten hier eine Rolle spielt? Ich notiere mir diesen Gedanken für einen späteren Zeitpunkt auf.

3.6 Klinische Beschreibung der Patientin

Die Patientin ekelt sich vor der Ausscheidung von Menstruationsblut. Tampons verwendet sie nicht, weil dies etwas ist das in den Körper eingeführt werden muss. Das Einführen ist ein Prozess den sie aufgrund ihrer Sexualphobie nicht möchte.
Sadistische Verhaltensweisen, die sie mit Sexualität verbindet, werden abgewehrt, indem sie einmal Frau sein möchte, aber gleichzeitig lehnt sie ihre Menstruation und ihre Sexualität ab und möchte parallel dazu aber keine Jungfrau bleiben. Dies ist eine Form der Aggression.
Als Therapieziele formuliere ich für die Patientin : die unbewusste Angst erkennen, ihren Ursprung in den Objektbeziehungen finden, wo das Urvertrauen verletzt worden war Selbstwert steigern, Verunsicherung bearbeiten, Psychische Ursachen erkennen und das Leid wahr-nehmen.“ Die Erkenntnis ist der beste Weg zur Heilung“.

3.7 Übertragung und Gegenübertragung

Ich bemerke, dass die Patientin sich wenig präsentiert, eher emotional undifferenziert bleibt. Manchmal notiere ich, dass Schilderungen aus ihrer Kindheit emotionslos ablaufen, aber auch kaum darüber gesprochen wird. Vielmehr erkenne ich dass ihre Verzweiflung nur schemenhaft manifest ist. Sie ist sehr weinerlich, die Tränen in ihren Augen zeigen den Leidensdruck.
Der große Druck, den sie auf sich selbst wegen ihrer Jungfräulichkeit ausübt, kann als ein nicht integrierter Zustand bezeichnet werden. Die Ablehnung der Jungfräulichkeit ist ein unlösbarer Konflikt in ihr. Man kann von einem hysterischen Zustand sprechen.
Zitat: “Es ist logisch, Psyche und Soma einander entgegenzusetzen und daher auch die emotionale und die körperlich Entwicklung des Individuums als Gegensätze zu sehen. Es ist jedoch nicht logisch, das Geistige und das Psyche einander entgegenzuzusetzen, das sie nicht von gleicher Art sind. Geistige Phänomene sind in der Kontinuität des Seins des Leibseelischen, in dem, was das „Selbst“ des Individuums ausmacht, Komplikationen von verschieden großer Bedeutung.“ (Winnicott 2008:157)

3.8 Angstreaktion des Ichs auf Über-Ich und Es-Ansprüche

Regression ist die Fähigkeit Angst zu wandeln – welche Angst? Erste Angst (Sexualität wandelt sich direkt in Angst um) oder zweite Angst (Reaktion des Ichs auf Über-Ich und Es Ansprüche)
Ablehnung der Sexualität als Tätigkeit und als Verhalten. Will sie eine Frau sein wie andere? Mit deren Menstruation und Sexualität oder lehnt sie dies ab? Wenn sie gleichzeitig aber auch eine Sehnsucht nach Normalität hat, wäre dies ein hysterisches Verhalten.
Am besten verlaufen ihre Beziehungen zu Frauen. Mit diesen vergleicht sie sich und beneidet sie auch.
Identifizierung mit der Mutter. Besondere Beziehung zur Mutter. Verreist gemeinsam mit Frauen. Negativer Ödipuskomplex. Die Patientin hat besondere Beziehungen zu weiblichen Freundinnen. (Freud A, Grubrich- Simitis L, 2006)

3.9 Rationalisierung und Konflikt

Es gibt einen Unterschied zwischen
⦁ dem was sie will
⦁ und dem was sie kann.
⦁ Will sie das auch wirklich was sie angibt zu wollen? Im Bereich der Sexualität eine ganz wichtige Frage. Sie muss sich mit diesen drei Punkten in der Therapieauseinandersetzen.
Ihr Erscheinungsbild vermittelt mir, als ob sie eine Maske trage, was Teil ihrer interpersonellen und institutionalisierten Abwehr ist.
Die Patientin repräsentiert für mich Enttäuschung, Verzweiflung, Depression. Immer wieder vergleicht sie sich mit anderen Frauen.
Generalisierte Angststörung. Sie hat Angst, aber weiß nicht wovor. Panikattacke.
Lieber Rückzug aus dem Bereich der Angst, wenn sie beispielsweise in einer großen Menschenmenge ist, und wegläuft. Dies ist die Angstvermeidung, sie geht dem Phobischen aus dem Weg. Vermeidung von Konfrontation.

3.10 Gegenübertragung

Ich erlebe mich aktiv und andererseits gehemmt. Der Leidensdruck der Patientin macht es mir schwer, weil ich so stark emotional berührt bin, da ich weiß, dass sich ihr Problem so bald nicht lösen kann. Bilder von der unbewussten Beziehungsgestalt bleiben mir undeutlich. Ich kann nur vermuten aufgrund dessen was ich aufnehme. Die Abkömmlinge des Unbewussten verraten sich schon auch in der Szene aber eine unbewusste Beziehungs-gestalt ist natürlich unbewusst. Ich erlebe mich sehr vorsichtig, möglicherweise aus fehlender Erfahrung in der Therapie (List 2013).
Theoretisches Konzept zur Angstneurose die Patientin
Wenn die Angst mit einem Verlust der Identität einhergeht – stellt sich mir die Frage: wie stark ist ihr Ich überhaupt?
Jeder zu große Schmerz bedroht das Ich, ihr Selbst.
Bei der Patientin besteht eine strukturelle Schwäche.
Sie hält für sich zu große Nähe nicht aus, es überwältigt sie.
Fragmentiert in der Verschmelzung der Nähe – bis zur Psychose möglich.
Wehrt zu große Nähe von Sexualität ab, weil sie sonst in die Gefahr kommt, ihr Selbst zu verlieren.
Nach außen hin deutet dies auf ein sexuelles Problem hin, innerlich ist es aber eigentlich ein Problem der Fragilität des Ichs, ihres Selbst.
Wenn dies der Fall ist, fragt sich, ob das wirklich ein neurotisches Symptom ist.
Kompromissbildung zwischen abgewehrten Impulsen und der Ich-Instanz als eine
in der Sexualität Hysterie – oder ist es mehr?
Im Sinne von Kernberg: infantile Persönlichkeit, die auf der Bühne der Sexualität ein ödipaler Konflikt erlebt. Aber bei die Patientin geht es um mehr. Es geht um den Erhalt der Ich-Struktur, kommt dem Zerbrechen des Ichs näher.
Wenn Hysterie, dann auf einem niedrigen Niveau. Dazu würden auch die ganzen bisher erwähnten Symptome dazu passen, so wie von Kernberg erörtert. (Kernberg OF, 1998)

3.11 Beziehungswunsch Angst und Flucht

Die Patientin hat Angst davor sich auf eine Beziehung einzulassen, vor der Verschmelzung mit einem Partner, was gleichsam mit dem Verlust ihres Identitätsgefühls einhergeht. Sie fürchtet zu große Nähe, lieber ist ihr Distanz und Trennung. So kann sie einer befürchteten Vernichtung des Selbst entgehen. Angstzustände, die sie immer wieder erwähnt hat, wie schon von Mentzos erwähnt, können als neurotische Symptome gesehen werden, als Kompromissbildung zwischen dem abgewehrten Impuls und der verdrängenden Ich- Instanz (Mentzos 2010).
Die depressive Symptomatik von der Patientin ist geprägt von der Sorge um das geliebte Objekt. Das geliebte Objekt ist ihre Mutter.
Die Patientin ist nicht lebensfähig ohne die Mutter. Der Verlust der Mutter wäre eine Bedrohung ihrer eigenen psychischen Existenz. Sie befindet sich im Kampf zwischen Abhängigkeit und dem Wunsch nach Autonomie.
Der Ursprung der Angst ist eine generalisierte Angst Störung.
Die Möglichkeit, dass die Mutter die Tochter braucht. Gegenseitige Abhängigkeit betrifft beide. Die Mutter auf der narzisstischen depressiven Ebene. (Klein M, 2006)

3.12 Die Rolle des Vaters in der Triangulierung

In der Triangulierung hat der Vater eine bestimmte Position eingenommen, in der er nicht zum Liebesobjekt der Tochter werden konnte, sondern stattdessen zum Aggressor der Tochter geworden ist. Die Patientin hat die Mutter als Liebesobjekt genommen, in aller Abhängigkeit.
Die Strukturierung der Patientin ist präödipal. Die infantile und hysteroide Persönlichkeit stellt ein ödipales Dreieck dar, aber es geht bei ihr um mehr, nämlich um ihre Ich-Struktur, um das Zusammenhalten ihres Selbst. So wie Kernberg meint, geht es um den Prozess der Trennung von Selbst und Objekt. Im weiteren Sinn zur Trennung von außen und innen, in die Lust-Unlusterfahrungen sich zu schlechten und guten Selbstobjektrepräsentanzen zeigen (Kernberg OF, 1998).
Ihr Liebesobjekt ist ihr notwendig – die Mutter ist ihr Leben. Der Vater ist der Aggressor, der abgewehrt wird, wobei dann im späteren Leben Aggressionen gegenüber anderen Männern entwickelt werden.
Angstverarbeitung stellt ein wesentliches Problem in der PA dar. Können die Angstzustände verarbeitet werden, hat dies eine überragende Bedeutung für die Ich-Entwicklung. Zitat: „Die andere Angst bezieht sich auf das eigene Innere des Säuglings.“ (Winnicott 2008, S.245)
Die Patientin kommt gehetzt und traurig in die Stunde. Es gibt Wiederholungen der vorherigen Stunde und das Empfinden von Minderwertigkeitsgefühlen. „Warum muss ich immer denken, dass andere besser sind als ich? “
Ich frage: „In welchem Zusammenhang empfinden sie sich als minderwertig?“
Die Patientin “Wenn ich allein zu Hause sitze und über meine Schulzeit nachdenke oder mich mit meinen Cousinen treffe. Ich kann mich erinnern, wenn Kinder uns besucht haben, bin ich lieber bei den Erwachsenen geblieben, als mit den Kindern zu spielen. Früher, als ich jung war, sah ich in meinem Schlaf Licht und Bilder.“
Auf die Frage, welche Lichter dies waren, antwortet sie, sie könne sich nicht mehr erinnern. Sie war nach solchen Ereignissen immer depressiv.
Die Patientin: “Mein Vater war immer streng zu mir. Es hat mich genervt, dass ich sonntags immer Klavier spielen musste. Immer wenn ich über mein Leben nachdachte, hatte ich das Gefühl verrückt zu werden, besonders was meine Zukunft betrifft.“

3.13 Das Ich wird in Frage gestellt, das Über-Ich nimmt Überhand

Das Leben im Elternhaus macht ihr zu schaffen. Oft ist sie genervt von ihrem Vater, weil er sie sekkiert wenn sie lange schlafen möchte und er kein Verständnis für ihre Bedürfnisse hat. Wenn sie in der Nacht aufs WC gehen muss, führt der Weg durch das Zimmer ihres Bruders. Für beide eine unangenehme Situation.
Auf die Frage, wie ihre Beziehung zur Mutter sei, antwortet sie, dies bedeute für sie das Leben.
Nach dieser Erzählung denke ich: „Mit 30 noch immer bei den Eltern?“ Langsam sammle ich genügend Informationen in meinem Container. Durch gesammelte Details, insbesondere über die enge Beziehung zur Mutter und die Distanz zum Vater, kann dies als ödipale Verstrickung verstanden werden. Fast in jeder Stunde betont die Patientin, wie einzigartig die Mutter und wie furchtbar der Vater sei.
Es ist davon auszugehen, dass der Vater seine Rolle gegenüber seiner Tochter in der Triangulierung nicht wahrnehmen konnte. Von maßgeblicher Bedeutung scheint in diesem Zusammenhang einerseits die Überforderung der Mutter mit zwei Kindern zu sein, und andererseits der komplexe Prozess der Triangulierung, wenn es sich um zwei Kinder handelt. Ich fühle mich müde von dem vielen Material und der Menge an Informationen. Ich denke mir aber, dass es gut ist, ein gemeinsames Arbeitsbündnis gefunden zu haben. Es muss mir gelingen, einen Rahmen sowohl für die Patientin als auch für mich zu finden. Meine Motivation an diesem Fall zu arbeiten ist groß. Auch die Patientin möchte die Zusammenarbeit fortsetzen, da es ihr hilft, zu wissen dass es jemanden gibt, der ihr zuhört und ihre Probleme wahrnimmt.

3.14 Reise durch die Welt als Sublimierung

Die Patientin möchte gern durch die Welt reisen, viele Länder entdecken. Viele, bis auf Indien. Dieses Land interessiert sie nicht. Durch Zufall beginnt sie mit Yogaunterricht, eine Form der Körperübung die seinen Ursprung in Indien hat. Sie kauft sich ein Buch über die Philosophie des Yoga und entscheidet kurze Zeit später eine Reise nach Indien und in eine Yogaschule Vorort zu wagen, unter dem Motto „meine Weltentdeckung“. Von der indischen Kultur ist sie fasziniert. Sie wohnt bei einer wohlhabenden indischen Botschafterfamilie, die Organisation erfolgte in Linz. Beim Besuch der Yogaschule Vorort lernt sie eine Frau in ihrem Alter kennen, mit der sie viel gemeinsam unternimmt. Zurück in Linz fühlt sie sich gut, diese Reise alleine unternommen zu haben. Knapp einen Monat darauf hängt sie zwei Wochen Ferien in Rom an.
Meiner Meinung nach sind diese Entdeckungsreisen eine Sublimierung. Anstatt Sexualität auszuleben entdeckt sie die Welt. Dadurch gelingt es der Pat. ihre Libido auf eine kulturelle Ebene umzulenken. Gleichzeitig wird ein Abwehrmechanismus des Ichs aktiviert.
Ganz allein in Indien war sie ja auch nicht wirklich. Eine Ersatzfamilie wurde organisiert und die neue Freundin wurde zur Ersatzmutter.
Ein Jahr später erfolgt die zweite Reise nach Indien mit einer Linzer Freundin. Bei einem indischen Masseur bekommt sie eine Behandlung und erhofft sich von diesem Guru eine Änderung in ihrem Leben, da er verschlossene Chakren bei ihr durch seine Heilkraft öffnen soll. Beim Ritual der Öffnung des Sexualchakra kommen unangenehme Gefühle in ihr hoch. Sie ist froh, als die Behandlung vorbei ist. Zu dieser Zeit ist sie sehr verzweifelt, da der Heiler mitteilt, ihr nicht helfen zu können.
Möglicherweise hatte die Patientin Angst, nackt vor einem fremden Mann zu liegen. Sie verspannte sich, man kann daraus eine Abwehr von Sexualität schließen. Es kam wahrscheinlich zu einer Bedrohung ihrer gesamten Persönlichkeit über die Sexualität.
Die Patientin: „Ich habe einen zweiten Versuch bei einem anderen Heiler in Form einer Massage gemacht.“
Ich fragte: „Wie war das für sie?“
Die Patientin: „Es war furchtbar unangenehm. Von Entspannung war keine Rede.“
„Warum nicht?“ frage ich nach.
Die Patientin ….weil ich nackt vor einem fremden Mann liegen musste.“
Zu dieser Zeit war sie 24 Jahre alt.
Sie erzählt dann von ihrer Reise nach Italien und berichtet über die zwei in Rom verbrachten Wochen. Dort war es ihr langweilig in einer WG zu wohnen – mit einem deutschen Mädchen. Ich fragte, was für sie langweilig gewesen wäre ….
4 Erstes Suizidrisiko und weitere Sublimierung
Die Patientin: Ich war oft allein, im Vergleich zu Indien war diese Reise eher langweilig.
Ich notiere: … da es in Rom keine Ersatzfamilie für sie gab, entstand Langeweile. Als ich sie mit dieser Frage konfrontiert habe, reagiert sie mit Abwehr. Rom ist eine lebendige Stadt – warum ist ihr langweilig, frage ich mich. Langeweile ist ein hoher Spannungszustand der kein Ziel findet.
Ich deute es so, dass sie wahrscheinlich ständig unter Spannung war: Durch die vielen Gelegenheiten, die sich in Rom ergaben mit jungen Menschen, Männern und Frauen, zusammen zu kommen was auch mit vielen Verführungsmöglichkeiten verbunden war.
Dann erzählt sie wieder über die zweite Indienreise, ihr Abenteuer. Die Reise mit dem Bus von Delhi nach Manali über die Berge in einer Höhe von über 3000 Meter auf einer wahnsinnig schmalen Fahrspur. Sie konnte vom Busfenster aus nicht einmal mehr den Boden unter den Reifen erkennen, sagt sie. 48 Stunden dauerte die Fahrt. Höhe und Risiko waren ihr dabei egal.
Ich frage mich, was sie in solch einer Höhe eigentlich wollte? Es erscheint mir gleich einem Risiko zum Suizid. Warum setzt sie sich eine solch gefährliche Situation aus? Es könnte auch ein Gottesurteil sein – ob sie dabei stirbt oder es überlebt. Sie legt ihr Schicksal quasi in Gottes Hände.
Meiner Interpretation nach kann für die Patientin, das Versagen des Heilers und die Aussichts-losigkeit auf Heilung nur durch das Risiko der Busfahrt auf Leben und Tod verarbeitet werden.
Oder ist dies sogar die Form eines Suizidversuches?
Nach dem Ende der Busfahrt bleibt sie eine Woche in Leh. Danach fliegt sie zurück nach Delhi, wo sie dann von den Strapazen der Busreise drei Tage lang krank im Hotelbett liegt. Hier schwört sie sich, nie wieder eine Reise nach Indien zu unternehmen.
Nach zehn Stunden im Sitzen planen wir weitere Settings. Die therapeutische Beziehung scheint zu funktionieren. Über die weiteren 20 geplanten Stunden (insg. 40 Stunden) freue ich mich.
Die ersten 20 Therapiestunden (psychodynamisch): Ich als ihr Therapeut komme in die Rolle des Idealvaters, wobei ich dies als ambivalent betrachte. Die Patientin fällt in die Rolle der regressiven Tochter.

4.1 Settings Änderung: Therapie im Liegen

Die ersten 20 Stunden Therapie fanden im Sitzen statt. Nun setzen wir die nächsten 20 Stunden im Liegen fort. Der Übergang von einem Setting zum anderen ist oft interessant und wichtig, um eine Persönlichkeit besser kennenzulernen.
Ich frage mich wenn sie in ihrer Sexualität so fragil ist, wie reagiert sie dann, wenn ein Mann außerhalb ihres Blickfeldes hinter ihr sitzt? Auf meine direkte Frage, wie sie sich im Liegen fühle, meint sie, es sei etwas befremdlich, dass jemand hinter ihr sitze.
Im Nachhinein sagt sie, sie sei froh, dass ich mich nicht dauernd im Blick vor ihr befinde. Jetzt kann sie sich dem Blick des Gegenübers entziehen.
die Patientin ist interessiert an einer Therapie, sie reflektiert und ist motiviert. Sie will mehr über sich erfahren und eine Änderung in ihrem Leben herbeiführen. Ich erläutere ihr die Möglichkeit einer mehrstündigen Analyse. Die Patientin freut sich auf den Frühlingsbeginn. In dieser Jahreszeit fühle sie sich generell besser als im Winter.

4.2 Zur Erinnerung an die Kindheit und der Aggressionsmodus

In der Kindergartenzeit sowie in der Volksschule war die Patientin sehr isoliert und wurde von ihren Mitschülern abgelehnt.
Die Patientin: “Ich kann mich erinnern an meine Zeit in Kindergarten. Meine Mama brachte mich dorthin, dies war für mich katastrophal. Der Abschied von meiner Mutter war eine Qual für mich und ich habe sehr viel geweint. Ich kann mich erinnern, dass ich sehr aggressiv gegenüber den Kindern war, wenn Mama sich verabschiedet hat. Ich habe die Kinder gehaut. Einmal habe ich ein Mädchen an ihrem Ohrring gezogen, bis es anfing zu bluten. Das Essen war sehr schlecht und hat mich gegraust. Lustig fand ich den Mittagsschlaf. Als wir uns alle hingelegt hatten und die Tante hinausgegangen war, motivierte ich die anderen Kinder wieder aufzustehen und mit mir zu hüpfen.
Ich fragte sie: “und wie hat die Tante reagiert?“

4.3 Arbeit mit Übertragung und Gegenübertragung

Ich spüre in mir Ärger aufkommen …. wieso übersehen die Eltern bzw. die Lehrer ein Kind, das sich isoliert fühlt? Wieso muss ein Kind in der Klasse leiden? Und warum wird es in diesem Alter ausgeschlossen? Wo sind die Eltern geblieben, wie konnten die Lehrer das übersehen? Tatsache ist, dass die Patientin. durch den Ausschluss als Kind traumatisiert, und in ihrer Minderwertigkeit gestärkt ist, dadurch dass ihr bewusst wird, dass andere Mädchen hübscher sind als sie. Das ist eine mögliche Erklärung für das Trauma, aber für die Minderwertigkeitsgefühle liegen die Gründe in der frühen Kindheit bei der Ödipalen Verstrickung (Kernberg 1998).
Ich bin einerseits konkordant mit meiner Patientin, andererseits stellt sich mir die komplementäre Frage: Kann ich mich auch in die anderen Kinder hineinversetzen? Was lag an der kleinen Patientin, damals, dass sie dermaßen ausgeschlossen wurde?
Ich denke in Bezug auf die Ich-Stärke. Die Kinder nützen ihre Schwäche aus.
So wie Kinder sind, reagieren sie auf die Schwäche der damals kleinen Patientin, distanzieren sich und quälen sie damit.
Man muss auch berücksichtigen, dass durch ihre Familie und ihre Herkunft kulturelle Momente eine wesentliche Rolle im Anderssein, in der Differenzierung mit Anderen spielen.
Dass sie im Kindergarten nur mit großer Überwindung von der Mutter getrennt werden konnte, kann als Objektbeziehung wahrgenommen werden. Das kann vergleichsweise mit der Entwöhnungsphase gesehen werden. Ohne die Mutter eine Position zu finden ist hart. Es kam zu einer Traumatisierung der Objektbeziehung.
Volksschulzeit
Kann sich die Patientin jetzt empathisch in die anderen Kinder einfühlen? Ich frage, ob sie eine Theorie hat warum sie abgelehnt wurde und um ihre Meinung, was in den anderen Kindern vorging, als diese sie so ablehnten?
Die Mentaltheorie von die Patientin ist dadurch begründet, dass sie als Kind immer anders ausgesehen hat als die anderen Mädchen. Sie hatte einen jungenhaften Kurzhaarschnitt und nicht so schöne Kleider wie diese, sie fühlte sich burschikos wider Willen.
Dies spielt im Hinblick auf die Triangulierung eine wichtige Rolle – eine Entwicklungs-möglichkeit in Richtung Mädchen wurde letztlich durch die Anordnungen des Vaters verbaut.
Dadurch fühlte sie sich im Vergleich mit anderen Mädchen unterlegen und fremd.

4.5 Biographie von die Pat und ihrer Familie

Vier Jahre Volksschule, keine guten Erinnerungen. Im Anschluss Eintritt ins Gymnasium … auch keine guten Erinnerungen. Ich fragte sie, warum das keine guten Erinnerungen waren.
“ die Patientin Die Mitschüler waren ungut zu mir. Es gab viele Konflikte.“
Ich fragte worum es da ging?
die Patientin “Sie haben mich ausgeschlossen, es ging um Eigenschaften, Charaktere und Interessen. Ich war nicht schön genug. Mit 18 habe ich das Gymnasium abgeschlossen – mit gutem Notendurchschnitt. Schriftlich flog ich in Mathematik durch, mündlich allerdings besserte ich mir die Note aus.
„Matura ist der Abschluss eines Lebensabschnittes. Wie können sie das beschreiben?“
die Patientin Nach dem Maturaabschluss half ich meinen Eltern ein Jahr lang in deren Firma. Ich wusste nicht, was ich studieren sollte. Nach dem Wunsch meines Vaters sollte ich Betriebswirtschaft studieren. Nach der ersten Vorlesung ging ich weinend nach Hause.“
Ich fragte sie was der Grund für ihr Weinen gewesen sei.
die Patientin: “Da ging alles nur um Mathematik.“
die Patientin. wird nicht als Person mit bestimmten Begabungen wahrgenommen und wird gegen ihren Willen zu einem Studium geschickt.
Meine Konkordante: ich verstehe die Handlungen des Vaters nicht.
Gegenübertragung
Der Ausschluss aus der Klassengemeinschaft von der Volksschule bis zur Matura bewirkte einen labilen Zustand der Heranwachsenden. die Patientin findet sich nicht hübsch genug und vergleicht sich immer wieder mit anderen Frauen. Aus meinen Notizen der vergangenen Stunden erkenne ich die Minderwertigkeitsprobleme, die immer wieder auftauchen. Ich verstehe ihren Vater nicht. Er ist in der Erziehung zu ihr streng, er weiß von ihrer Abneigung zur Mathematik. Trotzdem schickt er sie, um daraus einen eigenen betrieblichen Nutzen zu ziehen, zum Betriebswirtschaftsstudium. Ich habe das Gefühl, sie war auf sich allein gestellt. Bei allen erlebten Schwierigkeiten war niemand für sie da.

4.6 Gut gemeint heißt nicht immer gut

Die Patientin: “Nach einem Jahr Pause nach der Matura war ich auf einer Berufs-informationsmesse für Maturanten in Begleitung meiner Mutter. Ein Stand der die Studienrichtung Graphik Design vertrat weckte mein Interesse und ich entschied mich für dieses Studium. Mit 19 begann ich zu studieren. An der Uni ging es mir etwas besser, ich hatte zwei gute Freundinnen, mit denen ich bis heute noch befreundet bin. Zum ersten Mal hatte ich richtige Freunde.“
Frage: “Was war besonders an diesen beiden Freundinnen?“
Die Patientin: “Laura und Felicitas sind beide normale Menschen. Sie haben keine psychischen Probleme. Oder vielleicht doch?“
Danach lächelt sie. Sie fühlt sich von den beiden verstanden. Alle drei schlossen das Studium gemeinsam ab. Danach suchten alle drei erfolglos Arbeit, das war keine so schöne Zeit. Sie war traurig und enttäuscht.
Ich frage sie in welchem Zeitabstand nach dem Abschluss das gewesen sei.
Die Patientin :„ …ca. zwei Monate danach.“
Ich fragte: “Warum waren sie so traurig?“
Die Patientin: “Erstens habe ich nach dem Abschluss gehofft gleich eine Arbeitsstelle zu finden. Meine Mama absolvierte im Libanon dasselbe Studium, allerdings damals noch ohne die Arbeit am PC. Durch unser Familienunternehmen konnte sie beruflich aber nie in der Werbegraphik-Branche in Österreich Fuß fassen.“
Die Delegation der Mutter und die Bereitschaft der Tochter, deren Wünschen zu entsprechen, kann beim Auswählen dieses Studiums eine Rolle gespielt haben.
Wo bleibt denn Platz für die Ich-Entwicklung, wenn sie einerseits von dem Vater ignoriert und andererseits bedrängt wird, eine bestimmte Richtung einzuschlagen und dann den Wunsch der Mutter erfüllt?
Die Mutter ist in gewisser Weise auch abhängig von der Tochter, wenn sie ihre Wünsche auf die Tochter delegiert und sie von der Tochter ausleben lässt.

4.7 Gegenübertragung

Ich finde die Abhängigkeit der Mutter-Tochter-Beziehung ärgerlich, weil die Mutter ihre unerfüllten Wünsche auf die Tochter überträgt (hochpathologische Mutter). Der Narzissmus der Mutter verleibt ihre Tochter ein. Die Tochter steht in sehr enger Beziehung zu ihr, ihre erfolglose Arbeitssuche macht ihr zu schaffen, sie möchte ihre Mutter befriedigen. Niemals käme ihr in den Sinn, anstrengend für ihre Eltern zu sein, Ich-Stärke Konflikt. Sie passt sich den Erwartungen der Eltern an, ist wie Wachs. Alles im Leben ist streng für sie und kaum etwas ist von ihr allein zu bewältigen. Das Über-Ich bleibt immer stärker als die Ich- Funktion.
Ich konfrontiere die Patientin mit der Frage, ob sie dieses Studium auch für ihre Mama gemacht hat?
Pause…
dann sagt sie: “wahrscheinlich.“
Wodurch ist die Strenge ihres Über-Ichs gegeben? Einerseits durch die Erziehung des Vaters, (ist sie Opfer? Oder ist sie selber streng zu sich geworden?) Wenn ihr Über-Ich so stark ist, dann frage ich mich, woher sie das hat? Erziehung, Verbote, Gebote des Vaters, Hinzu kommen die Ich-Funktionen, die schwach sind. Sie ist dem destruktiven Teil des Über-Ichs ausgeliefert, das bedeutet, dass sie unter dem Druck des Über-Ichs ihrem Selbst nicht standhalten kann. Obwohl sich Vieles auf sexueller Ebene abspielt, spielt sich dabei auch Vieles auf der Ich-Ebene ab.

4.8. Biographie der Eltern der Patientin

Die Patientin erzählt, dass der 67 jährige Vater in Bulgarien geboren wurde. Im Alter von sechs Jahren war er mit der Familie nach Österreich gekommen. Bei Bad Ischl/ Salzburg hat er gelebt. Seine Eltern waren sehr streng, sein Vater autoritär.
„Meine Eltern lernten sich in Linz kennen. Ich wurde hier geboren. Mein Papa ging schon in dieselbe Schule, in die auch ich später ging. Er hat die Matura gemacht, aber Zeit für ein Studium hatte er keine. Er arbeitete zusammen mit seinem älterem Bruder und dem Vater im Familienunternehmen.
Meine 60-jährige Mama und ihre drei Schwestern wurden im Libanon geboren. Von dort flüchtete ein Teil der Familie aufgrund des Bürgerkrieges nach Frankreich, ein Teil nach Kanada. Die Familie meiner Mutter flüchtete nach Österreich.
In Linz lernte meine Mutter meinen Vater kennen, dessen älterer Bruder verliebte sich in eine der Schwestern meiner Mutter. Zwei Hochzeiten folgten. Ich habe viele Cousins und Cousinen“.
Es ist eine große Sippe. In dieser Familie gibt es eine Hierarchie: der ältere Bruder des Vaters von die Patientin steht über ihrem Vater. Ich frage nach, ob sie findet, dass ihr Onkel dominant sei?
Die Patientin: “Ja, das ist kulturell bedingt und eine Mentalitätssache. Nach dem Tod des Großvaters war er als Ältester dessen Stellvertreter. Wenn mein Onkel den Raum betritt, bekommt jeder Panik.“
„Kann man ihn als Tyrann bezeichnen?“
Die Patientin:“… ja, das kann man schon sagen. Blöd ist, dass alle im selben Familien-Unternehmen arbeiten. Dieses hat Schulden und alle Geschäfte, die mein Onkel abschließt, sind erfolglos. Das ist für mich sehr traurig. Deshalb wollte ich nie dort arbeite

5 Der II. teil des Prozessverlauf

Am Beginn der Stunde fragt mich die Patientin. ob ich bereit sei. Da frage ich mich, ob wir die Rollen getauscht haben. Ist das eine Identifikation oder ist es Widerstand? Ich antworte, ja ich bin bereit – und sie? Da lächelte sie.
Pause…
Die Patientin. sage: “Ich will heute mit Ihnen die Rollen tauschen. Ich will wissen, wie es sich bei mir anfühlt.“
Ich frage sie: „Und wie fühlen sie sich jetzt?“
Sie sagt: „Ja, gut.“
Ich interpretiere ihre Fragestellung als Nachfrage wie es mir mit ihr ginge, oder dass ich ihr einmal Antworten geben sollte zu dem Bisherigen.
Ich frage mich auch, ob sie mich als Therapeut idealisiert und deswegen die Rollen tauschen möchte. Was möchte sie denn sein? Die etwas von mir wissen möchte zur Therapie oder zu meinem Leben? Ich nehme das als eine Übertragung der Patientin wahr.
Im weiteren Gespräch berichtet sie mir von ihrem Fotografie Studium. Sie hatte die Zulassungsprüfung geschafft und wurde als eine von acht neuen Studenten in die Klasse aufgenommen. „Von Anfang an hat uns unsere Professorin begleitet und geholfen. Mit ihr verstehe ich mich gut, ich finde sie sympathisch.“
Dieses Mal hat sie das richtige Fach inskribiert und ist sehr froh darüber. Im ersten Jahr ging es ihr gut. Es verlief harmonisch zwischen ihr und der kleinen Gruppe der Kollegen im gleichen Semester. Ihre Familie ist allerdings nicht gerade das Zentrum der Harmonie. Ich frage mich also, wieso sie in dieser kleinen Gruppe von neuen Mitstudenten Harmonie empfand. Was hatte sich geändert? Worauf beruhte das? Vertretung der Familie durch die kleine Gruppe. Familiärer Charakter. Es war das erste Mal, dass sie in der Form in einer gemischten Gruppe Harmonie erleben konnte. Fallen unter dem Begriff „Frauen“ doch einerseits welche in die Rolle der Konkurrentinnen, die von ihr beneidet werden, weil sie sich ihnen unterlegen fühlt, und andererseits welche in die Rolle der Mutter, die ihr sympathisch sind, weil sie sich auch noch in der Abhängigkeit ihrer Mutter befindet.
Die asexuellen Frauen sind für die Patientin die mütterlichen, die sexuellen Frauen dagegen Konkurrentinnen, auf die sie neidisch ist.
Weiter erzählt sie, dass nach dem ersten Semester neue Mitschüler dazukamen, die Klasse immer grösser wurde und die Professorin sie nicht mehr so regelmäßig betreute. “Dann war es aus.“ Ab diesem Zeitpunkt ging es ihr schlecht. Sie beschreibt, die Gruppe sei nicht mehr überschaubar gewesen. Zu den neuen Leuten, die hinzugekommen waren, fand sie keinen Anschluss. „Es war zu viel für mich“.
die Patientin, empfindet diesen Zustand als Druck. Ich frage sie, ob der Druck von außen oder von innen kommt? Da antwortet sie „Von mir selbst“.
“Was ist ihrer Meinung nach die Ursache dafür?“
„Die Ursache ist, dass ich nicht mehr kreativ bin“.
Ich deute dies als ein Gefühl der Minderwertigkeit, und spreche dies auch an.
Pause…
Dann sagt sie: “Das kann allerdings stimmen.“
Ab dem zweiten Studienjahr bis zum vierten geht es ihr nicht gut. Das Studium hat an Attraktivität verloren. Oft denkt sie darüber nach das Studium abzubrechen. die Patientin, erklärt, dass man ohne Kreativität dieses Studium nicht absolvieren könne. Ich frage sie nach den Gründen ihres Kreativitätsverlustes. Ihrer Meinung nach machte sie sich selbst zu viel Stress und Druck.
Sie versteht sich mit der Professorin gut – Mutterfigur.
Sie war in der Obhut der Mutter/Professorin.
Die Beziehung zur Mutter führte aber in eine hohe Abhängigkeit.
Wieso sollte sie also jetzt eine andere konfliktfreie Art von Beziehung zu einer mütterlichen Frau aufbauen?
Mit manchen Frauen versteht sie sich sehr gut, mit anderen nicht. Ich frage mich, wovon das abhängt. Abhängigkeit ist oft auch ein ausgeliefert/unterworfen sein und bewertet auch Regungen von Hass. Weil sie ohnmächtig und abhängig ist – entstehen auch Aggressionen.
Sie vereinigt sich mit der Professorin als einer idealen starken Persönlichkeit, damit sie an deren Stärke teilhaben kann. In diesem Fall ist es eine Art Spiegelübertragung. Sie spiegelt sich im Anderen und kann dadurch Fähigkeiten des Anderen aufnehmen. Das ist keine Abhängigkeit in erster Linie, sondern Anteilnahme an den Fähigkeiten des Anderen. Sie verfügt dadurch auch über dessen Fähigkeiten.
Ich frage mich, was passiert für die Patientin zwischen dieser Gruppe an Mitstudenten und der Professorin?
Ich frage die Patientin „Zieht sich die Professorin in gewisser Weise von Ihnen zurück da sie mehrere Leute zu betreuen hat? Verlässt die Professorin Sie dadurch so wie ihre Mutter Sie verließ? Hatten Sie vorher das besondere Augenmerk der Professorin und haben es dann verloren?“
Die Patientin meint: „Nein, im ersten Jahr bekam ich viel Aufmerksamkeit von meiner Professorin, sie mochte meine Arbeiten.“
Ich frage die Patientin „Was war in dieser kleinen Gruppe von neuen Mitstudierenden anders, dass Sie sich unter Ihnen so wohlgefühlt haben?“
Die Patientin antwortet: „Wir waren alle interessiert an Kunst – das verband uns miteinander. Ansonsten wahrscheinlich auch, weil wir alle reif und erwachsen waren. Innerlich habe ich mich verändert. Ich habe in mir auch auf Änderungen von außen reagiert.“
Was hat ihr die Kreativität genommen? Diese Eigenschaft der Patientin hat ihrer Professorin gefallen. Sie konnte aber ihr kreatives Selbstgefühl und den Wert in der Klasse nicht aufrechthalten und erlitt einen Einbruch. Ihr attraktives Selbstwertgefühl ging verloren. Kreativität ist ein Motor der innerlich attraktiv und wertvoll macht.
Ich frage sie: „Wie erklären Sie sich diesen Einbruch in der größeren Gruppe? Und wo bleibt die Professorin in dieser Geschichte für Sie?
Die Patientin sagt: „Unsere Professorin hatte für uns nicht mehr so viel Zeit, sie bekam jedes Jahr erneut eine Erstsemestergruppe, die sie intensiver betreuen musste.

5.1 Leben mit psychosomatischen Beschwerden

Ab dem Jahr 2009 ging es die Patientin nicht mehr gut. Viele körperliche Beschwerden traten auf: Abdominale Schmerzen, Allergien, Blasenkatarrh, Menstruationsbeschwerden, Kopfschmerz und erhöhte Werte der Schilddrüsenfunktion. Ihr Facharzt hielt sie zu jung für eine Schilddrüsenoperation. Stattdessen verschrieb er ihr ein Medikament. Wegen der anderen Beschwerden besucht sie verschiedene Fachärzte, jedoch ohne Erfolg. Hier handelt es sich eindeutig um eine somatoforme Störung. Es lagen Organbeschwerden vor, ohne medizin-ischen Befund. Dann suchte sie Heilung in der Alternativmedizin, z.B: bei Heilpraktiker, in der Akkupunktur, bei Yoga Seminaren und Ähnlichem.
Sie beschloss ein 10-tägiges Meditationsseminar zu besuchen, das mit Schweigepflicht verbunden war. Nach den Übungen am ersten Tag ging es ihr bereits schlecht. Sie hielt die Stille nicht aus und weinte sehr viel. Die Seminarleiterin empfahl ihr trotzdem weiterzumachen. Am nächsten Tag bekam sie Angstzustände und wollte das Seminar abbrechen. Nur mit Hilfe der Seminarleiterin hielt sie die 10 Tage durch, da diese beruhigend auf sie einwirkte. Trotzdem war die Patientin froh, als die Tage vorbei waren.

5.2 Kommentar des Autors zu diesem Text

Solange die Gruppe ihrer Mitstudenten auf der Uni noch klein war, ging es die Patientin gut. Da war die Welt für sie noch heil. Ich deute die kleine Gruppe als Familienersatz und die Professorin als Mutterfigur. Mit zunehmender Zahl der Studierenden ging es ihr schlechter. Das deutet auf Minderwertigkeitskomplexe hin.

5.3 Gegenübertragung

Da war ich mit meinen Gedanken bei den Eltern. Das vom Vater verordnete Wirtschaft -Studium lehnte sie ab und ging weinend nach Hause. Mir geht durch den Kopf:
Innerlich lehnt sie den Vater ab und zeigt dies bewusst als äußeres Zeichen dadurch, dass sie das von ihm für sie verordnete Studium missbilligt. Für ihre Mutter hält sie das zweite Studium bis zum Ende durch. Durch die Schwerpunkte Fotografie und Design fühlt sie sich sehr mit der Mutter verbunden, da diese ebenfalls ihre Vorlieben auf diesem Gebiet hatte. Danach findet sie keinen Job.
Die Problematik ist ambivalent. Diese Deutung kommt aus dem Beginn der ersten Phase der therapeutischen Zusammenarbeit durch eine Rekonstruktion der Erzählung aus der Vergangenheit. Bemerkenswert: immer wieder muss eine Familie gefunden werden, immer wieder eine Ersatzmutter erfunden werden, bei allen ihren Entscheidungen bemerke ich, dass diese nicht für sie getroffen wurden, sondern für andere, so wie Freud A, und Grubrich-Simitis beschreiben: Das ist eine Verstrickung des ödipalen Komplexes in Bezug auf Ich-Über-Ich. Elterliche Gebote und Anforderungen repräsentieren das Über-Ich in der kindlichen Psyche. Das Verlangen der Eltern drängt sich dem Ich auf. Archaische, triebhafte Objektbeziehungen und Identifizierung sowie Reaktionsbildung, die sich gegen sie selbst richten (Freud A, Grubrich- Simitis 2006).
Der Grund, dass die Patientin sich in kleinen Gruppen wohlfühlt, liegt darin, dass das Über-Ich auf Kleinfamilienstrukturen gründet. die Patientin, bleibt immer unreif und kann viele Entscheidungen nicht allein treffen. Planlos läuft sie herum. Für ihre psychosomatischen Zustände nimmt sie keine richtigen Therapien an. Ich bewundere wie sie die Nebenwirkungen verschiedener Symptome ihrer Beschwerden aushält. Die Patientin identifiziert sich mit meiner Rolle, indem sie mich am Stundenanfang fragt, ob ich bereit sei. Ohne ihre Familie schafft sie allein nichts. Also identifiziert sie ständig auch andere mit ihrer Familie oder Mutter, wenn es in ihrem Leben eine kleine Gruppe oder eine ihr sympathische Frau, z.B die Uniprofessorin, gibt.

5.4 Weitere Themen von Patientin

Sie lernt durch ihren Familien- und Freundeskreis einen Mediziner kennen, der um einige Jahre älter ist als sie. Bei ihm trifft sie auf Verständnis und Sympathie. Mittlerweile sind sie miteinander befreundet und treffen sich häufig zu gemeinsamen Unternehmungen oder zum Essen. Durch ihn fällt ihr Vieles im Leben einfacher. Sie erzählt ihm von ihren Problemen und er findet Lösungen für sie. Er ist für sie zu einem großen Bruder geworden, manchmal findet sie in ihm eine Vaterfigur. Er motiviert sie in ihrem Studium und bestärkt sie in ihrer Kunst. Er ist die erste Person, die sie motiviert eine Psychotherapie zu machen und Psycho- Pharmaka zu nehmen.
In welcher Übertragungsbeziehung steht der Arzt zur Patientin? Er und ich stehen in gewisser Weise in Beziehung zu die Patientin
Sie idealisiert uns beide als ideale Vaterfiguren bzw. wünscht sich den Mediziner als Bruderfigur.

5.5 Traum als Werkzeug des Unbewussten

Einmal träumt die Patientin, dass sie Sex mit einem Mann hat. Sie beschreibt dies als wunderschönes, lustvolles Erlebnis, welches sie sehr genoss und schildert dies, als ob es Wirklichkeit gewesen sei.

5.6 Traumdeutung

Das Traumgeschehen kann als wichtige Informationsquelle über die unbewusste Erlebens-weise gesehen werden. Es ist ziemlich naheliegend, dass sich bei der Patientin ihr Trauma, immer noch Jungfrau zu sein, auswirkt. Der Wunsch nach einer Sexualität, die nicht erfüllt ist, manifestiert sich im Traum.
Die Gegenwart stellt eine Beziehung zu der früheren Zeit her.
Ich frage Die Pat: „Wie erleben sie sich jetzt in der Gegenwart, dass dieser sexuelle Traum auftaucht?“ Sie meint, sie fühle sich wohl in ihrer Haut. Die Gegenwartssituation in der Zeit, in der sie den Traum hatte, ist also nicht unwesentlich. Auf die Frage ob sie den Mann aus ihrem Traum beschreiben kann, sagt sie, er sei ein ihr völlig Unbekannter.
Wünsche die in der Wirklichkeit im Bewussten nicht erreicht werden, können durch den Traum unbewusst erfüllt werden. Im Traum wird Sinnlichkeit erlebt und die aggressive Jungfräulichkeit bzw. problematische Sexualität wird unterdrückt.
Zitat: „Der Traum ist eine Befreiung des Geistes von der Gewalt der äußeren Natur, eine Loslösung der Seele von den Fesseln der Sinnlichkeit.“ (Freud S, 2006 , S.78.)
Manchmal will die Pat nicht zurück in ihre Kindheit bzw. in die Vergangenheit schauen, denn vieles war nicht so schön für sie. Sie musste ständig mit Angst und Unsicherheitsgefühlen leben. “Ich fühle mich als eine sehr leere und empfindliche Person.“ Oft liegt sie im Bett und will nur schlafen, als ob sie das Leben verschlafen wolle.
Eine Leere kann durch ein narzisstisches Vakuum entstehen.
Wenn sie sagt, sie könne sich nicht in ihr Ich einfühlen, hat das weniger durch äußere als durch innere Umstände zu tun. Die Leere kommt aus der nicht gut organisierten Freizeit zustande. Dadurch fühlt sich die Patientin unausgelastet und unzufrieden.
Mittlerweile hat sich dieser Zustand aber zum Positiven hin verändert.
Sie kann sich an den ersten Besuch bei der Gynäkologin erinnern. Der Grund des Arztbesuches waren ihre regelmäßigen Menstruationsbeschwerden. Während der Untersuchung wurde ihr plötzlich übel und kurz darauf wurde sie ohnmächtig. Eine Ohnmacht bedeutet oft, dass einem etwas zu viel wird.
Dies deutet auf eine strukturelle Ich-Schwäche hin; dass sie dem nicht gewachsen ist. Ich notiere: Gynäkologe – Wieder ein Zusammenhang mit dem Gebiet der Sexualität.
Im Sinne von Mentzos, der besagt, die Angst vor der Untersuchung bedroht und destrukturiert das Ich. Das Ich wird überschwemmt oder fragmentiert. Wenn es zu viel wird, schaltet es sich aus – man wird ohnmächtig (Mentzos 2010).

Ab dem Jahr 2012 begreift die Patientin zum ersten Mal, dass nur eine Psychotherapie ihr helfen kann und sie sagt sie bereut nicht, den Weg zu mir gefunden zu haben. Die ihr vom Psychiater verordneten Medikamente helfen ihr auch. Sie nimmt zwei antidepressiv wirksame Medikamente. Am Anfang lehnte sie diese ab, mittlerweile verträgt sie die Tabletten aber gut.
Die Pat: “Ich glaube, die Psychotherapiestunden und die Medikamente helfen mir. Die Stimmungsschwankungen haben sich verbessert, sind viel leichter und erträglicher geworden.“

5.7 Erste Diagnose zum Prozessverlauf

Diagnostik nach ICD-10 V F
Laut ICD-10 V. F:
International Classification psychischer Störungen ICD-10 Kapitel V. F
– Generalisierte Angst Störung F 41.1
– bipolar affektive Störung, gegenwärtig mittelgradig depressive Episode F31.3
(Dilling 2011).
Auf Grund der vorliegenden Daten und der biografischen Schilderungen, insbesondere der interaktionellen Erfahrungen, stellt sich für mich folgendes diagnostisches Bild dar:
Die vorliegenden unterdrückten Aggressionen und Selbstschutzimpulse sehe ich als vorherrschende Abwehrmechanismen:
“Identifikation mit den mütterlichen Idealen und die Suche nach einem Vaterersatz.“ So wie Mentzos meint, die vorliegende Diagnose kann als eine neurotische depressive Konfliktverarbeitung des Angstmodus gesehen werden. Die Hauptproblematik ist der Angst – bzw. der Selbstwert Konflikt. Zwischen beiden vermute ich einen ödipalen Konflikt, einen vorwiegend passiven Modus von Entscheidungsunfähigkeit. Strukturell ist sie auf geringem Integrationsniveau. Angst- und Selbstwertregulierung sind gering. Deutlich ist, dass sie durch ihre Impulssteuerung entweder davonlaufen oder es verschlafen will. Oft lässt sie zu, dass Andere für sie entscheiden. Ich erlebe die Patientin sehr depressiv und verunsichert. Ein depressives Verhalten begleitet sie fast immer. Ich erlebe sie leidend (Mentzos 2010).

5.8 Selbstbild

Die auf sich bezogene Selbstentwertung betont sie immer wieder. Die Selbstwahrnehmung ist schwach integriert. Identität ist ebenfalls gering integriert. Der körperliche Zustand durch die psychosomatischen Symptome bzw. „Tonversionsstörungen“ sind beeinträchtigt. Im Bereich von Bindung und Kontakt schließe ich auf eine starke strukturelle Beeinträchtigung.

5.9 Feststellung des Autors

Die Patientin leidet an depressiver Verstimmung, im Vordergrund stehen Angst und Minderwertigkeitskomplexe. Die Stimmungslage ist insgesamt als labil zu beschreiben. Im sozialen und beruflichen Bereich ist sie beschränkt. Die depressive Verstimmung und die Minderwertigkeitsgefühle sind Somatisierung Zustände.
Die am Anfang thematisierte bipolare affektive Störung kann eventuell aufgrund ihrer Indienreise und der Busfahrt durch die Himalaya Region als hypomanisch bezeichnet werden. Wieso traut sich die Patientin sonst in ihrem Zustand nach Indien zu fahren? In ihrem Zustand würde ich mich nicht einmal ins Freibad trauen. Ich kann allerdings keine bipolare affektive Störung feststellen. Am wahrscheinlichsten würde eine Dysthymie in Frage kommen, da sich ihre Depression durch ihr ganzes Leben hindurchzieht. Allerdings in Verbindung mit einer Persönlichkeitsstörung auf einem strukturellen Niveau.
Passive Entscheidungen können Entscheidungen sein, die sie von anderen übernimmt. Jungfräulichkeit: Gefahr der Überschwemmung und Fragmentierung des Ichs – in meinen Augen ist dies eine strukturelle Ich-Schwäche.
Identifikation (mit der Mutter) könnte ein Abwehrmechanismus sein. Die Suche nach dem Vaterersatz ist kein Abwehrmechanismus.
Selbstschutzimpuls kann auch Ohnmacht sein.
Abhängigkeit auf niederem Strukturniveau des Ich
Neurotisch-depressiv zu sein bedeutet, dass ein Verlust nicht nur mit Trauerarbeit integriert werden kann, sondern dass man festhält was man verloren hat – das kostet Kraft.
Angst kann einerseits vor der psychischen Oberfläche des Sexuellen bestehen, andererseits aber vor der sexuellen Angst des Ichs vor der triebhaften Energie sein.
Es ist nicht nur ein sexueller Konflikt, sondern auch eine tiefer liegende Angst, die mit der Sexualität verbunden ist.

5.10 Zwischen den Konflikten liegt ein negativer ödipaler Konflikt

In dem Fall von der Patientin bedeutet dies, dass der Vater als Gegner und Aggressor erlebt wird und die Mutter die nahestehende Person in der Beziehung ist. Es besteht eine symbiotische Nähe zur Mutter. Das ist unter dem ödipalen Niveau. Und der Vater bedroht diese Symbiose. Das erscheint mir naheliegend, so wie ich die Patientin bisher einschätze. Sie ist in dem Sinn keine „reife Neurotikerin“.
Strukturell ist sie auf einem niedrigen Integrationsniveau. Das Konfliktmaterial des ödipalen Niveau … die Patientin. ist psychisch nicht stark genug.

5.11 Die Diagnose nach ICD-10 V F

Wie anfangs beschrieben wurde, konnte ich eine strukturelle Ich-Störung, Minderwertigkeitskomplexe, Probleme mit weiblicher Identität Sexualität feststellen, und
– Generalisierte Angststörung F41.1 /DSM-5 Code 300.82
– bipolare affektive Störung, gegenwärtig mittelgradig depressive Episode F31.3
(Möller et al. 2005).
Diese leichte depressive Episode mit somatischem Syndrom und generalisierte Angststörung kommt gegenwärtig nicht mehr vor. Auch die Sozialphobie ist geheilt durch die Einnahme von Medikamenten und Psychoanalyse (Dilling et al. 2011).

Prozessverlauf und Interaktion
der ersten 40 Stunden. Themenbezug der Patientin:
– Generalisiertest und Minderwertigkeitsproblematik
– Ihre Jungfräulichkeitsproblematik
– Passive Entscheidungen
– Problematik ihres aktuellen Studiums an der Universität
– Zunahme der detaillierten Erinnerungen aus der Kindheit und Adoleszenz
a.) Bereiche Symptome ihrer depressiven Stimmung und der daraus folgenden psychosomatischen Beschwerden.

5.12 Arbeiten mit Übertragung und Gegenübertragung

In vielen Sitzungen ist mir die depressive Stimmung und Selbstwertproblematik insbesondere in den ersten 40 Stunden aufgefallen. Die Patientin erscheint immer wieder mit den gleichen Mustern, z.B. bei der Begrüßung. Fast immer pünktlich, einmal fünf Minuten früher. Die äußerliche Erscheinung zeigt eine attraktive, modisch gekleidete junge Frau. Manchmal wirkt sie wie eine Puppe. Sie gibt mir stets einen kraftlosen Händedruck zur Begrüßung. Der Händedruck bei der Begrüßung oder Verabschiedung sagt oftmals viel aus. Ob zart, vorsichtig oder vermeidend.
Manchmal erlebe ich Spannung durch die Materialien, der Pat. bringt. Wenn ich beispielsweise von der Nähe der Mutter höre, empfinde ich eine Spannung in mir und habe das Bedürfnis aktiv zu sein. Ich muss sie mit dem Thema „Nähe zur Mutter“ konfrontieren und sie fragen:
„Mir fällt auf, wie nahe sie ihrer Mutter stehen und wie schwer es für Sie ist einen Abstand zu ihr zu halten. Wie glauben sie würde es Ihnen gehen, wenn Sie sich von ihrer Mutter ein wenig entfernen? Ginge das überhaupt für Sie?
Ich notiere: Möglicherweise hat die Konfrontierung einen problematischen, aber heilenden Effekt.
Was geht denn in der Patientin vor, wenn sie während des Gesprächs abwesende Gedanken- Momente hat. Sie meint, in Gedanken versunken zu sein und diese zu sortieren.
Ich nehme zur Kenntnis, dass etwas in ihr vorgeht, aber bedränge sie nicht sich zu äußern, wenn sie dies nicht möchte. Es wäre gut, wenn sie sich selbst wieder in das Gespräch einbringt.
„Ich habe das Gefühl, dass Sie gedanklich mit etwas anderem beschäftigt sind?“
a) Themen sind meistens bunt gemischt. Wiederholung betreffend ihre Jungfräulichkeit, Angstzustände vor der Zukunft und Hierarchieproblematik in ihrer großen Familie.
Ihre Erzählungen wirken auf mich rührend, bald scheint mir ihre Thematik klar. Ich kann ihr Leid nachvollziehen und mich hineinversetzen. Manchmal langweile ich mich durch Wiederholung der Themen. Manchmal ist sie auch abweisend. Dann wiederum legen wir gemeinsam eine Pause ein. Hin und wieder erzählt sie zu schnell, sodass ich schwer mithalten kann.
b) Manchmal wünsche ich mir, dass sie etwas langsamer erzählen sollte, damit ich meine Frage stellen kann. In der Regel bin ich derjenige der still ist. Sie ist diejenige, die ständig präsent ist. Es gibt immer wieder Themenwiederholungen, wie Angst oder Vergleich mit anderen. Die Familie oder ihr Bruder kommen nicht oft vor. Jetzt verstehe ich, warum sie ihren befreundeten Mediziner gerne als großen Bruder hätte. Die anderen in ihrem Alter sind zumeist verheiratet bzw. haben Partner, sie jedoch nicht. Da spüre ich ihren Leidensdruck. In der kurzen Pause fühlt sie sich manches Mal gut, wenn es um Erkennen oder Bewusstwerden geht. Es gibt auch andere Momente, wo ich keine Entspannung spüre und aktiv werden möchte.
Während der fallweisen Abwesenheit ihrer Gedanken bin ich derjenige, der daran interessiert ist, was sie gerade denkt und nehme wieder unser Interview auf.
Auf die Frage: “Was denken Sie jetzt?“ bekomme ich eine neue Perspektive des Themenbezuges. Nach weiteren therapeutischen Stunden bemerke ich, dass die Patientin den Dialog wieder aufgenommen hat. Meistens kreisen ihre Themen um die auf sich bezogenen Probleme, den Leidensdruck in ihrer Kindheit, erwartete Partnerfindung und Zukunftsängste. die Patientin erzählt sehr nervös und steht unter Hochspannung. Sie ist oft nach der Stunde aufgewühlt, kraftlos, antriebslos. Zu Hause muss sie gleichsam unter Zwang in ihrem Kleiderschrank Ordnung schaffen. So verstehe ich, dass sie äußerlich Ordnung machen will, wie sie es sich für ihr Innenleben wünscht. Ausgedrückt über das Ordnungsprinzip in der Realität, gelingt ihr auch die Wiederherstellung der innerlichen Ordnung.
In einer Therapiestunde bemerke ich einmal, dass die Patientin gerade von einem Uni Kolleg kommend, auffallend verunsichert wirkt. Sie ist nachdenklich, fühlt sich frustriert und gestresst, weil im nächsten Uni Seminar ihre Fotografien präsentiert werden müssen. Da brechen ihre Ängste heraus, und sie meint, dass ihre Arbeiten nicht so gut seien wie die ihrer Mitstudenten. Obwohl sie in der Stunde durch diese Gedanken abgelenkt ist, gelingt es mir, ihre Aufmerksamkeit durch gezieltes Nachfragen wieder herzustellen.
„Welche genauen Veränderungen sind geschehen, dass Sie ihre Kreativität eingebüßt haben?“

5.13 Kreativität ist Phantasieentwicklung

Frage: „Ist ihre Gedankenwelt jetzt eingeengt? Ist ohne die Unterstützung der Professorin Ihre Kreativität eingeschränkt?“ Antwort: “Die Gruppe ist zu groß. Ohne meine „Mama“ will ich nicht spielen, kann ich nicht kreativ sein, will ich nicht funktionieren.“
In der Interaktion kann das Über-Ich so zu verstehen sein, dass weiterhin an der inneren Ordnung gearbeitet wird. Die vielen Reiseaktivitäten sind als Ablenkung von ihrem Minderwertigkeitskomplex und ihrer Unsicherheit zu verstehen, damit die ihrer dysfunktionalität Lebensbewältigung vertuscht werden soll.
In meiner Gegenübertragung erlebe ich mich durch meine Patientin als ihr Idealvater.
Ich fühle mich ohnmächtig ihr ein Lösungsmodell für ihr Leben, z.B. im Hinblick auf Partner- Findung zu eröffnen. Ich versuche aber in dieser Situation gemeinsam mit der Patientin ein solches zu entwickeln.
Innerlich bin ich manches Mal auf den Vater wütend oder auch auf die narzisstische Mutter. Die Schilderungen von die Patientin, erscheinen mir hin und wieder, als wolle sie mein Mitleid hervorrufen, insbesondere bei der Inszenierung „wie arm sie doch ist“. Wenn ich ihre Erwartungen nicht erfülle, zeigt sie sich mir gegenüber weniger freundlich. Mit einem strengen Gesichtsausdruck sitzt sie dann da und verdreht die Augen. Wenn sie allerdings Verständnis für Inhalte und Gründe meiner Abstinenz aufbringen kann, ist alles wieder in Ordnung bei ihr.

5.14 Theorien zu den Angstzuständen

Nachdem oft das Thema Angst vorgekommen ist, möchte ich mich mit ihrem Angstkonflikt auseinandersetzen. Angstkonflikt manifestiert sich in Form von Abwehrvorgängen. Bewusste Inhalte, die Angst erzeugen, werden vermieden. Vorstellungen und Gefühle werden belangloser. Die Patientin bekam Angst in der Menschenmenge und geriet in Panik. Weglaufen war die einzige Möglichkeit diesen Zustand zu bewältigen. Flucht bedeutet der Angst auszuweichen.
Die Patientin entzieht sich der Ursache ihrer Angst. Sie vermeidet die Angstauslösung. Sie fühlt sich vorläufig gerettet, indem sie wegläuft. Die Angst wird durch die Flucht auf unbekannte Zeit aufgeschoben.
Den Hauptabwehrmechanismen stellt die Symptombildung dar: die Angst, die aufgeschoben ist. Es handelt sich um Veränderung der unbewussten Mechanismen, die ursprünglich begründet sind. Die Menschenmenge wird von der Pat. als gefährlich empfunden, d.h. aus innerer Gefahr wird eine äußere konstruiert. Der Ort der Angst ist das Ich und das Ich fühlt sich bedroht und das ist die Angst. Wo eine Menschenmenge ist, gibt es eine Verführungssituation für die Patientin, daher machen ihr Menschen auch Angst. Das wäre eine mögliche Erklärung für ihre Flucht. Eine sexuelle Flucht. Menschen können für sie auch eine Gefahr darstellen außerhalb der Verführungssituation, weil sie sich so hilflos, ausgeliefert, schutzlos und bedroht fühlt.
Mentzos meint, dass in der psychoanalytischen Aufklärung Angst/ Phobien in Zusammenhang mit Genitalien und ödipalen Konflikten stehen. Dies wird als dyadisches Mutter-Kind Beziehung bezeichnet. (Mentzos St, 2010).
Genitalien bedeuten für die Patientin Angst vor der Verführung. Bei der Angst der Verdrängung von innen nach außen gibt es, laut List, eine Verbindungslinie zwischen reaktiver Angst vor äußerer Gefahr und der Angst vor Triebgefahr. Der Pat. bekam Signalangst, mit der ihr psychischer Zustand auf drohende traumatische Gefahr reagierte. Aus der Signalangst wird eine überschwemmende Angst. Sie löst bei ihrem Fluchtimpulse aus (List 2009).
Flucht vor Menschen ist eine Flucht vor Triebgefahr. Sie fühlt sich bedroht von der Menschenmenge, unter anderem auch sexuell.

5.15 Angstzustände und Depression

Objektverlust: bei der Pat. stehen einmal Angstzustände, dann wiederum Minderwertigkeitsgefühle im Vordergrund. Wenn die Mutter nicht vorhanden ist, schützt diese sie auch nicht, deswegen hat sie Angst vor deren Verlust.
Ich erlebe bei ihr immer wieder in mehreren Sitzungen den Verlust von Sicherheitsgefühlen, Liebe, Anerkennung und Wertschätzung

5.16 Der Traum

Bei der Schilderung einer ihrer Träume beschreibt sie, dass sie einen Raum betritt, in dem viele Menschen versammelt sind. Auch ihre Mutter ist anwesend. Als sie den Raum betritt, bekommt sie großen Applaus. In diesem Raum werden ihre Fotografien ausgestellt. Sie ist so glücklich und stolz darauf, dass ihre Werke den anderen Menschen gefallen.

5.17 Traumdeutung

Im Traum geht es um eine Wunscherfüllung, die nicht vorhanden ist. Der Traum soll ein Zeuge für die Pat sein, und ihr zeigen, wie erfolgreich sie ist.
In Wirklichkeit geht es um Manifestation ihrer unterdrückten Minderwertigkeitsgefühle, und dies wird im Traum als erfolgreiche Anerkennung verarbeitet. In diesen gut erlebten Momenten des Traumes steht nicht die psychische Existenz des Objektes in Frage, sondern der Objektverlust der zur Depression führt.
Ihre körperlichen Merkmale sind angstüberflutet. Dies wird offensichtlich durch die Pulsfrequenzsteigerung, durch Bluthochdruck, Schweißausbrüche, Gesichtsrötung und andere vegetative Erscheinungsbilder. Die aufgestaute sexuelle Energie kann der Tatsache der Jungfräulichkeit nicht standhalten. Die Patientin möchte ihre Jungfräulichkeit aufgeben, hat aber gleichzeitig Angst vor Sexualität. Dieser Konflikt drückt sich somit in den körperlichen Merkmalen aus. Aspekte des fragilen, schwachen Ichs von der Patientin. werden in den eigenen Körper projiziert. Ich denke, der Konflikt „Jungfräulichkeit und Sexualität – Angst und Wunsch“ kann diese Symptome erzeugen.
Die enge Beziehung zwischen ihr und der Mutter berechtigt zu der Vermutung, dass dieser ein struktureller Mangel zu Grunde liegt. Die Selbstrepräsentanz ist einfach labil. Bei dieser Patientin bemerke ich verdrängte Aggressionen. Das wird mir bei der Erzählung aus der Kindergartenzeit bewusst, als sie auf andere Kinder losgeht. Ebenso durch den Widerspruch, nicht mehr Jungfrau sein zu wollen, aber Angst vor einer sexuellen Beziehung zu haben. Dieses Verhalten ist als Affekt der Psychodynamik zu beschreiben. Wenn ihre Autonomiebestrebung gefährdet ist, entstehen Aggressionen. Der Vater schleppt sie zum Kindergarten ohne Rücksicht auf ihr Geschrei.
Durch das Hauen der Kinder oder dem Zwang während der Schlafenszeit gemeinsam herum zu hüpfen statt zu schlafen war sie in hohem Maße aggressiv und hat ihre Aggressionen ausgelebt. Die Patientin hat einen Aufstand inszeniert.
Wenn eine Menschenmenge bei der Patientin Angstzustände auslösen kann, zeigt dies, dass sie sich den anderen Objekten unterlegen fühlt, was zu einem narzisstischen Rückzug führt, wie List schon beschreibt. (List E, 2013).
Sie läuft schnell nach Hause und flüchtet ins Bett oder aufs Sofa.

5.18 Weitere Thermen im Prozess Verlauf

Die Patientin berichtet weiter von ihren schlimmen Zeiten im Leben. Der Vater war immer streng. Er zwang sie von Kindheit an bis in die Pubertät hinein kurze Haare zu tragen. Er hätte statt ihr lieber einen Buben gehabt. So zwang der Vater die damals Sechsjährige beispielsweise zum Essen von Orangen, trotz Weigerung und Weinen ihrerseits, und filmte das Geschehen sogar mit einer Videokamera. Im Video hört man seine Stimme im Hintergrund, lachend, während seine Tochter das Obst runterwürgt, schluchzt und weint. Seither isst die Patienten nur ungern Obst, besonders vermeidet sie den Verzehr von Orangen.
Die Erzählung dieser Misshandlungen bringt sie in einen sehr weinerlichen, depressiven Zustand. Auf meine Frage, ob sie wütend auf den Vater sei, bejaht sie dies, fügt aber hinzu, traurig zu sein. Sie versteht nicht, was er ihr angetan hat. Wiederholt erzählt sie auch vom dem erzwungenen Klavierspielen.
In der Darstellung der Beziehung zu ihrem Vater, erhalten männliche Personen eine gewalttätige, grobe, erniedrigende Funktion. Ein positiver Ödipuskomplex durch den Vater ist nicht gegeben. Sie flüchtet aber zur Mutter. (Negativer Ödipuskomplex).
Dies erklärt, warum sie Angst davor hat einen Mann an sich heranzulassen und damit auch, trotz ihres Wunsches eine Beziehung zu anderen Männern einzugehen, jungfräulich bleibt.
Zu ihrer verstorbenen Oma väterlicherseits hatte sie keine innige Beziehung. Diese war auch so streng wie ihr Sohn, konnte aber sehr gut Klavierspielen. Nach dem Tod der Oma besucht, die Patientin leerstehende Wohnung. Plötzlich hört sie das Lieblingsklavierstück der Oma in der Wohnung ertönen. Dieses Phänomen bezeichnet die Patientin. als Realität.
Ich erkläre mir dieses Phänomen als Flashback, als eine posttraumatische Reaktion, wo durch ein Trauma wieder in Erinnerung gerufen wird. Im Fall von dieser Patientin ist es ein Flashback in Form einer akustischen Halluzination. Sie hört die Melodie, die sie sowohl an die traumatischen Ereignisse als auch an die Oma erinnert. Etwas das sie verdrängt hat, ist für sie sinnlich wieder wahrnehmbar – ein Abkömmling des Unbewussten. Das Verdrängte taucht wieder auf. Die Verbindung mit der Geschichte wird verkappt: sie sagt, sie höre die Melodie wirklich, obwohl in Wirklichkeit niemand auf dem Klavier gespielt hat.
Auf meine Frage an die Patientin was sie darüber denke, warum sie die Melodie gehört habe, folgt als Erklärung, dass das Gespenst der Oma Klavier gespielt habe. Sie hat das Gespenst aber nicht gesehen.

5.19 Übertragung und Gegenübertragung

Ich selbst verstehe die Misshandlungen durch den Vater nicht und sehe ihn als hoch-pathologisch verankert (sadomasochistisch). Die Mutter ist nicht präsent, weil sie sich ihrem Mann unterordnet und so ihre Tochter nicht in Schutz nimmt, beispielweise wurde die Patientin gezwungen eine Orange essen. Ich erlebe den Vater als dominant und rücksichtslos. Es fällt mir auf, dass die Patientin ihre Wut auf den Vater nicht genügend zum Ausdruck bringt. Sie will ihn nicht als unguten Vater wahrnehmen, seine Arbeit für die Familie und die Hilfestellung bei den Hausübungen rechnet sie ihm positiv an. Obwohl die Mutter sie nicht beschützte, wird sie idealisiert.

5.20 Kurzbehandlungsplan für die Patientin

Es wird daher geplant, die enge Beziehung zwischen ihr und der Mutter zu einer normalen, altersgemäßen Beziehung umzuformen. Die Psychodynamik muss in Betracht gezogen und Lösungsmodelle müssen gesucht werden. Das ist nur möglich, wenn unbewusste Zustände bewusst werden. Bewusstmachen des Unbewussten. Ihr mit Deutungen etwas bewusst machen, was sie so noch nicht sehen kann.

5.21 Veränderung der Patientin im Prozessverlauf

Was verändert sich im Lauf des Prozesses bei der Patientin? Wie kann man erklären, dass sich die Patientin verändert?
Die Patientin denkt zu Beginn, dass sie eine gute Beziehung zu ihrem Bruder hat. Als ich sie jedoch darauf aufmerksam mache, dass dies nicht der Fall ist und in der Vergangenheit immer eine Rivalität zwischen den beiden herrschte, wird der Patientin dies auch klar. Sie nimmt zur Kenntnis, dass ihre Beziehung zu ihm neu gestaltet werden müsse, um wirklich gut zu sein.
Als ich die Patientin beispielsweise damit konfrontierte dass eine Abhängigkeit in der Beziehung zu ihrer Mutter gegeben ist, wehrt sie dies verneinend ab. In kurzer Zeit kann sie dies aber schließlich einsehen und annehmen.

5.22 Positive Veränderung der Patientin

Die Patientin hat gelernt in gewissen Situationen „Nein“ zu sagen, sie ist aufmerksamer, wenn es darum geht ihre eigenen Bedürfnisse zu äußern und für sie einzustehen. Zum Beispiel begreift sie ihre Kunst als wertvoll und verkauft sich nicht mehr unter ihrem Wert. Außerdem kann sie sich auch besser abgrenzen, z.B. in Situationen, in denen sie sich überfordert oder ausgenützt fühlt.
Diese positiven Veränderungen waren ein schrittweiser Prozess. Der Patientin werden ihre alten Muster bewusst und sie kann darauf besser reagieren.

5.23 Jobsituation der. Patientin

Für kurze Zeit arbeitet sie in einem kleinen Unternehmen als Grafikdesignerin. Zu Beginn ist alles in Ordnung, auch der Verdienst ist gut. Danach zeigte sich ihr verheirateter Chef an ihr interessiert, z.B. musste sie mit ihm essen gehen und ihm Kaffee kochen. Sie fühlte sich sexuell bedrängt, auch die Arbeit ausschließlich am PC langweilte sie zunehmend. Die Forderungen ihres Chefs vermehrten sich, sowohl beruflich als auch privat. So ging das ein Jahr hindurch.
Die Forderungen ihres Chefs die Freizeit miteinander zu verbringen oder mittags gemeinsam zu essen, finde ich übergriffig. Er zwingt sie gewissermaßen sich ihm zu unterwerfen und nützt seine Macht auf sie aus. Andererseits fühlt sie sich von ihm auch sexuell bedrängt. Das finde ich abscheulich.
Im gleichen Bürogebäude lernt sie einen jungen Unternehmer kennen, dem sie ihren Wunsch nach einem Wechsel des Arbeitsplatzes mitteilt. Daraufhin schlägt der Unternehmer ihr vor, für seine Firma zu arbeiten. Mit einer einvernehmlichen Kündigung geht sie vom alten Arbeitgeber zum neuen. In kurzer Zeit übersiedelt die neue Firma in einen anderen Bezirk. Dort arbeitet sie nur Teilzeit, was ihr gefällt, da sie die 20 Stunden auch von daheim aus auf ihrem Laptop abarbeiten darf. Parallel dazu beginnt sie ihr Fotografie Studium an der Universität. Für die neue Teilzeitarbeit bekommt sie 800 Euro netto. Für sie ist es ein erster Schritt zum Erfolg, etwas alleine geschafft zu haben.
Mittlerweile muss sie aber wieder im Büro arbeiten, sitzt viel vor dem PC. Die Arbeit im Büro zieht sich über vier Jahre hin. Sie hat eine gute Beziehung zum Chef und zu ihren Kollegen. Niemand kontrolliert sie.
Manchmal ist sie jedoch unzufrieden, weil sie lieber als Fotografin arbeiten möchte anstatt in einem Büro. Sie betrachtet diese Arbeit nur als notwendigen Lebensunterhalt während ihres Studiums. Sie kann so weiterstudieren und ein bisschen Geld sparen, da sie nach wie vor zu Hause bei den Eltern wohnt. Wenn sie Geld für Reisen oder für andere größere Ausgaben benötigt, bekommt sie von ihrer Familie eine finanzielle Unterstützung.
Somit ist der Bereich des Umgangs mit dem Abteilungschef und den Kollegen ein dankbares Feld. Auf die Frage, ob sie auch nein sagen kann, antwortet sie, es gelingt ihr ab und zu. Die Patientin scheint eine gewisse neue Veränderung zu durchleben. Zur Stunde kommt sie mit offenem Haaren und leicht geschminkt. Ihre Selbstwahrnehmung ist endlich ein wenig gestiegen. Stolz lässt sie nun ihr Haar wachsen, „die Zeiten des erzwungenen Kurzhaarschnittes sind vorbei“, sagt sie.

5.24 Das Leben und das soziale Umfeld von der Patientin

Sie erwähnt ihren Freund, den Mediziner und bezeichnet ihn als seelenverwandt. Er unterstützt sie immer wieder. Über eine Internet Seite zum Thema Fotografie lernt sie einen Hobbyfotografen aus Berlin kennen. Sie verstehen sich gut und tauschen sich fachlich aus. Einmal besucht sie ihn vor Ort, ein andermal lädt sie ihn zu sich ein.
Auf die Frage, ob er mehr als nur ein guter Freund sein könnte, antwortet sie, er sei nicht ihr Typ und außerdem homosexuell. Ihr gemeinsames Hobby, die Fotografie, verbinde beide. Vor ihm hat sie keine Angst, er stellt keine Gefahr bezüglich einer sexuellen Bedrohung dar, es gibt also kein Risiko. Zum befreundeten Mediziner pflegt sie weiterhin ein freundschaftliches Verhältnis und hat Vertrauen zu ihm.
Die Homosexualität des Hobbyfotografen schützt sie und ermöglicht ihr eine freundschaftliche Beziehung zu einem Mann ohne Risiko.

5.25 Der junge Mediziner

Sie wünscht sich eine brüderliche Beziehung zum Mediziner. Sie hat sich einen Idealen Bruder geschaffen. Auch ihn macht sie zu einer Figur, die für sie nicht bedrohlich ist und sie auch nicht für ihn. Sie klammert die Möglichkeit aus, diesen Mann zu begehren. Ich notiere: Ihr ursprünglicher Wunsch ihre Sexualität auszuleben wird ausgeklammert. Auf meine Frage: „Könnten Sie sich nicht eine Beziehung mit diesem Mann vorstellen?“ antwortet sie „von Anfang an war uns beiden klar, dass wir nur eine freundschaftliche Beziehung wollen. Ich fühle mich von ihm auch nicht begehrt.“
Es erscheint mir, dass die Patientin drei entsexualisierte Männer um sich hat; den Mediziner, den Hobbyfotografen und mich. Alle drei stellen für sie keine Gefahr dar. Es ist mir jedoch klar, dass ihre Beziehung zu dem Mediziner eine Verleugnung ihrer Gefühle mit sich bringt. Denn für ein Verhältnis mit ihm spricht eigentlich nichts dagegen, nur bleibt er selber auch abstinent und macht keine Anstalten, um die Pat. näher zu kommen.

5.26 Traum von der Patientin

Bevor sie ihren Mediziner-Freund kennenlernte, hatte die Patientin einen Traum. Im Traum begegnete ihr das Ebenbild des Freundes. Sie lehnte sich an seine Schulter und die gegenseitige Sympathie war groß. Sie hatte das unmittelbare Gefühl, dass er sie versteht, besser noch als sie sich selber versteht.
Das erste Mal, als ihre Familie ihn zum Essen einlädt, wird ihr bewusst, dass er der Mann aus ihrem Traum ist. Er hat eine beruhigende Art, versteht ihre Probleme mehr als jeder andere aus ihrem Freundeskreis. “Er nimmt mich so an wie ich bin. Er versteht mich ganz einfach, durch ihn habe ich meine Welt besser verstanden. Wir haben eine besondere Freundschaft. Ich möchte ihn nicht mehr vermissen.“

5.27 Traumdeutung

Mir erscheint, dass im Traum der die Patientin der Wunsch nach ihrem Prinzen erfüllt wird, bei der Begegnung mit dem Mediziner-Freund vermischt sich ihr Phantasiebild mit der Realität. Dieser Mann bedroht sie nicht mit Sexualität und stellt daher keine Gefahr für sie dar.

5.28 Verdrängung der Beziehung zu ihrem Bruder

Auf meine Frage, weswegen sie kaum über ihren sechs Jahre jüngeren Bruder spricht,
gibt sie zur Antwort, dass sie ein normales geschwisterliches Verhältnis verbinde. Weiter erzählt sie, ihn schon als Neugeborenen sehr geliebt, mit ihm gekuschelt und gespielt habe.
„Eigentlich habe ich mir eine Schwester gewünscht. Ich habe ihn manchmal als Mädchen verkleidet. Ich war nicht auf ihn eifersüchtig, oder …“
Pause…
„Worüber denken sie nach?“ frage ich.
„Ich kann mich an die Familienausflüge erinnern. Es war nett, wir haben nicht gestritten, aber ich wollte immer im Mittelpunkt sein. Ich habe meinen Bruder beschützt, wenn wir mit fremden Kindern gespielt haben. An den Wochenenden, an denen meine Eltern in der Früh lange schliefen, spielte oder schaute ich Videos mit ihm“.
„Warum wollten sie im Mittelpunkt stehen?“
„Ich nehme an, weil ich eifersüchtig auf meinen Bruder war, weil ich die Aufmerksamkeit meiner Eltern mit ihm teilen musste und ich war das nicht gewohnt, weil ich mit 6 Jahren noch Einzelkind war.“
Weiteres kann sich die Patientin erinnern, dass sie mit ihrem Bruder einmal allein zu Hause war. Der Kleine war lästig, hat oft absichtlich gefurzt, bis er sich seine Hosen vollmachte. Sie war wütend auf ihn.
“Dann habe ich ihn in die leere Badewanne gesetzt, mich aber geweigert ihn zu waschen. Er sollte in der Badewanne warten, bis die Eltern kommen“. Zu dieser Zeit war er vier Jahre alt. Tatsächlich blieb er dort sitzen bis zur Rückkehr der Eltern, das dauerte jedoch einige Stunden.
Ich frage: „Was haben die Eltern dazu gesagt, dass ihr Bruder stundenlang in der leeren Badewanne mit schmutziger Hose gesessen ist?“
Die Patientin sagt: „Nichts. “
Ich erkläre mir diesen Sachverhalt zwischen den Geschwistern einerseits als einen Ausdruck von Aggression, weil die Ältere den Jüngeren ihre Hilfe verweigert hat, andererseits als eine Ekelreaktion des Mädchens.
Ich denke, dass dieses Erlebnis in der Präpubertät der Schwester möglicherweise einen Einfluss auf ihren späteren Ekel vor Männern ausgeübt hat.

5.29 Der Hoffnungsträger der Familie ist ein angeschissenes Kind

Einerseits ist der Bruder das Wunschkind des Vaters, andererseits ist er schmutzig und stinkt. Der Hoffnungsträger der Familie ist ein angeschissenes Kind. Die eifersüchtige Schwester könnte sich gedacht haben: “Das ist euer Hoffnungsträger und ich soll ihn für euch auch noch waschen?„
Ich würde gerne wissen, was die Patientin zu dieser damaligen Situation einfällt und spreche sie darauf an. Sie meint: „Ich war einfach nur von ihm genervt, da ich auf ihn aufpassen musste und weil er sich dann auch noch schmutzig gemacht hat.“
Wie kann ich die Eingliederung dieses Geschehens in ihre sexuelle Entwicklung und ihre Beziehung zu Männern deuten? Zu dieser Zeit war sie in der präpubertären Phase bzw. am Beginn der Pubertät. In gewisser Weise hat das Grausen eine sexuelle Bedeutung.
Eine andere Geschichte mit dem Bruder fällt ihr ein: “Wir waren wieder allein zu Hause, er hatte sich seine Hose ausgezogen und lief nackt hinter mir her. Das ärgerte mich und ich ekelte mich vor seinem nackten Zustand. Außerdem zog er seinen Penis lang und hörte nicht auf, hinter mir herzulaufen. Ich war genervt und wütend auf ihn und hoffte auf baldige Rückkehr unserer Eltern.“
Sie ist hilflos den Bruder zu stoppen. Wieso eigentlich? Er verfolgt sie und sie läuft vor ihm davon. Ich frage sie: „Was bedeutet das Erlebnis von damals für Sie heute?“
„Ja, eigentlich komme ich mir blöd dabei vor, vor ihm wegzulaufen. Sein kleiner Penis hat mich geekelt. Er spürte wohl, dass er in dieser Hinsicht Macht über mich hatte und machte sich einen Spaß daraus und lief hinter mir her und ich ihm davon.“
Ich frage mich, welches Bild von Mann in dieser Phase bei ihr entstanden ist? Ich notiere: Bringt sie die Angst vor Sexualität mit dem Bruder zusammen oder entstand diese schon in einer früheren – vermutlich in der präödipalen – Phase?
Diese Geschichte hat sie bis zum heutigen Tag nicht vergessen. Ihre Hilflosigkeit, den Bruder zu stoppen, blieb in ihrer Erinnerung.
„In späteren Jahren über die Pubertät hinaus habe ich keine gemeinsamen Themen mit meinem Bruder gefunden. Diese Zustände bestehen auch zwischen mir und meinem Vater, ich hatte auch nie mit ihm einen Gedankenaustausch. In den letzten vier Jahren habe ich bemerkt, dass mein Bruder imstande ist, sich mit mir auszutauschen, fähiger geworden ist, gemeinsame Themen zu finden“.
In meinen Notizen finde ich die Bemerkung, dass sie das Verhältnis zu ihrem Vater auf den Bruder projiziert. Auf die Frage, ob es eine Rivalität zwischen ihr und dem Bruder gab, bejahte sie das.
Pause…
Ich bemerke, dass sie die Qualität der Beziehung zum Bruder allmählich schätzt. Der echte Grund dafür, den sie nicht erwähnt, ist jedoch die geschwisterliche Rivalität.

5.30 Bemerkung und Deutung dieses Sachverhaltes

Die Patientin wünscht sich einen Freund, hat aber gleichzeitig Angst vor Sexualität. Das Thema der sexuellen Ambivalenz verstärkt sich.
So lange hat sie die Beziehung zu ihrem Bruder verdrängt, jedoch hat meine Erfahrung mit der Patientin gezeigt, dass Rivalität in ihrem Leben eine große Rolle spielt.
Ihr Vater hätte lieber als Erstgeborenen einen Sohn gehabt. Ich vermute, dass er in Folge den Sohn mehr wahrgenommen hat, als seine Tochter. Das ist ein Grund dafür, dass die Patientin die Beziehung zu ihrem Bruder verdrängt und Rivalität zwischen den Geschwistern entsteht. Während die Kinder allein zuhause spielen, in Abwesenheit der Eltern, zeigt die Patientin ihre Aggression gegenüber dem Bruder. Indem sie ihn bestraft, einige Stunden allein in der Badewanne sitzen lässt, bis die Mutter mit der Tatsache konfrontiert wird und sie ihren Sohn befreit.
Ein anderes Mal, als der Kleine nackt hinter ihr herläuft und an seinem Penis zieht, war sie schon sehr verärgert. Auf meine Frage, was sie denn daran so verärgert habe, sagt sie:
“Es ekelt mich, er hat etwas, das ich nicht habe“. Das kann möglicherweise auf Penisneid hindeuten. Jedenfalls gibt es einen Zusammenhang zwischen der Abscheu und dem Bedroht sein durch den Penis.
Als ich die Patientin mit dieser Vermutung konfrontiere, reagiert sie mit Abwehr.

6 Phase III. Psychosozial Entwicklung Prozessverlauf

Die Minderwertigkeit, die Frustration ihrer Mutter, Trauer, Ärger und Wut sind persönliche Wahrnehmungen, bestimmen Interaktion, Prozessverlauf und Gegen-übertragung.
Dies sind Themen der nächsten 20 Stunden. Das wären zusammen 40-60 Stunden.
Die analytische Atmosphäre bei dieser Phase unterscheidet sich von den vorigen durch bunte Durchmischung und Wärme. Ich erlebe die Patientin als aktiv, interessiert und abwechslungsreich in ihren Schilderungen. Ich kann sagen, dass der Verlauf lebendiger geworden ist. Themen, die man beschrieben hat, tauchen immer wieder auf, aber die Wahrnehmung zeigt sich lebendiger und eindeutiger.
In der Interaktion zeigt sich Patientin beim freien Assoziieren sehr lebhaft und reichhaltig, und die Deutungen kommen abwechslungsreich.
Patientin hat im Laufe der Zeit ihre Fähigkeit zum Reflektieren verstärkt, zum Beispiel konnte sie bei Wiederholungen des gleichen Themas (Beispiel: alte negative Muster, wie beispielsweise Gedanken, dass andere besser sind als sie, dass sie unfähig ist, nicht kreativ genug etc.) Sie ist nun motiviert, plant ihr Studium zu beenden und weiß genau was sie als Diplomthema erarbeiten möchte. Sie vergleicht sich selbst auch nicht mehr mit ihren Mitstudenten.
Nachdem die Patientin besser reflektiert, werden ihre Assoziationen vielfältiger.
Es gelingt mir, ihr durch meine Deutung die Probleme verständlich zu machen. Die Zusammenhänge aus ihrer Themengeschichte werden eindeutig und im klaren Sinn gesehen. Dasein und Entstehungsgeschichte werden für sie verständlich.
Minderwertigkeitsgefühle, das Auftauchen des Bruders und die enge Beziehung zur Mutter bleiben als Themen vorhanden. Die Mutter bleibt immer noch als Schatten des unterdrückenden Vaters präsent.
Die Patientin erlebt ihre Mutter immer wieder als frustrierte, enttäuschte Figur, sodass dies Mitleid für die Mutter erzeugt.

6.1 Der Auszug aus der elterlichen Wohnung

Durch die Patientin erfahre ich, wie wichtig für sie der Auszug aus der elterlichen Wohnung ist und wie sehr es sie in ihrer Autonomie stärkt. Es ist für sie ein neues Erlebnis und löst Begeisterung in ihr aus. Dadurch zeigt sich bei ihr auch eine positive Entwicklung in der Ich-Stärke. Gleichzeitig erfolgen Fortschritte auf der Kunstakademie. Die Patientin erreicht neue Kreativität im Studium, ist motiviert und möchte im nächsten Semester abschließen.
Meine Gegenübertragung ist geprägt von der Vorstellung des idealen Vaters. Das Setting bleibt weiterhin im Liegen und dreistündig in der Woche. Beim Auszug aus dem Elternhaus sagt die Patientin: „Ich habe damals Freude verspürt, dass ich endlich ausziehen kann, insbesondere weil ich einmal einen Fehler gemacht habe. Ich hatte auf einer Onlineplattform für Fotografen eine Frau aus München kennengelernt mit der ich mich befreundet habe. Ich habe sie angelogen, indem ich ihr vortäuschte, allein zu leben. Als sie mich besuchen wollte, bekam ich Panik, weil meine Schwindelei auffliegen würde.“
Das ist der Grund, warum die Patientin gemeinsam mit ihrem Bett zunächst in die Wohnung einer Linzer Freundin einzieht. Eine kurze Zeit lang leben beide Frauen als WG Mitbewohner in der Wohnung. Dann lernt die Freundin einen Mann kennen und verbringt nun die meiste Zeit in dessen Wohnung. Das bedeutet für die Patientin die Wohnung der Freundin für sich alleine zu haben. Etwas später will die Freundin ihre Wohnung wieder für sich allein, da der Freund zu ihr ziehen soll. Die Pat muss jetzt wieder ins Elternhaus zurückkehren. Das ist nicht einfach für sie. Der Vater nervt sie wie immer, behandelt sie wie ein Kleinkind, sogar ihre Bekleidung möchte er bestimmen und kontrolliert, wie sie in der Küche abwäscht.
Ich frage die Patientin wie sie den Rückzug zu ihren Eltern erlebt. Sie meint, es wäre ein Rückschlag und fürchterlich unangenehm. Ihr größter Wunsch ist die baldige Möglichkeit eines neuerlichen Auszuges. Sie hat aber keine ausreichenden finanziellen Ressourcen dafür. Die Mutter empfiehlt ihr, zuerst Geld anzusparen, danach einen Wohnungswechsel zu planen. In ihrem Teilzeitjob arbeitet sie zusätzliche Stunden um mehr zu verdienen und macht sich auf die Suche nach einem neuen Wohnraum. Kurze Zeit später findet sie eine schöne Altbauwohnung in der Nähe der Innenstadt und fühlt sich für einen Moment als die glücklichste Frau der Welt.
“Ich habe mich plötzlich erwachsen gefühlt, vorher war ich wie ein Kind.“ Von diesem Zustand hat sie immer geträumt. Sie malt ihre neue Wohnung aus, bringt einige Möbel von zu Hause mit, kauft sich einige Teile neu. In ihrer Wohnung hält sie Ordnung und putzt gerne, im Gegensatz zu früher im Elternhaus. Sie fühlt sich in ihren vier Wänden sehr wohl. Dieses Hochgefühl dauert eine Weile, dann kommt eine Änderung. Für sich allein zu kochen ist nicht immer lustig, auch alleine essen muss sie. Nachdem sie ihren Raum erobert hat, ist dieser ihr zu leer. Zum ersten Mal wohnt sie ganz allein und dies führt ihr vor Augen, dass sie auch alleine ist.
Am Rückweg von der Arbeit kommt sie stets am Elternhaus vorbei und macht dort einen kurzen Besuch. Nicht nur, um sich nicht einsam zu fühlen, sondern auch aus wirtschaftlichen Überlegungen, da die Miete mit Energiekosten 800 € beträgt, der Verdienst aber nur bei 900€ netto liegt. Tatsache ist, dass ihre Mutter den Rest des Lebensunterhaltes in Form von Geldzuwendungen unterstützt. Darüber redet sie sehr ungern.
Die Patientin möchte am liebsten keine finanzielle Unterstützung von der Mutter, nimmt diese aber dennoch widerwillig an, weil sie ihre Abhängigkeit von der Mutter dabei wieder durchlebt. Sie betrachtet das Geld der Mutter als geborgt und hat vor, es der Mutter zurückzugeben, sobald sie die Möglichkeit hat. Sie nimmt das Geld quasi nicht als Geschenk an sondern borgt es sich nur, damit sie ihre Unabhängigkeit bewahren kann.

6.2 Der große Traum der Patientin

Ihr großer Traum ist es, einen Freund kennenzulernen, der zu ihr in die Wohnung zieht, mit dem sie kochen kann, gemeinsam essen und eine gemeinsame Freizeitgestaltung ausüben kann. Dies würde sie erleichtern und sie müsste nicht mehr so oft den Eltern einen Besuch abstatten. Der Zwiespalt, dass sie nicht nur aus persönlichen Gründen die Eltern aufsucht, sondern auch aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, macht ihr zu schaffen. „Der Gedanke, nach der Arbeit in eine leere Wohnung zu kommen, lässt mich immer wieder bei meinen Eltern einkehren. Der Wunsch nach einer anderen Möglichkeit, den Feierabend zu gestalten, ist groß, aber ich bin dafür zu einsam.“
Sie überlegt sich, ihre selbstgekauften Möbel zu verkaufen, da diese nicht mehr ihrem Geschmack entsprechen. Der mit ihr befreundete Mediziner motiviert sie, ihr Studium zu beenden. Sie selbst strebt auch nach einem Abschluss. Ein Problem dabei ist, noch kein geeignetes Thema für die Abschlussarbeit gefunden zu haben.
Ich frage sie, was sie interessieren würde. Ihr Interesse gilt der Landschaft und Inszenierungen in der Natur. Sie denkt darüber nach, aus diesem Themenkreis einen Inhalt für ihre Abschlussarbeit zu finden.
Nach einigen Stunden kommt sie fröhlich und berichtet, ein Thema für ihre Diplomarbeit gefunden zu haben. Sie habe einen schönen Ort entdeckt. Dort werde sie die passenden Fotos schießen. Ihre Professorin findet ihr fotografisches Kunstwerk gelungen. Es stellt sich aber wieder ein Problem. Die Fotografien müssen vergrößert und in passende Rahmen gebracht werden.
Dies bedeutet einen beträchtlichen finanziellen Aufwand für sie. Das bereitet ihr Stress und Sorgen. Hier hilft ihr die Familie wieder finanziell aus. Der Abschluss rückt immer näher, ihre Kunstwerke hängen in der Halle der Uni und eine Kommission begutachtet sie. Sie fühlt sich gestresst, hat Bauchweh, Schlafstörungen und Somatisierung Zustände.
Ich deute die Somatisierung, aber sie will das nicht wahrhaben. In kurzer Zeit vergehen diese Zustände und alles wendet sich zum Guten.
Mein Anliegen ist es, dass sie die Ursachen ihrer Somatisierung Zustände kennt und weiß wie sie mit ihnen umgehen soll. Zum Beispiel erzeugen Prüfungssituationen bei ihr Stress und dieser führt bei ihr zu einer erhöhten Magensäure.
Die Patientin besteht mit gutem Erfolg ihren Abschluss, in der Hoffnung auf neue berufliche Perspektiven. Nach dem Abschluss fällt ihr ein großer Stein vom Herzen. Danach arbeitet sie an einem eigenen Fotografie-Projekt. Ihrer Einschätzung nach hatten ihre Studienkollege bereits mehr Ausstellungen als sie und sie betrachtet sich als außerhalb der Kunstszene stehend.
Auf die Frage, warum dies so ist, antwortet die Patientin “Eigentlich habe ich künstlerische Fotografie studiert, aber mein Interesse daran nimmt ab.
“Woran glauben sie, liegt das?“ frage ich sie.
Die Patientin meint “Erstens muss ich immer das Stativ und die schwere Kamera mitschleppen, die Fotos danach am PC bearbeiten, im Labor entwickeln lassen und wieder passende Rahmen dazu anfertigen lassen. Vor allem die Rahmen kosten mich viel Geld.“
Der Traum von die Patientin ist es, den Beruf einer Illustratorin auszuüben. Fotografieren sieht sie eher als Nebenbeschäftigung. Auf die Frage, weshalb sie diese Richtung nicht studiert habe, antwortet sie, man könne dieses Fach nicht in Österreich sondern nur im Ausland studieren.
Zurzeit hat sie ein neues Projekt, sie illustriert Charaktere für ein Kindergeschäft. Sie hofft auf weitere Aufträge. Das gesamte Projekt befindet sich in einer Entwicklungsphase sowohl vom Auftraggeber her als auch ihrerseits. Dadurch ist auch der Verdienst gering. Trotz der mageren Bezahlung macht ihr diese Arbeit Freude.
Haupteinnahmequelle ihres Lebensunterhaltes bleibt der Teilzeit-Bürojob, insgeheim plant sie aber eine baldige Kündigung. Intensiv sieht sie sich nach neuen Jobmöglichkeiten um. Ich frage sie, wie sie sich fühlen werde, wenn sie den alten Job nicht mehr hätte. Sie sagt, dass sie sich darüber sehr freuen würde.
“Werden Ihnen die Kollegen nicht fehlen?“
„Die sind zum Teil schon gekündigt worden oder selbst gegangen, für mich ist es eindeutig: Ich mag nicht mehr im Büro arbeiten. Das ist nicht mein Traumjob.“

6.3 Bemerkung und Gedanken zu diesen Themen

Der Grund des Schwindels gegenüber der Münchner Freundin liegt darin, dass sie sich schämt in ihrem Alter noch bei der Familie zu leben. In ihrer Ohnmacht präsentiert sie eine fiktive Wirklichkeit, als Ursache ihres Stresses. Insbesondere die Ankündigung des Besuches der Freundin steigert diesen Zustand immens. Identitätsverlust herrscht, ich erkenne Über-Ich Empfinden und Ich-Schwächen. Diese verursachen einen Regressionszustand und führen wieder zu depressiven Phasen.
Die Patientin hat sich dieses eine Mal als Jemand dargestellt, der sie nicht ist, hat sich getarnt, andere getäuscht und hat hochgestapelt. Das war ihr sehr peinlich und unangenehm.
Mit ihren Mitstudenten hat sie keinen Kontakt aufgebaut, hat sich quasi vor ihnen verborgen, um keine Informationen über sich selbst preisgeben zu müssen. Sie hat ihnen in diesem Zusammenhang die Spitze des Eisberges gezeigt. Somit gelang ihr auch eine Täuschung der anderen, mehr zu sein, als in Wirklichkeit.

6.4 Die Rückkehr aus der WG

Die Rückkehr aus der WG ins Elternhaus finde ich als persönliches Scheitern. Der Traum, „Weg von den Eltern und den eigenen Weg finden“, gelingt ihr nur kurze Zeit.
Das alte Trauma kehrt wieder zurück. Ihr Vater bestimmt wieder alles für sie. Setzt, wie schon zuvor, Bekleidungsvorschriften etc. fest. Die Ich-Autonomie wird geschwächt, es entsteht wieder Regression.

6.5 Der Auszug aus dem Elternhaus

Der Auszug aus dem Elternhaus beginnt mit großer Freude, allerdings verliert diese neue Perspektive wieder an Attraktivität und endet in einer Frustration. Einerseits hat sie ihre eigene Wohnung, ein eigenes Leben, andererseits braucht sie doch noch die Eltern. Sie fällt wieder in die Abhängigkeit vom Elternhaus zurück. Sie hält diese Einsamkeit in ihrer Wohnung nur begrenzt aus.
In meiner Gegenübertragung fühle ich ihren Leidensdruck. Ich falle in die Rolle des Ohnmächtigen. Aber gleichzeitig freue ich mich mit ihr über den guten Studienabschluss. Ich habe gehofft, dass die Ausstellung in der Uni auch ohne ihre Anwesenheit gelingt und ihre Bilder bei der Kommission Anklang finden.
Die Abschlussprüfung war aufregend und mit sehr viel Stress verbunden. Doch ich hatte aktiv zum Erfolg beitragen können, indem ich ihr zu Geduld und Hoffnung auf einen positiven Abschluss riet. Als dieser dann tatsächlich erfolgte, wunderte ich mich über meine große Freude. Ich notierte mir: Wo liegt der Grund? Es ist klar, dass es sich um eine Gegenübertragung handelt. Ich habe mich als ihr idealer Vater gefühlt, und habe mich über den Erfolg meiner „Tochter“ gefreut. Ich war stolz, wie ein Vater auf seine Tochter.
Die oben beschriebenen Regressionen deuten auf einen Rückfall des Sich-vergleichens mit Kollegen. Andere haben bereits Ausstellungen geschafft, sie selbst sieht sich als Außenstehende in der Kunstszene. Für mich bedeutet dies die Wiederholung ihrer persönlichen Minderwertigkeitsgefühle. Diese hat sie noch nicht überwunden. Dadurch entwertet sie sich selbst.
Mir stellt sich die Frage, wie die Patientin mit ihrer Vorstellung umgeht, nicht so gut zu sein wie die anderen und die ihr Überlegenen, z.B. in der Sexualität und im Frau-Sein etc. Ich denke, Neid spielt eine große Rolle im affektiven Verhalten der Patientin. Ihre Unterlegenheitsgefühle haben durchaus einen Grund.

Die positive Änderung sehe ich in ihrem neuen Projekt mit ihren Zeichnungen.
Durch diese Arbeit entdeckt sie zum ersten Mal in ihrem Leben die Fähigkeit, etwas aus sich selbst heraus, aus eigenen Kräften zu können. Das bedeutet einen erheblichen Zuwachs an Selbstwert.
Des Weiteren sieht sie ihre Arbeit als Illustratorin auch als Zeitproblem. Einerseits weil sie durch ihre Berufsausübung zeitlich behindert ist, andererseits möchte sie ihre Zeit nicht abgeschottet von daheim aus illustrierend verbringen.
Ich frage sie, ob das nicht ein Widerspruch ist? Das wehrt sie ab.
Sie sagt: „Wenn ich mich nur auf die Illustration konzentrieren würde, hätte ich keine Möglichkeit mehr auf ein soziales Leben. Zurzeit verdiene ich kein Geld mit dem Projekt. Ich habe keine Ahnung, wie sich alles entwickeln wird. Deswegen betrachte ich diese Arbeit eher noch als Hobby.“
Wenn sie ihre Kunst als Beruf betrachtet und dafür von zuhause aus arbeitet, fürchtet sie eine Isolation von der Außenwelt. Die Konsequenz hier fix Fuß zu fassen, hängt in der Luft. Die Durchführung fällt ihr aber schwer.

6.6 Patientin will autonom sein, kann aber noch nicht

Die Patientin möchte gerne mit dem Auto durch das Leben „Auto ist ein Symbol für die Autonomie der Menschen“.
Die Patientin möchte häufiger Auto fahren, um mehr Selbstständigkeit zu erreichen, weil üblicherweise ihre Mutter sie chauffiert.
Ich denke, Autofahren gehört zur Selbstständigkeit und ist ein Wunsch nach Autonomie bzw. steigert dies die Ich-Stärke. Ihr Wunsch ist es, Unabhängigkeit zu erlangen.
Im Moment hat sie kein Bedürfnis Urlaub zu machen, aber Japan würde sie schon interessieren. Die Kunst- und Designszene dort weckt ihr Interesse. Ich frage sie, ob das kein Widerspruch ist, keinen Urlaub zu brauchen, aber eine Reise nach Japan in Betracht zu ziehen. Da antwortet sie, das wäre eine Arbeitsreise, da sie auch viel fotografieren und recherchieren würde.
Ich notiere: Wieder weit weg von Österreich. Weit weg von möglichen Partnern, weit weg von Männern, ich frage mich, ob hier auch ein Vermeidungsverhalten besteht? Oder kann sie sich einen Japaner als Partner vorstellen? Ich vermute es nicht.

6.7 Rekonstruktion der bunt gemischten Themen und Eindrücke

Im Rahmen ihrer Befindlichkeit besteht einmal ein Hoch, dann wieder ein Tief, bunt gemischt. Einerseits sehe ich derzeit einen Umbruch, andererseits bleiben meine Fragen offen, z.B: Die Abhängigkeit von den Eltern; es ist fraglich, warum sie nicht allein sein mag. Alleinsein ist bereits eine Erschwernis an sich, andererseits ist mit Alleinsein gemeint, dass sie sich schützen und ungestört ihren Hobbies und Arbeiten nachgehen kann. Vor dem von außen kommenden Angstlösungen.

6.8 Arbeiten mit Übertragung und Gegenübertragung

Ich befürchte einen Umbruch, der Ungewissheit für sie auslöst, gerade sie benötigt jedoch größere Sicherheit. Ich hoffe aber, dass die Patientin sich nicht von den anstehenden Veränderungen überfordert sieht. Andererseits sehe ich diese Veränderungen auch positiv, da sie auf ihren eigenen Plänen beruhen, die sie auch verwirklichen will.
Eindeutig sind ihre Bemühungen ihrer Abhängigkeit zu entkommen. Ihre Aussage zum Thema „Autofahren“ deute ich auf „Wegfahren um das Leben allein zu meistern.“ Autofahren ist ein Zeichen für Autonomie und Freisein.
Ihre Ideen und ihre Offenheit gegenüber ihrer neuen Karriere als Künstlerin sind keine Phantasien bzw. Träume, sondern in der Realität verankert. Ihre neuen Entdeckungen in sich selbst, realisieren sich in Form von skulpturalen Arbeiten mit Keramik. Sie selbst sieht diese Entwicklung als Weg zu einer zukunftsträchtigen Jobmöglichkeit.
Die Patientin vermeidet alles, was mit Konkurrenz zusammenhängt und alles was eine Auseinandersetzung bedeuten könnte. Sie würde in einer Konkurrenzsituation den Kürzeren ziehen, das wiederum würde Neid hervorrufen.
Ich notiere: Dies hat mit der negativen ödipalen Triangulierung zu tun.
Identifikation mit der Mutter und dem Vater, der auf dieser Weise nicht hilfreich und unterstützend war, was sie in ihrer Entwicklungsgeschichte beeinflusste.
Kann sie sich denn der Konkurrenz stellen, auch wenn sie nicht so gut ist? Sie müsste Unterlegenheit aushalten können, ohne sich selbst zu entwerten.
Das geht zurück auf die misslungene negative ödipale Triangulierung, die massiven Zurückweisungen durch den Vater und die Lieblosigkeit zwischen den Eltern. Die Mutter, die ihre Tochter umklammert hält, will gar nicht loslassen. So wie Mentzos beschrieben hat, die Selbstwertproblematik steht immer im Vordergrund, es besteht die Herausforderung zu einem Vergleich mit hysterischen Konflikt und Verarbeitungsmodus nach (Mentzos St, 2010).
Mit ihren Somatisierung Zuständen habe ich die Patientin konfrontiert. Zunächst weist sie meine Deutung strikt zurück. In einer späteren Stunde erkennt sie jedoch, dass die Wiederholung von auffälligen Symptomen ein reaktiver Prozess auf ihren Stress ist. Ich verstehe wie bei Schüßler, die Somatisierung als eine psychische Belastung, die auf Organisches einwirkt. Wobei allerdings keine organischen Befunde bestehen. Siehe (Schüßler G, 1995).

6.9 Bewegung vom Unbewussten zum Bewusstsein

Die Patientin beginnt zu verstehen, wie sie unbewusst eine Beziehung mitgestaltet, und Konflikte in ihr Leben einarbeitet, sowie gelungene und weniger gelungenen Lösungen findet. Über-Ich Konflikte sind oft Themen, denen ich selbst begegnet bin Ebenso Ich-Idealen Zusammenhang mit “ich muss, ich soll und ich darf“.
Die Patientin ein Beispiel:
Als Teenager hat sie eine gute Freundin, mit der sie sich aber oft zerstritt. Sie findet, dass die Freundin manchmal nett und manchmal komisch zu ihr ist. Sie versöhnen sich und zerstreiten sich immer wieder. Irgendwann reicht es die Patientin und sie beendete diese Freundschaft. Jetzt im Nachhinein fällt die Patientin auf, dass auch sie selbst mitverantwortlich am Scheitern der Freundschaft war.
Im Zusammenhang mit ihrer strengen väterlichen Erziehung sind die Über-Ich Konflikte Gebote, Verbote die auf sie Einfluss nehmen, denen sie sich unterwirft oder die sie verweigert.
Ich notiere mir: Wie äußert sich die Beziehung zwischen Ich-ideal und Über-Ich?
Ich-Ideal: Ein Mehr an Qualitäten anstreben, besonders Autonomie und spezifische, Lebensziele als Künstlerin verwirklichen

6.10 Über-Ich

Über-Ich sind Gebote, Verbote, ein Stopp dem sie sich unterwirft oder dem sie sich entzieht, es ist zum Beispiel ein beschwerlicher Weg, den Beruf als künstlerische Fotografin zu verwirklichen, weil dies nur ein großer Geldaufwand ermöglicht.
Bei der Patientin gibt es in den bekannten Sitzungen eine Zunahme erfolgreicher Erkenntnisse über ihrer Gefühle im Zusammenhang mit Kränkung, Lust/Frust Erlebnis, Ärger und Wut. Sie kann die vitalen Anteile ihrer Aggression von den destruktiven Anteilen besser unterscheiden.
Beispiel: Wenn ihr Vater früher mit der Mutter schimpfte, reagierte die Patientin nicht darauf. Heute aber widerspricht sie dem Vater und stellt sich aktiv auf die Seite der Mutter. Wenn der Onkel beispielsweise eine Arbeit von ihr verlangt, die sie aber nicht ausführen möchte, kann sie heute Nein sagen und unterwirft sich ihm nicht mehr.
Das heißt, sie beginnt sich zu behaupten, durchzusetzen, die Minderwertigkeitsgefühle erhalten weniger Bedeutung. Die Phantasien kommen seltener vor. Der bewusste Anteil am Geschehen wird immer mehr wahrgenommen. Die entsprechenden sexuellen Phantasien, wie sie z.B. in ihren Träumen entstehen, vollziehen sich anderes, weil sie stärker in das wache Leben der Patientin einbezogen werden und ihr mehr Möglichkeiten geben sie auszuleben.

6.11 Verbesserung des Trauma-Zustands während der Analyse

Als Beispiel möchte ich hier wieder die Geschichte anführen, wie ihr Vater sie als Kind zwingt Orangen zu essen und sie dabei mit einer Videokamera filmt, wobei sie weint und würgt und man im Video den Vater im Hintergrund lachen hören kann. Als die Patientin mir diese Geschichte am Anfang der Analyse erzählt, weint sie dabei fürchterlich. Mittlerweile hat sie eine andere Haltung dazu entwickelt. Sie erzählt ohne Emotionsausbrüche und schimpft sogar über die Verrücktheit ihres Vaters.
Weiter berichtet die Patientin, dass sie Abstand zum elterlichen Konflikt gewonnen hat. Sie ist nicht mehr handlungsunfähig, ausgeliefert und hilflos wie zu Beginn der Therapie, sondern zeigt eine neue Ordnung in ihren Lebensentscheidungen. Sie achtet auf sich, kauft neue Bekleidung, versucht sich gesund zu ernähren und lässt es sich einfach gut gehen. Sie nimmt sich viel Zeit für sich und wenn ihre Eltern streiten, hält sie Abstand und sagt, es wäre nicht ihr Problem.
Aber wenn der Vater mit der Mutter schimpft, verteidigt die Patientin ihre Mutter.
Ich frage auf welche Art und Weise sie die Mutter verteidigt. Die Patientin: „Ich mache ihn auf sein Fehlverhalten aufmerksam und schimpfe mit ihm. Seine blöden Bemerkungen lasse ich mir auch nicht mehr gefallen. Leider bleibt meine Mutter immer die Unterdrückte und von meinem Vater Beherrschte. Sie gibt immer nach, um Streit zu vermeiden.“
Ich frage, welche Auswirkungen dies hat.
Die Patientin findet solche Situationen zwischen den Eltern unangenehm und wünscht sich, dass ihre Mutter endlich einmal dem Vater Widerstand leistet und stärker wird. Sie selbst sei stärker geworden und nicht mehr abhängig von ihrer Mutter. Sie zeigt dort Stärke, wo die Mutter Schwäche zeigt.
Meine Rekonstruktion zu diesem Konflikt, zwischen Vater, Mutter und Tochter im Umgang miteinander: Zunächst ist die Beziehung der Eltern grundlegend schon als katastrophal zu bezeichnen, und ich vermute sehr, dass es sich um eine schwer pathologische Form handelt mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung in einer masochistisch-sadistischen Konstellation.

Sadistisch ist der Vater, masochistisch die Mutter, die über eine narzisstische Persönlichkeit verfügt. Das kann ich aus dem Inhalt der Analyse sicher vermuten.


Anh. Abb. 1: Vor der Therapie aus dem Jahr 2009 What nourishes me destroys me, 2009

Anh. Abb. 2: Vor der Therapie in den Jahren 2009 und 2010

Eine Auswahl an Zeichnungen die in den Jahren 2009 und 2010 entstanden sind
Der Mensch als unterdrücktes, gescheitertes, verwirrtes und ängstliches Wesen
steht im Mittelpunkt ihrer Arbeite

6.12 Prozessverlauf – Interaktion – Gegenübertragung

(der nächsten 20 Stunden 40. – 60. Stunde)
Das Studium der Patientin als Thema ihrer Befindlichkeit ist nicht mehr so belastend für sie, wie am Beginn der Therapie. Vielmehr wird die Patientin später ab und zu lustvoll über ihre fantasievollen Fähigkeiten zur Neugestaltung ihrer Wohnung berichten, sowie über ihren Beruf als Künstlerin.
Heute war sie gemeinsam mit ihrer Mutter bei IKEA einkaufen, da sie ihre Wohnung um-gestalten möchte. Beide haben jeder für sich neue Lampen und Möbel eingekauft. Die Patientin hat den Wunsch, mehr Klarheit in ihre Wohnung zu bringen. Sie möchte klarere Linien und minimalistischer, dennoch mit Stil wohnen und mehr Designerobjekte integrieren. Ihr Wunsch besteht darin, ihre Wohnung immer wieder neu zu gestalten, sobald sie sich an der alten Einrichtung sattgesehen hat.
Meiner Beobachtung zufolge kommt es mir vor, als ob der Veränderungswunsch in der Wohnung zu einer Verbesserung ihres Lebens führen soll, aber die Verbesserungen in der Wohnung wirken sich letztlich nicht befriedigend aus.
Aus psychoanalytischer Sicht bedeutet die Wohnungseinrichtung ein Symbol für das psychische und soziale Sein. Es herrscht der andauernde Wunsch nach Veränderung in der Wohnung: Wenn die Patientin etwas erreicht hat, will sie es dennoch wieder verändern.
Dies spiegelt etwas von ihrem psychischen Leben wider.
Es gibt auch Frauen, die die Möbel ihrer Wohnung umstellen, weil sie in ihrem Leben etwas umstellen möchten. Ich frage Patientin wieso sie wieder mit ihrer Mutter zusammen einkaufen war und nicht allein.
Sie meint, aus Bequemlichkeit, da ihre Mutter ihre Einkäufe mit dem Auto transportiert. Außerdem unterstützt die Mutter sie finanziell beim Einkauf

6.13 Ein deprimierter Zustand

Weiter gesteht die Patientin: “Gestern war ich sehr deprimiert.“
Auf meine Nachfrage antwortet sie: „Neue Gedanken beschäftigen mich sehr. Ich habe Angst vor meinen beruflichen Veränderungen. Einerseits freue ich mich schon sehr darauf, dass ich endlich als Künstlerin arbeiten kann, andererseits habe ich Angst vor dem Ungewissen. Natürlich mache ich mir auch Sorgen, ob ich als Künstlerin genügend Geld verdienen kann. Außerdem bin ich in einem halben Jahr 32 Jahre alt und bin noch immer nicht beruflich als Künstlerin gefestigt.“
Ich frage sie, was sie mehr beunruhigt, ihr Alter oder die Wendung in ihrem Beruf?
die Pat: „Um ehrlich zu sein: es ist beides.“
Pause
Es ist auch noch ungewiss, ob das neue Projekt, welches ihre Illustrationen in Anspruch nimmt, als einmalige, oder als eine dauerhafte Sache zu betrachten ist.
Ich frage die Patientin, ob sie einen Plan B hätte.
Sie meint: „Ja, es gibt einen Plan B. Momentan arbeite ich an meinen beiden Webseiten. Eine die meine fotografische Arbeit präsentiert, die andere meine Zeichnungen.“
Ich frage, wieso sie zwei Webseiten braucht.
Die Patientin antwortet: „Ich möchte Fotografie und Illustration trennen. Immerhin werden unterschiedliche Leute meine Dienste in Anspruch nehmen.“
Ich frage, ob sie schon fertige Arbeiten habe, welche sie auf ihren Webseiten präsentieren möchte.
Darauf antwortet die Patientin: „Ja natürlich. Ohne Werke kann ich meine Kunst ja nicht präsentieren.“
Sie betont, dass sie das Zeichnen sehr liebt und ihre Webseite so bald wie möglich mit ihren Arbeiten befüllen möchte.
Mit dieser neuen Wendung in ihrem Berufsleben beginnt der Pat. ihren eigenen Weg zu gehen. Sie sieht dem neuen Projekt motiviert entgegen. Ich habe den Eindruck, dass ihrer Kreativität nun nichts mehr im Weg steht.
Im Vergleich zu früher, nähert sich die Patientin ihrer künstlerischen Laufbahn mit deutlich weniger Angst und Bedenken. Sie möchte nicht scheitern, erstellt Konzepte und erkundigt sich über eine zukünftige Karriere.
Ein anderes Mal erzählt sie mir stolz, dass ihre Mutter ihr geschildert hätte, wie sehr sich ihre Großmutter über ein persönliches Weihnachtsgeschenk von ihr freuen würde. Also schenkte sie dieser eine Zeichnung, welche im Vorzimmer der Großmutter aufgehängt wurde. Jedes Mal wenn sie an dem Werk vorbeiging, freute sich die Großmutter und war sehr stolz auf ihre Enkelin.
Ich frage die Pat: „Was haben sie gedacht, als ihre Mutter ihnen dies erzählte?“
Die Patientin antwortet: „Ja, ich weiß, dass ich gut bin in meiner Kunst.“
Sie ist sich ihrer Wertigkeit und Fähigkeiten schon sicherer geworden.
In diesem Moment meiner Übertragung freue ich mich sehr für die Patientin, da es das erste Mal ist, dass sie sich behauptet hat und die Qualität ihre Kunst anerkennt.

Anh. Abb. 3 – während der Therapiezeit im Jahr 2012 o.T., 2012
Diese Arbeit entstand während der Zeit unserer Therapie

Sie unterscheidet sich völlig von den Arbeiten zuvor.
Ich interpretiere dieses Werk als einen „Nullpunkt“ – einen
Neustart, der den Beginn einer neuen künstlerischen Phase
bei die Patientin einläutet.

Anh. Abb. 4: Während der Therapiezeit im Jahr 2012
Mitte des Jahres 2012 löst eine Reihe von abstrakten, farbigen Malereien

plötzlich die traurigen und düsteren Gestalten von früher ab
Die Patientin sagt, sie hatte wieder Lust auf Farbe und experimentierte mit neuen Techniken.

6.14 Die Patientin findet zu ihrer Identität

Ich habe das Gefühl, die Patientin entwickelt neue Perspektiven und damit auch eine neue Identität und Selbstwahrnehmung. Insofern, als sie selbstbewusster und sich ihrer Fähigkeiten deutlicher bewusst ist und auf diese vertraut.
Zu Beginn der Analyse, vergleicht sie sich immer mit anderen und ist davon überzeugt, dass ihre Mitstudenten bessere Ideen und Konzepte hätten als sie. Heute sagt sie von sich selbst: „Ich weiß, dass ich in meiner Kunst gut bin.“
Die Patientin erscheint zum ersten Mal dezent geschminkt und mit einem kurzen Kleid zur Therapie. Ich habe den Eindruck sie bewegt sich im Raum anders, wirkt überraschend attraktiv auf mich. Ich mache ihr ein Kompliment und sage, dass ihr das Kleid sehr gut stünde. Die Patientin entgegnet sie fühle sich darin sehr wohl.

6.15 Phase IV Entwicklung und Veränderung im äußeren Bereich

Das Thema Kunst nimmt einen wichtigen Platz in ihrem Leben ein. Sie möchte nun ausschließlich als Künstlerin arbeiten. Das Problem ist allerdings, dass sie als Künstlerin noch nicht entdeckt wurde. Sie hofft aber es bald zu werden.
Den Teilzeitjob den sie bisher nebenbei hatte, möchte sie definitiv nicht mehr ausüben. Sie spekuliert mit einer Kündigung, da sie ein OK für das neue Projekt bekommen und einen mündlichen Vertrag abgeschlossen hat. Die Projektauftraggeberin ist mit ihren Illustrationen sehr zufrieden. Der mündliche Vertrag beinhaltet auch die Preisvorstellungen von der Patientin
Durch die Anerkennung der Projektgeberin ist die Patientin sehr glücklich und weiß ihre eigene Arbeit zu schätzen. Einige der Zeichnungen sind bereits auf ihrer Webseite ersichtlich. Eines ihrer Werke wurde sogar schon von einem australischen Bewunderer gekauft. Die Patientin ist glücklich, dass sie 200€ dafür verlangt und auch bekommen hat. Sie hätte sich niemals vorstellen können, dass ihre Arbeit einmal nach Australien verkauft würde. Eine weitere Arbeit geht an einen Mann aus Finnland und eine andere nach Deutschland.
Die Patientin plant noch mehr Arbeiten zu produzieren und ins Internet zu stellen. Sie hat Verbindungen zu Agenturen, die ihre Werke vermitteln und weiterverkaufen würden. Allerdings verlangen diese 50% des Gesamterlöses. Die Patientin möchte diese Möglichkeiten ausprobieren, aber ihre Arbeiten auch parallel dazu direkt über ihre Webseite verkaufen.
Ich frage sie, ob es ein konkretes Konzept gibt um diesen Plan zu realisieren.
„Ja“, sagt die Patientin, „ich stelle ein Portfolio mit meinen Arbeiten zusammen und bewerbe mich aktiv bei verschiedenen Agenturen und Galerien.“
Bezüglich ihrer Arbeit als Fotografin möchte sie sich als Assistentin bei einem selbstständigen Fotografen bewerben, um praktische Erfahrungen zu sammeln.
Auf meine Frage hin, ob sie nicht bereits während ihres Studiums solche Erfahrungen gesammelt hätte, antwortet die Patientin: „Ja, aber ich möchte diese wieder auffrischen und vermehren. Die Aufgaben einen Foto-Assistentin sind Sachen wie z.B. das Equipment tragen, Licht aufbauen, sowie das Setting vorbereiten.“

6.16 Das Frau-Sein

Die Frage des Frauseins, speziell in sexueller und partnerschaftlicher Hinsicht, steht hier nicht im Vordergrund. Sie sammelt eher Selbstbewusstsein und Erfahrungen im Berufsleben und im sozialen Bereich.
Ich kann die Patientin nicht dazu bringen, sich um eine Partnerschaft zu kümmern. Diesen Bereich muss sie sich von allein nähern wollen. Ich kann sie lediglich dabei unterstützen und nachfragen, was sie von einer Paarbeziehung hält. Das Entwicklungspotenzial der Patientin ist zurzeit deutlich besser, ob es aber dazu reicht, dass sie jetzt oder erst später oder überhaupt eine Partnerschaft eingehen wird, weiß ich nicht. Die ehemalige Fokussierung auf ihre Minderwertigkeitskomplexe dürfte jetzt nicht mehr bestehen.
Ich frage die Patientin ob sie sich eine Paarbeziehung vorstellen könnte.
Dies bejaht sie und bekennt, für eine Beziehung offen zu sein. „Mich beschäftigt allerdings zurzeit in größerem Ausmaß meine künstlerische Karriere.“ Dass sie sich damit viel beschäftigt, ist als eine deutliche Verbesserung zu registrieren. Es müssen keine Ziele in Bezug auf Partnerschaft erreicht werden, aber einen Entwicklungsprozess sollte es dennoch geben.

6.17 Übertragung und persönliche Reflexion über die Thematik

Wenn ich nachdenke, ist die Thematik sehr vielfältig und ich freue mich für die Pati. über ihre schrittweisen Erfolge. Es überrascht mich schon sehr. Nur hoffe ich, dass dieser Zustand so bleibt und keine Rückschläge auftreten.
Ich finde ihre Spekulationen bezüglich einer Kündigung ihrer alten Beschäftigung sehr gut. Einerseits bringt es eine Veränderung, andererseits einen Neubeginn und die Möglichkeit zum Durchstarten ihrer künstlerischen Karriere.

Ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstdarstellung nehmen eindeutig zu. Dass sie begonnen hat, ihre Wohnung neu herzurichten, deute ich als ein Schritt zu Harmonisierung und Abwendung vom Elternhaus. Eine Depression ist jetzt nicht mehr bemerkbar, nach dem diese schon vor einiger Zeit abgenommen hat. die Entwicklungen im Berufsleben nicht durchgestanden haben. Bestimmt hat sie nicht vergessen dass sie keine Partnerschaft besitzt, aber vielleicht ist es ihr jetzt nicht mehr so wichtig, oder es steht nicht mehr im Vordergrund und wertet sie deswegen auch nicht ab.
Die Fokussierung darauf, einen Mann haben zu müssen, scheint mir nicht mehr gegeben. Medikamente verbessern die Grundlage ihrer Psychohygiene, allerdings nimmt sie diese nun nicht mehr. Ihre Befindlichkeit wird aber nicht nur durch Psychopharmaka verbessert sondern hier spielt die Analyse eine große Rolle.
Die Erfolge durch den Verkauf ihrer Kunstwerke steigern ihr Selbstwertgefühl und dies ist ein natürliches Hilfsmittel gegen ihre Minderwertigkeitsgefühle, die zu Beginn noch stark vorhanden waren. Bis jetzt ist unser Arbeitsbündnis gut verlaufen, und ich hoffe dies bleibt weiterhin aufrecht.

6.18 Neue Beziehung zum Bruder wird gestaltet

Im weiteren Verlauf berichtet die Patientin über die Beziehung zu ihrem Bruder.
Es herrscht zwar keine Rivalität mehr, aber zwischen den beiden findet auch nie ein tieferes Gespräch statt, geschweige denn gemeinsame Interessen oder Gesprächsthemen.
Ein Thema das beide verbindet ist der Austausch über die Hierarchie ihrer Großfamilie (Sippe) in der der Onkel immer wieder für Konflikte sorgt, was in vorangegangenen Stunden erwähnt wurde.
Die Patientin äußert den Wunsch, eine besser gestaltete Beziehung zu ihrem Bruder aufzubauen.
Ich frage sie, warum bisher keine gemeinsamen Unternehmungen stattfanden.
Sie antwortet, dass es bisher leider nie dazu gekommen ist, aber dass sie nun vorhat ihren Bruder bald zum Essen bei sich einzuladen. Sie möchte sich mit ihm ein wenig über ihre geschwisterliche Beziehung austauschen.
„Mit welchen Ergebnissen rechnen Sie, wenn Sie ihren Bruder treffen werden?“
Die Patientin: „Ich möchte gerne unsere Beziehung verbessern und mehr mit ihm unternehmen. Ich habe das Gefühl, dass unsere Beziehung zurzeit nicht die beste ist. Das Problem besteht darin, dass er meinem Vater ähnelt, weil er nicht gern ins Kaffeehaus geht. Mir erscheint, dass der Bruder sich deshalb der Kaffeehauskultur entzieht, weil er sich hier mit seinem Vater identifiziert. Dieser war in seinem ganzen Leben noch nie in einem Café und möchte dies, nicht einmal trotz Wunsch der Familie, ändern, erwähnt die Patientin
Der Bruder möchte gleichfalls mit seiner Schwester nicht ins Kaffeehaus gehen, so wie der Vater dies nicht mit der Mutter will.
„Vielleicht gehe ich mit ihm ins Kino.“
Der Vorteil gemeinsam ins Kino zu gehen ist, dass man eineinhalb Stunden nichts miteinander reden muss, denke ich mir.
Ich frage, ob sie ihren Bruder liebt.
Daraufhin antwortet sie: „Ja natürlich. Er ist immer noch mein kleiner Bruder. Ich möchte ihn beschützen.“
Ich frage „Warum beschützen?“
Die Patientin: „Weil es mir in der Vergangenheit nicht gut ging, möchte ich vermeiden, dass auch er leidet.“
„Worunter, meinen Sie, leidet er denn?“ frage ich nach.
Die Patientin : „Wenn mein Onkel ins Geschäft kommt, haben alle vor ihm Angst, auch mein Bruder aber wenn er ihm beschimpft, dann lasse ich das nicht zu und verteidige ihn.“
Ich frage: „Haben Sie Mitleid mit Ihrem Bruder?“
Pause.
Sie sagt: „Ja. Mein Bruder ist ein ruhiger Typ und macht fast alles was die anderen von ihm verlangen. Ich habe das Gefühl, dass er nie genug Anerkennung von der Familie bekommen hat. Mein Onkel befiehlt ihm in seiner Freizeit mit ihm in unser Landhaus zu fahren, um ihm bei der Gartenarbeit zu helfen.“
Ich sage: „Sie können nicht über ihren Onkel bestimmen.“
Patientin „Ja, kann ich nicht. Aber mein Onkel darf auch nicht über meinen Bruder bestimmen.“
Ich frage mich, ob sich die Patientin mit ihrem Bruder identifiziert.
Sie sagt: „Ja, ich identifiziere mich mit ihm. Als mein Onkel damals von mir verlangte meinen Job aufzugeben um ganz in unserem Familienbetrieb zu arbeiten, fühlte ich mich fremdbestimmt und habe deswegen widersprochen. Darum möchte ich vermeiden, dass mein Bruder dasselbe durchmachen muss.“
Sie ist das Gegenteil ihres Bruders, sie unterwirft sich dem Onkel nicht.
Ähnlich erweisen sich die Verhaltensmuster der Eltern. Die Mutter unterwirft sich dem Vater. Die Patientin steht auf der Seite des Bruders gegen den Onkel, sowie auch auf der Seite der Mutter gegen den Vater. Sie versucht einerseits gegen die Machtausübung ihres Vaters und andererseits gegen die des Onkels zu agieren.
„Glauben Sie nicht, dass Sie mit ihren Bemühungen übertreiben, wenn Sie sagen, dass Sie ihren Bruder beschützen wollen?“ frage ich.
Die Patientin: „Ich weiß es nicht.“
Pause.
„Ich glaube meinem Bruder geht es nicht besonders gut.“
Ich frage, wieso sie zu dieser Annahme kommt.
Die Patientin: „Ich weiß, dass mein Bruder frustriert ist. Er hat zurzeit auch keine Freundin.“
„Glauben Sie, dass es ihm nicht gut geht, weil er keine Freundin hat?“ frage ich.
„Nein, ich glaube, dass er keine Freundin hat, weil es ihm nicht gut geht.“ sagt sie.
19.24 Anhand ihres Bruders übt sie ihre Stärke aus
Anhand ihres Bruders übt sie ihre Stärke gegen den Onkel aus. In diesen Konflikten wird sie sich ihrer Kraft und einer gewissen Überlegenheit gegenüber Mutter und Bruder deutlicher bewusst.
Ich sage ihr: „Wissen Sie, dass Ihre Sorgen auch ihre eigenen Probleme betreffen?“
Pause.
Die Patientin: „Ja, das wäre möglich.“
Ich frage: „Haben sie ihren Bruder gefragt ob er sich frustriert fühlt?“
„Nein.“
„Und warum nicht?“ frage ich.
„Ich weiß es nicht. Ach, vielleicht mache ich mir unnötig Sorgen!“ sagt sie.
Ich notiere: Die Patientin hat den Zusammenhang erkannt, dass sie keine Partnerschaft hat, weil es ihr nicht gut geht und drückt dies anhand des Beispiels der Beziehungssituation ihres Bruders aus. Sie benützt sozusagen ihren Bruder, um ihr eigenes Problem aufzuarbeiten und zur Einsicht zu kommen.
Ich sage zu die Patientin: „Sie haben anhand ihres Bruders erkannt, was auf sie selber zutrifft. Was sagen sie dazu?“ die Patientin denkt kurz nach und sagt: „Ja, stimmt.“
„Indem sie ihrem Bruder helfen, haben sie begriffen, wie Sie sich selbst helfen können.“
Diese Vertrautheit mit dem Bruder ist vielleicht auch eine Voraussetzung für die Erkenntnis, dass sie keine Angst vor Männern haben muss. Der enge familiäre Umgang erleichtert ihr die für sie problematische Auseinandersetzung mit dem Begriff „Mann“ als Gattung, der ja auch der Bruder angehört. Die Patientin: „Ich denke unsere Beziehung hat sich entfremdet, als wir gemeinsam im Elternhaus gewohnt haben. Da wir uns ständig begegnet sind und eigentlich keinen Rückzugsort hatten, außer in unserem eigenen Zimmer, gingen wir uns gegenseitig auf die Nerven. Jeder wollte allein wohnen, das war aber nicht möglich. Ich musste sogar durch sein Zimmer gehen, um in meines zu gelangen. So haben wir uns immer in unserer Privatsphäre gestört.
7 Phase IV Teil Prozessverlauf
Dies sind die Themen der nächsten 20 Stunden (60-80 Stunden):
Beziehung zum Bruder, Klavierspielen, neues Jobprojekt
Das Klavierspielen und die Auswirkungen des Unbewussten
In dieser Stunde erzählt sie:
„Mir fällt im Moment das Klavier ein, das bei mir zuhause steht und auf dem ich nie spiele. Als Kind erhielt ich Klavierunterricht, und musste oft üben. Eigentlich habe ich nicht gern Klavier gespielt, da ich es mir nicht selber ausgesucht hatte. Einmal in der Woche kam die Lehrerin und auch unter der Woche musste ich viel üben. Das machte mir keinen Spaß. Vor allem musste ich ausschließlich klassische Stücke und Tonleiter üben. Ich war 5 oder 6 Jahre alt und habe mehrere Jahre Unterricht bekommen. Sonntags musste ich mich nach dem Frühstück gleich ans Klavier setzen und üben. Mein Vater zwang mich dazu. Er saß neben mir und las seine Zeitung, während ich üben musste.“
Unter diesen Voraussetzungen, insbesondere durch das grobe Verhalten des Vaters der nicht einmal zuhört, sondern Zeitung liest, und damit seine Interesselosigkeit zum Ausdruck bringt, konnte das Kind nie wirklich Lust empfinden Klavier zu spielen. Dazu die heutige Formulierung von die Patientin „Auf der einen Seite war das Klavier spielen schon etwas Schönes, auf der anderen Seite hat es für mich einen negativen Beigeschmack bekommen, weil ich ja zu spielen gezwungen war“.
Ich frage sie, welche Gefühle sie dabei gegenüber ihrem Vater hatte, als er die Zeitung las während sie üben musste.
Sie antwortet darauf, dass sie das unfair fand und wütend auf ihren Vater war.
„Haben Sie ihm diese Wut damals auch gezeigt?“
„Nein“.
„Wenn Ihr Vater Sie heute noch dazu zwingen würde, wie würden Sie reagieren?“
„Ich würde ihm den Mittelfinger zeigen und lachen.“
Die Patientin scheint mir nicht mehr so schüchtern zu sein sich wie zu Beginn unserer Therapiegespräche. Das gilt nicht nur für den Vater, sie hat auch mir gegenüber keine derartigen, durch ihr Verhalten erscheint mir die Patientin emanzipiert. Ich kann mich erinnern, wie ich sie am Anfang der Analyse als „Wachsfigur“ beschrieben habe. Jetzt habe ich eine lebendige Person vor mir.
Die Patientin: „Als Teenager habe ich dann irgendwann mit dem Klavier spielen aufgehört, ich hatte auch keinen Unterricht mehr. Nach einiger Zeit jedoch entdeckte ich das Klavier wieder für mich, ohne dass mein Vater mich dazu aufgefordert hätte. Ich kaufte mir Musiknoten und begann regelmäßig für mich zu spielen.
Ich hatte allerdings nicht sehr viel Geduld. Nach ca. einer Stunde war ich genervt von meinen Fehlern und hörte auf zu üben.
Ich wollte immer perfekt spielen, habe es aber nie so geschafft wie ich wollte. Deshalb verlor ich die Geduld und beendete diesen Versuch“.
Ich notiere: Hier hat sie wieder die Lust an ihrer Kreativität verloren bzw. hat sie abgetötet.

7.1 Die Patientin will perfekt sein

„Ich wollte immer perfekt spielen, aber ich realisierte, dass ich nicht so gut spielen konnte wie manch andere Klavierspieler, die das professionell machten. Ich konnte auch nicht nur nach Gehör spielen, sondern benötigte immer Noten. Das frustrierte mich. Vor allem, wenn ich mit Freunden gemeinsam musizieren wollte, konnte ich das nicht, weil alle ohne Noten spielten, ich aber am Klavier nicht improvisieren konnte.
Ich war zu der Zeit jedoch musikalisch sehr interessiert und entdeckte das Schlagzeug für mich, nahm auch Unterricht und bekam von meinen Eltern zum 18. Geburtstag ein ganzes Schlagzeug geschenkt. Darauf spielte ich ca. 3 Jahre lang. Dann war das Interesse auch wieder weg. Ich merkte, dass ich viel mehr üben musste um besser zu werden. Darum hörte ich auf. Danach hat mein Bruder mein Schlagzeug übernommen und einige Zeit darauf gespielt. Später hat er es dann verkauft, weil es in seinem Zimmer herumstand.“
Ich notiere: Ein Schlagzeug ist ein kompliziertes Instrument, auf dem man genauso viel üben muss wie am Klavier. Aber von diesem Instrument versteht der Vater nichts. Beim Trommeln lassen sich Aggressionen besser entwickeln und abbauen.
„Danach war wieder mein Klavier aktuell, erzählt die Patientin weiter. Ich habe wieder ab und zu darauf gespielt – aber nur, wenn niemand sonst zuhause war. Sobald meine Mutter oder jemand anderen nach Hause kam, hörte ich mit dem Spielen auf.
Ein Problem war auch, dass ich niemanden etwas vorspielen wollte. Auch nicht Freunden.“
„Was glauben Sie, woran das liegt?“ frage ich.
Ihre Antwort: „Ich habe diese Personen wahrscheinlich mit meinem Vater gleichgesetzt und das Gefühl gehabt, sie würden nur darauf warten, dass ich einen Fehler mache.“
Ich frage die Patientin, warum sie nur dann Klavier spielt wenn niemand zuhause ist, und ob sie ihren Bruder und ihre Mutter mit ihrem Vater gleichsetzt, als kontrollierende fehlersuchende Personen.
Sie antwortet: Ich genieße Klavier spielen nur dann, wenn ich weiß, dass mir niemand zuhört und meine Fehler bemerkt. Ich spiele nicht einmal vor Freunden.
Um gut Klavier zu spielen, muss man dies mit Leidenschaft und Emotionen tun. Ich mag es nicht, vor anderen Leuten in dieser Hinsicht meine Leidenschaft zu zeigen.“
Daraufhin sage ich: „Sie sind wie Sie sind, wieso wollen Sie Ihre Emotionen beim Klavier spielen verbergen?“
Die Patientin antwortet: „Ja, eigentlich muss ich sie nicht verbergen. Komischerweise ist das nur beim Klavier spielen so. Ansonsten verberge ich nie meine Emotionen. Vielleicht ist das so, weil mein Vater immer so emotionslos daneben saß und seine Zeitung las, während ich üben musste.
Mein Bruder hat auch Klavierunterricht bekommen aber er war schlechter als ich.
Er hat mir gern bei Spielen zugehört – das störte mich nicht, da er damals noch jünger war. Als wir dann beide Teenager waren, habe ich ihm auch nicht mehr vorgespielt, obwohl er sich das oft von mir wünschte.“

7.2 Die Unlust am Klavierspielen

Die Patientin „Ich verlor dann die Lust am Klavierspielen weil ich mir dachte, es gibt so viele Leute die besser spielen können als ich.“
Ich notiere, dass die Patientin Regrediert, ausgelöst durch den Druck des Vaters Klavier spielen zu müssen. Das verursacht in ihr Gefühle der Minderwertigkeit und sie vergleicht sich mit anderen die besser Klavier spielen als sie.
Die Patientin. vergleicht sich mit ihrer Tante, die eine berühmte Pianistin ist, und meint, dass diese viel musikalischer und talentierter sei als sie selbst und ihr deswegen überlegen.
Ich notiere: was die Patientin hier erzählt, gilt auch auf ihr Frau-Sein. Sie fühlt sich anderen Frauen sexuell unterlegen und will deswegen erst gar nicht damit anfangen Frau zu sein. Dies führt bei ihr – wie auch beim Klavierspiel – zu einer Entmutigung.
In der Sexualität weicht sie der weiblichen Konkurrenz aus, hat aber eine direkte Beziehung zu Frauen, die keine Rivalität verursachen.
Als ich sie damit konfrontiere, sagt sie darauf: „Ja, das ist eine logische Erklärung dafür, warum ich damals und heute noch so reagiere.“
Ich frage sie: „Was bedeutet das Klavierspielen heute für Sie?“
Sie antwortet: „Ich würde mich eigentlich schon gerne ans Klavier setzen und gleich perfekt losspielen können, aber leider ist das ja nicht der Fall. Ich muss immer noch üben um schön spielen zu können und üben will ich nicht.“
„Die Vergangenheit belastet sie noch. Sie sind von ihrem Vater traumatisiert und leiden noch unter den Übungen die Sie jeden Sonntag machen mussten“, sage ich, „was sagen Sie dazu?“
„Ja, es scheint so.“
Pause..
Ich frage sie: „Das Schlagzeug hat Ihnen gehört. Wieso hat Ihr Bruder das Schlagzeug übernommen? Und wie war es für Sie, als er es später verkauft hat?“
Sie antwortet: „Nachdem ich aus der elterlichen Wohnung ausgezogen war, nahm ich das Schlagzeug nicht mit in meine eigene Wohnung. Es stand also im Zimmer meines Bruders. Dass mein Bruder darauf spielte, war für mich in Ordnung, aber als ich später erfuhr, dass er es verkauft und das Geld behalten hatte, war ich enttäuscht von ihm und auch über ihn verärgert.“
Ich frage sie: „Wie drückt sich Ihre Enttäuschung zum Bruder aus?“
Die Patientin antwortet: Ich bin einer Konfrontation aus dem Weg gegangen. Aber es war schon eine Art Vertrauensbruch.“
„Haben sie Ihrem Bruder dies gesagt?“ frage ich sie
„Nein.“
„Warum nicht?“
Pause..
Ich konfrontiere die Patientin damit, dass sie vor einer Konfrontation mit ihrem Bruder zurückschreckt.
„Ja, wahrscheinlich.“
„Wenn sich die selbe Geschichte heute wiederholen würde, was würden Sie tun?“
„Das würde ich ihm verbieten.“
Ich notiere in diesem Zusammenhang, dass die Patientin ihren Bruder in unseren Gesprächen jetzt öfter erwähnt als in der vergangenen Therapiezeit.

7.3 Weiter über das Klavier

„Andere Sachen kann ich besser. Klavier muss ich nicht unbedingt spielen, weil ich es nicht so gut kann. Meine Tante ist Pianistin, und Leute wie sie sollten Klavier spielen und nicht ich.
Ich notiere: Es ist nicht so wichtig, ob sie Klavier spielt oder nicht, sondern, dass sie weiß, dass die Abwehr gegen das Klavier spielen auf die frühen Traumatisierung durch den Vater zurückgeht. Als ich sie damit konfrontiere, sagt sie ja, das kann stimmen. Es ist nicht nur der Vater, der traumatisierend wirkt, sondern auch die Entmutigung durch ihn.
Wenn sie sagt: „Leute wie sie (ihre Tante) sollten Klavier spielen und nicht ich“, dann bedeutet das im Klartext: Leute, wie die anderen Frauen sollten Klavier spielen und nicht ich. Sie soll sich mit Männern abgeben, aber nicht ich. Frauen, die es besser können, die mehr Erfahrung haben.
Ein wenig Neid ist darin, aber vor allem viel Resignation, ein Rückzug. Die Resignation greift auch in andere Bereiche (Frau-Sein etc.) über.
Ich frage sie, ob sie vielleicht vergessen hat, dass ihren Vater sie beim Klavier spielen genervt hat. Sie bejaht.
Sie sagt: „Einerseits habe ich das immer unnötig gefunden, andererseits kann ich verstehen, wieso er so handelte. Er musste als Kind ebenso Klavier spielen und seine Eltern waren dabei noch strenger. Er bekam sogar Schläge mit dem Stock sobald er einen Fehler machte. Aber zumindest hat er mich nicht geschlagen.“
Ich notiere: Die Patientin versucht, eine Entschuldigung für das Verhalten ihres Vaters zu finden und seine Schuld geringer zu machen, indem sie sich auf ihre Großmutter bezieht, die ihren Vater als Kind genauso gezwungen hat Klavier zu spielen, sogar mit Stockschlägen. Wenn sie ihren Vater als Opfer seiner Eltern in Schutz nimmt, kann sie ihre Aggressionen nicht verarbeiten.
„Es gab sicher schönere Dinge, die ich an einem Sonntag machen wollte, als Klavier zu üben und danach auch noch Mathematik“ sagt sie.
Ich frage nach „Was hätten sie denn gerne gemacht?“
„Naja, Sonntag als schulfreier Tag, da hätte ich gerne gespielt oder wäre ausgegangen. Deswegen hasse ich Sonntage bis heute noch.“
„Glaube Sie, dass der Tag ihnen gegenüber unfair war? Was kann der Sonntag dafür“?
„Sonntage mochte ich nicht, weil mein Vater den ganzen Tag mit uns verbracht hat.“
Ich frage „Lag es am Sonntag oder an Ihrem Vater?“
Sie meint „Dann eher an meinem Vater.“ Pause…

7.4 Der versteckte Hass gegen den Vater

Ich frage: „Auf einer Skala von 1 bis 10 – wo liegt ihre Beziehung zum Vater?“
Sie antwortet: „Hmm … 5.“
„Das liegt im mittleren Bereich. Warum eigentlich? In meinen Erinnerungen habe ich nur Negatives über Ihren Vater erfahren.“
„Gute Frage … warum eigentlich. Vielleicht ist es sogar weniger als 5“.
Hier versucht sie ihn auch zu schützen. Der versteckte Hass ist nicht ganz so versteckt. Einerseits schützt sie ihn, andererseits sagt sie auch, dass sie den Vater sogar bei weniger als 5 Punkten in der Beziehungsskala einordnen würde.
Weiter erzählt sie: „Unsere Beziehung besteht hauptsächlich aus Oberflächlichem und Alltäglichem.
Über Beziehungen oder Emotionales reden wir gar nicht. Höchstens reden wir mal über meinen Job oder meine Kunst. Wenn wir einmal alleine sind, habe ich Bedenken, dass wir kein Gesprächsthema finden. Mein Vater ist kein Mensch der viel redet. Meistens rede ich, aber es bleibt dann eben nur bei Oberflächlichkeit.“

7.5 Bemerkung zu diesem Thema und Gegenübertragung

Ich kann die Handlungen des Bruders nicht verstehen, der ihr Schlagzeug verkauft und den Erlass für sich behält. Einerseits finde ich dies gegenüber der Patientin ungerecht, andererseits ist es falsch, dass die Patientin damals keine Reaktion auf die Handlungen ihres Bruders gezeigt hat.
Bei diesen Themen erwähnt sie oft ihren Bruder, was mich schlussfolgern lässt, dass sie fähig ist zu reflektieren. Sie löst sich von der Rivalität und öffnet sich für eine neue Beziehungsgestaltung mit ihrem Bruder.
Ich kann annehmen, dass eine Konfrontation vermieden wurde. In Bezug auf die Rivalitätsebene mit ihrem Bruder zieht sie sich zurück.
Dass die Patientin vermeidet, vor jemandem Klavier zu spielen und auch Sonntage hasst, ist das Resultat der unfairen und strengen Handlung ihres Vaters. Als sie nach der Konfrontation, ob sie nur die Sonntage an sich oder den Vater hasst, den letzteren wählt, freut es mich, da es eine neue Erkenntnis für sie ist. Ich frage mich, wozu der Vater überhaupt fähig ist.
Wenn die Patientin sich an die gemeinsamen Sonntage mit dem Vater erinnert, und heute nur an die Wut und den Hass denkt, den sie damals empfand, kann man daraus folgern, dass dadurch seelische Belastungen bzw. psychische Dynamiken entstanden sind.
Sie reagiert damit, dass andere bessere Klaviere spielen können als sie und fällt in Resignation und Minderwertigkeitsgefühle.

7.6 Gegenübertragung

Ich habe versucht, meine Patientin zu verstehen. Der Vater hat sie traumatisiert. Jetzt plötzlich will sie ihn in Schutz nehmen, und das kann ich nicht nachvollziehen.
Ich habe Mitgefühl mit der Patientin, andererseits verstehe ich nicht, wieso sie in gewisser Weise aggressionsgehemmt ist und den Vater in Schutz nimmt. Ich fühle mich dabei ohnmächtig, weil ich mich an der Aggressionsvermeidung von der Patientin stoße. Ich würde sie lieber akzentuierter in der Gegnerschaft sehen und mir wünschen, dass sie das Negative am Vater erkennt, ohne Entschuldigungen für ihn zu suchen und auch, dass sie ihre Wut und Aggressionen äußert.
Die Patientin wünscht sich einen Vater, der auf ihrer Seite steht und ihre Wünsche erkennt, sie auch als Frau motiviert.
Auch das Verhalten ihres Bruders geht mir nahe, wenn er ihr Schlagzeug verkauft und das Geld dafür behält. Es bereitet mir durchaus Ärger. Durch seine Gier enttäuscht er seine Schwester.
Wie viel Aggression kann sie sich erlauben, wenn sie sich noch immer in dieser Verbindung mit der Familie befindet? Ist diese nicht auch eine Ursache für die Zurückhaltung ihrer Aggressionen? Sonst müsste sie eventuell mit der Familie brechen oder sich selber sagen, dass der Vater so handelte, weil er nicht anders konnte. Sie muss sich aber von dem Wunsch und der Hoffnung, einen ganz guten Vater zu haben, endgültig verabschieden.

7.7 Kreativität und ihr neues Projekt

In weiterer Folge erzählt sie von ihrem neuen Projekt. Sie arbeitet zusammen mit einer Jungunternehmerin, die Kinderspielzeug über das Internet verkaufen möchte. Die Arbeit von die Patientin besteht darin, Illustrationen für die Webseite des Unternehmens anzufertigen. Sie freut sich über die Gelegenheit, an diesem Projekt mitarbeiten zu können, weil ihr das kreative Handwerk sehr viel Freude bereitet. Sie kann sich dabei als selbstständige Künstlerin betätigen. Das Budget ist am Anfang noch sehr klein, da es ein Start-up Projekt ist, aber sie sagt, sie wird im Monat ca. vierhundert Euro zusätzlich verdienen.
„Parallel zu diesem Projekt möchte ich aber noch weitere kreative Jobs haben. Ich werde mich aktiv bei diversen Agenturen, Verlagen und auch Galerien bewerben. Das würde sich dann finanziell rentieren.“
Sie zeigt, was ihre berufliche Karriere und ihre Kreativität betrifft eine progressive, ausweitende Handlung.
Ich frage mich, wo ihre Wünsche vom Beginn der Analyse bleiben. Sie wollte einen Partner und nun hat dieser Wunsch seine Dringlichkeit verloren. Sie sublimiert dies mit ihrer Kreativität.
Auf meine Frage, was mit ihrem anderen Teilzeitjob wäre, reagiert sie fröhlich, da eine baldige Kündigung ansteht.
Sie sagt: „Ich sitze jeden Tag 4 Stunden vor dem Computer und es gibt wenig zu tun. Im Moment ist es nur ein Zeit-Totschlagen. Wir haben vor kurzem eine neue Kollegin bekommen, die eigentlich meine Arbeit erledigt. Somit ist für mich fast nichts mehr zu tun. Es ist jetzt wirklich schon Zeit zu gehen. Aber solange ich noch kein Honorar von diesem neuen Designprojekt bekommen habe, ist es noch gut, dass ich noch im alten Job bin.“

Botanisches Nest, 2013
Anh. Abb. 5 – Gegen Ende der Therapie im Jahr 2013
entstanden neue, illustrativere und detaillierte Arbeiten

Abb. 7. Fund Objekt I+II, 2014 Dies sind zwei neuere Arbeiten der Patientin, die nach Beendigung unserer Therapie entstanden sind. Es sind großformatige Bilder

8 Phase-V Therapie Ende und Zusammenfassung
Gegen Ende der insgesamt 80 Stunden umfassenden Therapie im Dezember 2013 thematisiert die Patientin ihren Abschluss. Sie hat schon selbst im September 2013 daran gedacht, aber jetzt will sie wirklich aufhören. Wir haben bis jetzt immer noch eine dreimalige Stundenfrequenz pro Woche. Selbstverständlich respektiere ich ihren Wunsch.
Ich frage die Patientin: „Was macht den jetzigen Zeitpunkt zu einem guten und richtigen, sodass Sie die Therapie nun beenden wollen?“
Die Patientin „Na ja, es ist gut so. Ich habe viel erreicht und sie haben mir viel geholfen.“
Innerlich bin ich gefühlsmäßig überrascht, obwohl ich damit gerechnet habe. Mit Absprache einigen wir uns noch auf einige Stunden im Liegen, danach für eine Setting-Änderung bis zum Abschluss. Die Frequenzen werden auf 2x pro Woche reduziert, danach auf 14 Tage je eine Stunde.
Die Patientin fragt, ob die Möglichkeit besteht, nach Therapieabschluss sporadisch vorbeizukommen, wenn sie etwas bräuchte. Dann sagt sie, dass sie ein komisches Gefühl habe, einerseits weil es ihr gut gehe, sodass sie aufhören wolle, andererseits will sie mit mir die Therapie fortsetzen. Sie hat sich aber für die oben erwähnte Vereinbarungen entschieden. Ich sage, das sei in Ordnung, alles im Leben braucht seine Zeit. Die Patientin überlegt kurz, dann fixieren wir die neuen Regeln.
8.1 Wichtige Themen für die Patientin
Die Reihung der folgenden Themen hat die Patientin selber vorgenommen und durch die Abfolge zeigt sich vielleicht auch der Grad der ihr wichtigen Beziehungen und Perspektiven.
– Beziehung zum Bruder
– Beziehung zur Mutter
– Berufliche Perspektive
– Beziehung zum Vater
– Beziehungen zu Frauen
– Vorstellung einer Beziehung zum Partner und der Entwicklung von Sexualität
Die Patientin erscheint heute gut gelaunt. Es ist Frühlingsbeginn. Auf die Frage, wie es ihr geht, sagt sie es ginge ihr gut, sie sei entspannt und freut sich auf die neuen Dinge in ihrem Leben.
Ich frage, was die neuen Dinge in ihrem Leben seien.
Die Pat: „Also gestern war ich bei meinem Bruder zum Essen eingeladen. Wir treffen uns jetzt öfter, kochen gemeinsam und reden über persönliche Themen. Er hat mir unter anderem private Sachen bezüglich seiner Beziehung anvertraut und mich gebeten, niemandem etwas zu erzählen, vor allem nicht unserer Mutter. Mich freut, dass wir eine Vertrauensbasis gefunden haben. Bei der Verabschiedung haben wir ausgemacht, dass wir uns bald wieder treffen.“
Ich frage: „Wie ist diese neu gestaltete Beziehung zum Bruder für Sie?
„Es fühlt sich sehr gut an.“
„Was hat sich, im Vergleich zu früher, in der Beziehung zu Ihrem Bruder geändert?“
„Ich sehe heute meinen Bruder auch als Freund und wir können über Themen reden, über die wir früher nicht geredet hätten. Er selber sucht im Moment das Gespräch mit mir.“
Ich notiere: die Beziehung läuft gerade gut, und es gibt keine Rivalität mehr zwischen den Geschwistern. Die Beziehung ruht tatsächlich auf einer geschwisterlichen Liebe und im einen gesunden Rahmen.
Ich frage: „Sie fühlen sich nicht verpflichtet ihn zu bemuttern, so wie früher?
Die Patientin: „Nein. Jetzt verstehe ich alles insgesamt besser und er ist selbst für sein Leben verantwortlich. Wenn er sich aussprechen möchte, bin ich natürlich für ihn da, wenn er mich braucht.“
„Würde er das auch für Sie machen?“
„Ja, natürlich.“
„Was macht Sie so sicher?“, frage ich sie.
Die Patientin antwortet: „Weil ich weiß, dass er mich auch schätzt.“
Pause.
„Was denken Sie jetzt?“
„Im Moment haben wir eine gute Beziehung. Es ist so, dass ich jetzt Grenzen setzen kann. Wenn ich zum Beispiel das Gefühl habe, dass mich meine Mutter zu oft kontaktiert, anruft, SMS schreibt etc., dann sage ich ihr schon, dass ich gerade nicht kann. Ich merke dann selber, dass es mir zu viel wird und lasse sie das dezent wissen. Ich bin auch nicht mehr so stark auf sie fixiert. Zum Beispiel, wenn sie mich am Abend mit dem Auto nachhause fahren möchte, dann schlage ich das ab und sage, dass ich alleine nachhause gehen möchte und die Zeit für mich brauche. Sie akzeptiert das dann. Manchmal möchte sie etwas mit mir unternehmen, auch wenn mir das in dem Moment nicht recht ist, sie aber weiter nicht locker lässt, mache ich sie darauf aufmerksam, dass es mich nervt. Ich schaffe mir ein wenig Abstand.“
Einerseits grenzt die Patientin sich so ab, andererseits kann es auch sein, dass sie zu große Nähe zur Mutter vermeiden möchte, weil sie das auch in ihrer Unabhängigkeit bedroht.
Ich frage Sie: „Gehen sie so oft wie früher auf Besuch zu ihren Eltern?“
Sie meint: „Vielleicht ein bisschen weniger als früher.“
Ich notiere: Die Patientin weiß jetzt besser Bescheid über ihre Beziehung zur Mutter.
Sie kann Grenzen setzen und zu ihrer Mutter auch einmal „Nein“ sagen. Die Patientin zeigt, dass sie auf keinen Fall von ihrer Mutter abhängig sein möchte. Sie erkennt nun auch die narzisstische Seite ihrer Mutter und macht sie darauf aufmerksam.
Ich frage sie: „Sie sind ja noch finanziell von ihrer Mutter abhängig, richtig? Wie sieht dies jetzt aus?“
„Das ist zeitlich begrenzt, das haben wir abgesprochen. Sobald ich mit meinem neuen Jobprojekt dazuverdiene, werde ich finanziell unabhängig sein. Es ist für uns beide klar, dass ihre Unterstützung endet, sobald ich mein eigenes Geld verdiene, was in den nächsten 1-2 Monaten der Fall sein wird.“

8.2 Wichtige Bemerkung

Durch die kulturelle Gegebenheit der Patientin, trifft sich die Großfamilie eigentlich fast täglich, nicht nur aufgrund des Familienunternehmens. Selbst an den Wochenenden fahren alle gemeinsam aufs Land. Alle Fest- und Feiertage werden gemeinsam im Verband der Großfamilie gefeiert. Die Patientin lebt im sozialen Netz ihrer orientalischen Familie, mit all seinen Regeln und Traditionen, denen sie sich auch nicht entziehen möchte.

8.3 Berufliche Perspektive

Die Patientin „Ich werde in den nächsten Monaten meinen alten Teilzeitjob verlassen und möchte im Büro klarstellen, dass ich mich einvernehmlich trennen möchte.
Ich freue mich schon, dass ich mich bald vollzeitig auf meine eigenen kreativen Arbeiten und meine Kunst konzentrieren kann.
Ich frage sie: „Was haben Sie konkret vor mit Ihrer Kunst?“
Die Patientin sagt: „Ich möchte jetzt mehr in die fotografische Richtung gehen, d.h. Auftragsarbeiten annehmen und auf Events fotografieren. Ich habe angefangen mich zu vernetzen; viele Bekannte empfehlen mich weiter. Auf der anderen Seite möchte ich mich auch als Künstlerin bei Galerien bewerben.“
Ich notiere: Ihre Themen wiederholen sich, sage ihr dies aber nicht.
Das ist gegen Ende einer Analyse üblich.
Ich frage sie: „Wo sehen Sie sich in den nächsten Jahren mit ihrer Kunst?“
„Ich möchte davon leben können, gut leben können, regelmäßig Aufträge bekommen und später auch international bekannt werden. Da ich meine Kunst auch im Internet zum Kauf anbiete, denke ich, dass ich mich auf internationaler Ebene auch mit anderen Künstlern werde vernetzen können.“
Auf meine Frage ob sie vorhat, Ausstellungen mit ihrer Kunst zu planen, meint sie, dass sie das gerne tun möchte. Sie hätte schon viele Werke parat, die sie bald in einer Einzelausstellung zeigen möchte.

8.4 Beziehung zum Vater

Wenn wir uns treffen, ist es ok, wir reden über Alltägliches miteinander und ich kann mich jetzt auch wehren, wenn er zum Beispiel zu schimpfen anfängt oder mir sagt, was ich machen soll. Dann weise ich ihn daraufhin oder schimpfe zurück. Ich sage ihm dann, er soll aufhören so zu schimpfen.
Ich frage sie: „Hat sich die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrem Vater inzwischen verändert?“
„Ja, schon. Heute verstehe ich, warum er so handelt. Er hat selber eine strenge Erziehung gehabt. Trotzdem setze ich Grenzen und lasse mir seine Meinungen nicht von ihm aufzwingen oder stoppe ihn, wenn er zu viel mit meiner Mutter schimpft.“
„Meinen Sie, dass sich Ihre Mutter immer noch Ihrem Vater unterlegen fühlt?“
„Ja, ansonsten würde sie doch mal zurückschimpfen oder ein hartes Wort sprechen.“
„Trifft es Sie hart, wenn Ihr Vater mit Ihrer Mutter schimpft?“
„Nein, heute nicht mehr so wie früher.
Auch mit meinem Onkel kann ich jetzt viel besser umgehen als früher. Ich weiß, wie ich mich in seiner Gegenwart verhalten muss, damit es nicht zu einer Eskalation kommt. Er ist ja ein Choleriker. Trotzdem weiß er, dass ich nicht bereit bin in unserem Familienunternehmen zu arbeiten, das habe ich ihm schon erklärt

8.5 Beziehungen zu Frauen

Die Patientin redet auch über ihre Beziehungen zu anderen Frauen. Sie meint, dass sich darin etwas verändert habe. Sie sei jetzt vorsichtiger und skeptischer, wenn eine freundliche Frau etwas von ihr möchte. Zum Beispiel sagt sie, wenn es um Geschäftliches geht, fällt ihr jetzt viel schneller auf, dass sie Grenzen setzen muss und sich nicht unter ihrem Wert verkauft. Wenn ihr eine sympathische Frau begegnet, stellt sie die Beziehung viel schneller in Frage und schaut, dass sie sich nicht ungerecht behandeln lässt.
Früher ging sie viel naiver mit solchen Bekanntschaften um. Sobald eine ihre sympathische Frau nett zu ihr war, bestand die Gefahr, dass sie ausgenutzt wurde, da sie die Frauen gewissermaßen mit ihrer Mutter gleichsetzte. Dies kann als Identifikation verstanden werden.
Die Patientin sagt: „Ich bin autonom und nicht so naiv wie früher. Ich spreche klar aus, wenn ich etwas haben möchte, vor allem in geschäftlicher Hinsicht.“
Ich habe mich viel mit der Psychoanalyse beschäftigt, habe auch einiges über Freud’s Theorien gelesen und interessiere mich immer noch für dieses Gebiet. Mein Wunsch war es immer schon, mich selber besser kennenzulernen, und die Psychoanalyse ist eine Bereicherung für mich.
Ich erzähle auch meinen Freunden darüber und versuche immer wieder, eine analytische Sicht in unsere Gespräche miteinzubeziehen.
Ich frage Die Patientin was sie mit „aus analytischer Sicht“ meint.
Die Patientin sagt: „Wenn mir zum Beispiel Freunde von ihren Sorgen und Problemen erzählen, dann denke ich nicht oberflächlich, sondern gehe mit ihnen in die Tiefe, somit kann ich ihnen auch besser helfen ihre Probleme zu verstehen und vielleicht zu lösen. Ich versuche Teile der psychoanalytischen Lehre auf meine Freunde anzuwenden und sie auch immer wieder für die Psychoanalyse zu interessieren.
Ich notiere: Ob ihr Interesse, sich über die Theorie der Psychoanalyse zu informieren, mit dem Wunsch nach einer sexueller Befreiung einhergeht?
Ich frage die Patientin ob, sie sich auch über Sexualität aus analytischer Sicht informiert hat. Daraufhin bejaht sie.
Ich vermerke, dass ich die Patientin mit diesem Thema nicht mehr belasten möchte. Es ist gegen Ende der Analyse und ich ziehe vor es der Patientin zu überlassen, ob sie dieses Thema ansprechen möchte oder nicht.

8.6 Vorstellung einer Beziehung zum Partner und Sexualität

Die Patientin sagt, sie sei offen für eine Beziehung. Auf meine Frage hin, wie sie sich einen Partner vorstellt, antwortet sie:
„Ich habe schon eine konkrete Vorstellung. Er soll intelligent und fesch sein, in meinem Alter oder ein paar Jahre älter und eine ähnliche Ausbildung wie ich haben. Ich wünsche mir jemanden, der emotional, intelligent und humorvoll ist.“
„Würden Sie auch mit ihm Sexualität teilen?“
„Na das hoffe ich doch stark.“
Die Patientin scheint humorvoll zu sein, was für sie spricht.
„Hoffen Sie oder wollen Sie?“
Die Patientin: „Ich will das ganze Paket“
„Das heißt, Sie sind offen für eine normale Beziehung?“
„Ja, sicher“.
Ich notiere: Ich bemerke die Patientin ist betreffend einer Beziehung und Sexualität schon weit fortgeschritten in ihrer Entwicklung. Angst vor Sexualität scheint ihr nun fremd zu sein.
Aber wie sie in ihrer Körperlichkeit eine Annäherung wirklich erträgt, weiß ich nicht. Ich möchte sie mit einer weiteren Frage in diesem Zusammenhang nicht weiter bedrängen. Wie sich dieses Thema weiter gestaltet ist noch nicht festlegbar.

8.7 Gegenübertragung

Ich notiere: Die Patientin erscheint mir vielfältig in positiver Sicht verändert. Sie kann Grenzen setzen, hat viel aus ihrer Biografie gelernt und setzt ihr Wissen um.
Sie kann sich zwischen den Frauen behaupten. Es kommt mir auch vor, als vergleiche sie sich nicht mehr mit Anderen. Ihr Selbstbewusstsein scheint gestiegen.
Ich freue mich für die Patientin bezüglich ihrer rundum positiven Neuentwicklung.
Ihre Zukunftspläne sind realistisch. Dass sie ihre Kunst international bekannt machen möchte, traue ich ihr zu, allerdings denke ich, dass dies noch ein längerer Prozess sein wird. Diese Seite von die Patientin erscheint mir ganz neu.
Im Gesamtbild, vom Beginn der Analyse an bis jetzt, hat sich die Patientin enorm entwickelt. Dahinter vermute ich, dass die Patientin von Anfang an sehr an ihrer Therapie interessiert war und sich auch viel Wissen über Psychoanalyse angeeignet, in Internet und Büchern darüber nachgelesen hat. Wenn sie mich manches Mal nach passender Literatur gefragt hat, borgte ich ihr hin und wieder ein Buch.
Die Bücher waren „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ und „Hemmung, Symptom und Angst“ von Freud. Psychoanalyse von List. Nach dem Lesen berichtete mir die Patientin, dass manche Theorien eine Bereicherung für das Verständnis ihrer eigenen Probleme waren, andere wiederum waren ihr überhaupt nicht verständlich. Oft stellte sie mir auch konkrete Fragen bezüglich des Gelesenen. Sie meinte auch, dass meine Analyse durch die Literatur widergespiegelt wurde.

8.8 Rückschau und Stundenzusammenfassung

Ich notiere: Was muss passieren, dass die Patientin vor ihrer Sexualität keine Angst sowie keine Hemmungen mehr hat. Zum einen besteht die Situation der Triangulierung mit einem bestimmten Vater und einer bestimmten Mutter und wie sie über dieser Triangulierung – wo sie soweit entmutigt worden ist – zu befragen sei Als Fragenstellen sich: Der Weg zur Frau in der Geschichte der Familie. Nach der Stärke und der Struktur des Ich-Selbst, nach den Symptomen, die sie damals gezeigt hat, und sich als sehr vulnerabel und fragil erwies nach der Basis, auf der die Triangulierung steht und ebenfalls vulnerabel ist wie die Stärke des Ich-Selbst als Voraussetzung, um überhaupt eine Sicht auf die Sexualität und das Frau Sein dar stellen zu können. Diese beiden Aspekte habe ich bei der Patientin im Verlauf der Analyse des Fallberichtes als wesentlich gedeutet.
Zweifellos erscheint die Patientin jetzt strukturell gestärkter, so dass sie sich leichter mit der Triangulierung und mit der Weiblichkeit beschäftigen kann. Sie hat aber in der Geschichte der Therapie ihrer sexuellen Zentriertheit von ihrem Problem etwas abgewandt in die Richtung der Kunst und kreativen Tätigkeiten. Wie weit dann die eigentliche Sexualität geht, wenn die Patientin sich mit einem Partner zusammentut und wie sich das entwickelt, bleibt ungewiss.

8.9 Keine Fixierung auf sexuelle Gedanken

Die Prioritäten der Patientin, die vorher auf das sexuelle Thema fixiert waren, haben sich in gewisser Weise aufgelöst bzw. verschoben. Ihr Ich-Selbst scheint stabiler und stärker geworden zu sein. Wie weit die Feuerprobe einer wirklich sexuellen Beziehung standhalten wird, kann man nicht so recht sagen. Die sexuelle Fixierung scheint jedoch ganz behoben zu sein, insofern sie eine Partnerschaft ins Auge fasst, das aber derzeit nicht das Wichtigste in ihrem Leben ist. Es scheint als hätte sie ihre Libido auf andere Gebiete ausgeweitet.
Der Konkurrenz zu anderen Frauen kann sie standhalten, aber in gewisser Weise fehlt ein aktives Interesse der Patientin an einer Partnerschaft. Es scheint, als ob Sie vermeidet in dieser Hinsicht aktiv zu werden. Sie ist aber nicht lustphobisch bzw. sexualphobisch. In welcher Weise der erotische Moment bei ihr eine Bedeutung hat, kann ich nicht sagen.
Dennoch sind auf dem Weg dorthin wichtige Schritte gesetzt worden, ihre Beschwerden scheinen völlig behoben zu sein. Ich erinnere an den Ohnmachtsanfall, den sie bei einer gynäkologischen Untersuchung hatte. Anlässlich einer späteren Untersuchung bei demselben Arzt hat sie keine Probleme und fühlt sich nicht bedroht.
Bei einem männlichen Therapeuten und einer weiblichen Patientin ist es immer heikel, nach deren erotischen Vorstellungen zu fragen. Immerhin habe ich die Patientin gefragt, ob sie sich selbstbefriedigen würde, was sie bejahte. Allerdings habe ich nicht nach ihren sexuellen Phantasien gefragt, da das Thema doch heikel ist. Wenn sie mit sich selber erotisch ist, ist sie nicht frigide und hat keine Schranken.
Diese Information ist wesentlich für ihre sexuelle Entwicklung und die Stärke ihres Ich-Selbst in Bezug auf sexuelle Erregung mit einer Befriedigung und ohne Angst. Damit kann ich einen Moment ihrer sexuellen Entwicklung feststellen.
Die Patientin wirkt entspannt, zufrieden mit dem was sie erreicht hat. Sie sagt “heute verstehe ich mich besser mit meinen Bruder, ich verstehe auch viel über mich selbst. Ich weiß auch genau, weshalb mein Vater so ist, wie er ist“. Auch die intensive Beziehung mit ihrer Mutter kontrolliert sie und überlegt die Gratwanderung zwischen normal und zu viel. Das hat sie im Griff. Jetzt beginnt für sie ein neues Leben.
Wir beginnen ein neues Kapitel in einem neuen Setting, abermals im Sitzen. die Patienten meint, das Sitzen ist erfrischender. Sie sagt: „Es ist mir angenehmer Blickkontakt zu ihnen zu haben. Wenn ich liege, fühle ich mich faul.“
Es geht wiederum um ihren Projektjob, wobei ich den Eindruck habe, die Patientin nützt diese Stunden als eine Art Supervision; sie will ihr Leben selbst in die Hand nehmen und gestalten. In dieser vorletzten Stunde erscheint die Patientin in einem Minikleid, das ihr meiner Ansicht nach gut passt.

8.10 Die Wiederholung von Themen

In der nächsten Sitzung wiederholt die Patientin die Themen bezüglich ihres Bruders und ihrem Beruf. Außerdem meint sie traurig aber auch erleichtert zu sein, weil die Therapie mit dem heutigen Tag beendet ist. Ich frage die Patientin, ob sie eine Fortsetzung möchte. Sie sagt: „ Noch ein- oder zweimal zu kommen wäre gut.“
Wir verbleiben damit, dass sie in 2 Wochen wieder kommen kann, wenn sie es möchte. Die Patientin sagt: “Na ja, in zwei Wochen wird mein Abschiednehmen auch nicht leicht sein. Es wird genauso sein wie heute. Also machen wir lieber heute Schluss.
Zu einer Analyse gehören auch Abschied und Trauer des Abschieds. Dass sie für sich allein die Entscheidung trifft die Therapien zu beenden, finde ich gut.
“Dann machen wir es so und beenden heute die Therapie“ sage ich.

9 Diagnose ICD-10 Kapitel V F

Wie anfangs beschrieben wurde, konnte der Autor eine strukturelle Ich-Störung, Minderwertigkeitskomplexe, Probleme mit weiblicher Identität Sexualität feststellen, und:

– Generalisierte Angststörung F41.1 /DSM-5 Code 300.82 (sehe Kapitel, 12)
– bipolare affektive Störung, gegenwärtig mittelgradig depressive Episode F31.3 (Möller et al. 2005). (sehen Kapitel 14)
Wie oben erwähnt worden ist, handelt es sich um psychische Störungen.
Von ICD-10 wird allerdings nicht geklärt, welche Ursache diese Symptome haben. Die Psychoanalyse konnte die Ursachen für frühkindliche Traumata feststellen, die in der Grabkammer des Unbewussten verdrängt worden waren, aufdecken, deuten, erklären und aus dem Unbewussten verstehen, plausibel und von Plausibilität zum Bewusstsein heben und die Ergebnisse, die bewusst geworden sind, in den Alltag integrieren.
Was der Patientin gefehlt hat, weswegen diese Symptome bei ihr aufgetreten sind, konnte durch die Psychoanalyse geklärt werden. Aus psychoanalytischer Sicht liegt bei die Patientin eine strukturelle Störung in der Ich-Entwicklung zugrunde, sowie auch ein Ödipal-Komplex und eine mangelhafte Objektbeziehung Vater-Mutter-Kind / Mutter-Brust als Quelle des Lebens für das Kind. Außerdem besteht ein gewisser Mangel an inneren Kunstobjekten, die für die innere Beruhigung, den Ausgleich und Schutz zuständig sind.

9.1 Generalisierte Angststörung F41.1 /DSM-5 Code 300.82

Die am Anfang anhaltenden Symptome bei der Patientin zeigten sich durch sehr unterschiedliche Äußerungen, z.B. durch Nervosität, Muskelverspannung, als motorische Spannungen, Schwitzen, Benommenheit und Herzklopfen. Diese vorhandenen Symptome stimmten mit ihrer persönlichen Wahrnehmung überein und bestanden bei ihr bereits in einer lang anhaltenden Phase. Diese vegetativen Störungen belasteten die Patientin sehr. Im Laufe der Therapie jedoch beruhigte sich ihre seelische Befindlichkeit. Ebenfalls beruhigt haben sich die Befürchtungen und Sorgen über ihre zukünftige berufliche Karriere als Künstlerin. So wie schon Dilling und Reimer (1995) beschrieben haben ist es dem Autor gelungen innere Objekte die beschützend sind in der Therapie in ihr selbst aufzubauen.
In der ICD-10 V. F. schreibt vor mehrere Wochen anhaltend. Meistens in dieser Zeit muss die Angst vorhanden sein. In dieser Zeit reagieren die Patienten meistens mit Distanzierung oder Ablenkung. Die wesentlichen Anzeichen dieser Symptome sind, und dies kann man als Auf der vegetativen Ebene sind Übererregbarkeit, Beklemmungsgefühle und Atemnot vorhanden (Möller et al 2005).
Wie Dilling und et al. (2001) beschrieben haben, äßern sich die Einzelsymptome:, Mundtrockenheit, Oberbauchbeschwerden, Tachypnoe/ Tachykardie, Schwindelgefühle, Spannungskopfschmerz, Konzentrationsstörungen, über die Sorge nach dem zukünftigen Unglück. Die primären Symptome der generalisierten Angststörung treten über mehrere Wochen auf (Dilling et al. 2011).
Weiteres wirken aus psychoanalytischer Sicht Innere-Objekte tröstend und beschützend und haben ihren Ursprung in der Kindheit, wenn das Kind von Erwachsenen getröstet oder beruhigt wurde. Bei der Patientin fehlen in der Kindheit die inneren Objekte aufgrund ihrer Familiengeschichte. In der Therapie ist es gelungen die inneren Objekte in ihr selbst aufzubauen.

9.2 Soziale Phobien

Vermutlich begann ihre Phobie bereits in ihrer Jugendzeit, hierbei handelte es sich um die Furcht vor einer Menschenmenge. Die Patientin fürchtet sich vor ihren entgegenkommenden Menschenmassen in der Innenstadt. Sie flüchtet in ihre Wohnung, legt sich in ihr Bett und deckt sich zu, bis sie sich wieder beruhigt.
Angst in die Öffentlichkeit zu gehen als Soziale Phobie ist in der Regel mit einem niedrigen Selbstwertgefühl verbunden. Dies war ein zentrales Thema in der Therapiezeit. Die Symptome können bis hin zu Panikattacken verstärkt sein, wie schon Dilling & Reimer beschreiben (1995).
Bei Zunahme der Analyse verbesserte sich der Zustand. Durch die inneren Objekte, die sich während der Therapie bei der Patientin entwickelten, konnte sich ihr Zustand verbessern. Neben gewissen Deutungen wurde auch viel mit der Patientin geklärt. Klären, Konfrontieren, Deuten und Durcharbeiten hilft auch den Aufbau von inneren Objekten zu fördern.
In den ersten primären Sozialisationen, im Kindergarten und auch in der Volksschule, gibt es bei die Patientin einige Beispiele, wo Kinder und Erwachsene ihr Angst machen und es ihr schwer gemacht haben sich zu integrieren. Das hat sich in ihrer weiteren Biografie in eine allgemeine soziale Phobie umgeschlagen. Im Verlauf der Therapie kamen Geschichten von der Pat. zutage, welche, wenn man so will, Vorbereitung für eine Sozialphobie waren. Es ist eine generalisierte Sozialphobie und trifft bei der Pat. auf alle Menschen zu.

9.3 Diagnostische Leitlinien

Bei phobischen Ängsten müsste man überprüfen, ob es sich um primäre Angststörungen oder eine andere psychische Erkrankung handelt. Wichtig ist, dass man Depressionen und ihre Angstsymptome von der Generalisierten Angststörung unterscheidet. Wenn die Trennung nicht einfach ist, muss klar werden, dass die primären Angstsymptome bei der Angststörung liegen müssen (Möller et al. 2005).
– Das psychische Verhalten äußert sich durch vegetative Symptome,
z.B. : Bauchschmerz, Menstruationsbeschwerden, Kopfschmerz und Allergien
– Ihre Angst wurde durch bestimmte Situationen (z.B. die Begegnung mit einer Menschenmenge in der Stadt) ausgelöst.
– Wenn immer möglich, vermeidet die Patientin diese phobische Situation. Sie flüchtet sofort, wenn ihr eine Menschenmenge entgegenkommt.

9.4 Langzeitige depressive Verstimmung

Bei der Patientin herrscht lange Zeit eine depressive Verstimmung: Verlust von Interesse, auch Antriebsmangel sowie erhöhte Ermüdbarkeit machen sich bemerkbar. Das sind die typischen Symptome einer Depression. Ihre depressive Verstimmung kommt auch zustande, weil sie entmutigt ist, weil sie sich nichts zutraut, weil sie in der Konkurrenz mit anderen vor sich selbst schlecht abschneidet, weil die anderen besser sind, weil sie sich zurückzieht. Ein Teil des Rückzuges ist nicht nur die mittelgradige depressive Episode, sondern die entmutigende Situation aus dem Leben das sie bis dahin geführt hat.
Für diese Diagnose sollten mindesten zwei dieser Symptome vorhanden sein, wie schon von Dilling und Reimer (1995), beschrieben was auch der Fall bei dieser Pat war. Die Patientin leidet unter ihrer Antriebslosigkeit, gibt aber die alltäglichen Aktivitäten nicht auf.

9.5 Differentialdiagnose

So wie von Mentzos (2011) beschrieben, wird während des Prozessverlaufes deutlich, dass der ödipale Konflikt (passiver Modus) als bewusstes Ziel der Therapie wahrgenommen werden muss. Das Konzept der frühen Triangulierung und die Angst vor einer Beziehung bzw. Sexualität bestanden bei der Patientin ebenfalls. Die Angst vor einer Beziehung die sie bis zur Ohnmacht geführt hat, ist wieder ein Hinweis ihrer strukturellen Ich-Schwäche. Sie ist quasi der Triangulierung immer wieder nicht gewachsen. In welcher Weise funktioniert die Patientin auf dem ödipalen Niveau oder sogar dem prä-ödipalen Niveau? Wo sie sich dem ödipalen Thema nähert hält ihre Ich-Struktur das nicht aus und führt bis zur Ohnmacht.
Sexualität als inneres Theater könnte man auch als Diagnose für einen hysterischen Zustand sehen. Der Autor hält die Patientin allerdings nicht für eine reife Hysterikerin, sondern für eine infantile Persönlichkeit nach Kernberg oder strukturell unreife Persönlichkeit aufgrund der Verletzbarkeit in der Kindheit. Dieses Bild ist auf einem unsicheren Boden aufgebaut. Sie hat nicht die Kraft sich mit dem ödipalen Thema richtig auseinanderzusetzen.
Die Voraussetzungen sind besser als früher, aber die Erprobung des Frauseins ist noch nicht gegeben, ist noch offen. Im Verlauf der Therapie haben sich allerdings diese Symptome verbessert. Heute ist die Patientin offen für eine Beziehung. Mentzos (2011) erwähnt als deskriptive Merkmale des hysterischen Modus: Konversionsstörung, sowie Affektstörung und Emotionalisierung, d h. die Funktion des hysterischen Modus liegt in einer unbewussten Inszenierung. Die Situationen werden anders dargestellt als sie in der Wirklichkeit stattfinden (ebd.). Ihre Angst vor der Sexualität zeigt sich an den Symptomen der Menstruation, an dem verschiedenen Versuchen Frau zu sein, und die Ängste die dabei auftreten und den vielfältigen körperlichen Symptomen. All die körperlichen Symptome die sie hat, sind Ausdruck ihrer Sexualität.

9.6 Ohnmacht-Phänomene

Körperliche Funktionsstörung auf bewusstseinsfähiger Ebene. Es geht um Gefühle und Affekte, die nicht bewusst erlebt werden dürfen. Die Patientin hat immer Schmerzen während der Menstruation. Nach der gynäkologischen Untersuchung war organisch alles in Ordnung. Daher kann man von einem hysterischen Zustand ausgehen. Die mit der Sexualität verbundenen Symptome sind tatsächlich ihre sexuelle Betätigung. Man kann auch die Angst vor Beziehung und Sexualität als Verstrickung hin auf einen negativen ödipalen Konflikt deuten. Die Figur des Onkels und Vaters bzw. des Bruders waren für die Patientin keine Unterstützung um ihre Weiblichkeit zu erleben.

10 Diagnose nach DSM IV

In diesem Kapitel wird die Diagnostik nach DSM IV festgestellt. Dabei werden die „ fünf-Achsen“ hervorgebracht und erläutert.

10.1 Achse I. Veränderungshemmnisse

– Negativer ödipaler Komplex
– Struktureller Mangel
– Beziehungs- und Bindungsangst
– Minderwertigkeitsproblematik

Die psychodynamische Betrachtungsweise, wie sie oft von der Patientin geschildert wurde: Erinnerungslücken, Somatisierung, Entsexualisierung, Angst vor Sexualität bzw. Beziehung, Phobische Angst, Überschwemmung der Affekte, wie Angst, Scham, wo das Ich, Ich-Selbst nicht standhalten kann und eingeht. Die Richtigkeit dieser Zustände habe der Autor im Verlauf der Therapien immer wieder überprüft.
Die Patientin, ihre leichte Kränkbarkeit jedes Mal während der Menstruation, dass sie sich immer mit anderen Frauen verglich, die keine Schmerzen hatten, sowie Minderwertigkeit wurden als Themen in den Therapien berücksichtigt.
Es besteht im Minderwertigkeitskomplex und im Vergleich mit anderen auch eine narzisstische, die Eigenliebe betreffende Verletzbarkeit, wo sie narzisstische Einbrüche in der Wertschätzung der eigenen Person auch mitteilt. Überschwemmung der Affekte im Sinn von Mangel an Selbstregulation war ebenfalls ein Thema. Hier verbesserte sich der Zustand. Am Anfang der Analyse konnte eine geringe Impulskontrolle im Vergleich mit derjenigen am Ende mit mäßig bis gut Impulskontrolle beschrieben werden (Arbeitskreis OPD, 2006).

10.2 Achse II.

Immer wieder der Vergleich mit anderen. Negativer ödipaler Konflikt, infolge des strengen Vaters, der sich nicht unterstützend verhielt. Konflikt der Triangulierung. Mit der Verschmelzung der Mutter. Einem Gehemmt sein in der Zuwendung zum Vater oder auch zu männlichen Personen (ebd.).

10.3 Achse III. Medizinische Krankheitsfaktoren

Halsentzündung, Allergie, Schilddrüsen mit erhöhten Werten, grenzwertig zu physiologischem Befund, keine Therapien und keine Operation, da die Patientin noch jung ist und psychosomatische Störungen (abdominale bzw. Menstruationsbeschwerden) bei deren Über-forderung entstehen können.
Die Augen werden gelasert, die Hornhautverkrümmung wird entfernt.
(ebd.)

10.4 Achse IV. Struktur

In der Überlegung zur Psychodynamik und Eingangsdiagnostik (Kapitel I – IV.) hatte der Autor den Eindruck eines vorliegenden, teilweise geringen strukturellen Integrationsniveaus. Damit stützte der Autor seine Annahme einer strukturellen Beeinträchtigung auf dem Niveau des vermeidend selbstunsicheren Gefühls, wobei sich die Patientin immer mit anderen vergleicht. Diese strukturelle Beeinträchtigung besteht auch im Zusammenhang mit der sexuellen Angst und der Überschwemmung und dem nicht standhalten können der Regung (ebd.).

10.5 Bezug zum Selbst

Die weibliche Identität ist unsicher und in Vergleich zu anderen auch minderwertig. Die Frage ist, wie weit die Struktur der Patientin einer sexuellen Erregung auch standhalten kann.
– Selbstwahrnehmung ist am Beginn der Analyse niedrig und am Ende der Analyse mittelgradiges bis zum guten Integrationsniveau
– Selbstregulierung ist am Beginn der Analyse auf teilweise geringem Integrationsniveau, gegen Ende der Analyse bis zum guten Integrationsniveau. Mit der Fraglichkeit eben, wie weit es auch den sexuellen Bereich betrifft. Ein Bereich, wo es keine sichere Prognose gibt.
– Kommunikation nach innen, am Beginn der Analyse geringes Integrationsniveau, am Ende der Analyse gutes Integrationsniveau.
– Nach außen: Fähigkeit sich empathisch auf andere einzurichten und sich ihnen mitzuteilen. Die Patientin kann Kontakte zu anderen Künstlern und ihren Projekten knüpfen.
– Bindung an innere Objekte: Patientin war zu Beginn der Analyse auf geringem Integrationsniveau, am Ende der Analyse auf gutem Integrationsniveau. Ihre inneren Objekte in Richtung Sicherheit, Geborgenheit und Selbstständigkeit waren schwach entwickelt. Im Verlauf der Analyse wurden die inneren Objekte gestärkt und konnten ihr mehr Schutz und Geborgenheit geben. Sie konnte durch neue Fähigkeiten zwischen innen und außen, Realität und Phantasie unterscheiden.
Abwehr: die Patientin versuchte am Anfang der Analyse das seelische Gleichgewicht in inneren und äußeren Konflikten durch Verdrängung und Rationalisierung zu halten oder wiederherzustellen. Das ist auch eine Spaltung und Verleugnung und manche Konflikte wie die Sexualität sind in körperliche Bereiche verdrängt und während der Analyse abgearbeitet worden. Die Abwehr störender Impulse konnte sich gegen Ende der Analyse verbessern (ebd.).

10.6 Selbststeuerung

Am Beginn der Analyse auf teilweise geringem Integrationsniveau, am Ende der Analyse entwickelt sich die Fähigkeit, mit eigenen Bedürfnissen und Selbstwertgefühlen besser umzugehen.

10.7 Psychosoziale und umgebungsbedingte Probleme

Probleme beim Studium: es tauchen immer wieder die Minderwertigkeitsgefühle auf, sie hätte gerne Illustration studiert, hätte aber dafür ins Ausland gehen müssen. Für sie war dies nicht möglich, deshalb wählte sie künstlerische Fotografie.

10.8 Wirtschaftliche Probleme

Höhere Ausgaben als Einnahmen durch den Beruf, weshalb ihr Leidensdruck wegen der Abhängigkeit von den Eltern größer wird. Nicht nur Probleme mit Vater, Bruder und Mutter, es geht es auch um seelische Konflikte. Vater ist der strenge Unterdrücker, Mutter-Tochter-Beziehung ist von Abhängigkeit geprägt, Bruder missbraucht ihr Vertrauen, indem er ihr Schlaginstrument verkauft und das Geld für sich behält. Das sind Beispiele, wo sie sich schlecht behaupten kann. Die Selbstbehauptung hängt mit ihrer Unsicherheit zusammen.

10.9 Probleme im Beruf

Freiberuflich als selbstständige Künstlerin zu leben, ist schwer, wegen hoher Ausgaben durch Steuer, Miete, Pensions- und Sozialversicherung. Auch eine lange Anlaufphase ist normal, bis man als Künstler bekannt ist.

10.10 Im Bereich des strukturellen Mangels des Integrations-Niveaus

Die Selbstwertwahrnehmung und Objektwahrnehmung ist wie folgt einzustufen:
– mäßig bis teilweise gering integriert
– Steuerungsfähigkeit: mäßig bis gering integriert
– Emotionale Fähigkeit: mäßig integriert, am Ende der Therapie mäßig bis gut

10.11 Struktur am Ende der Analyse

– Selbstwahrnehmung und Objektwahrnehmung: mäßig bis gut integriert.
– Steuerungsfähigkeit, Selbstregulierung und Regulierung des Objektbezuges: mäßig bis gut integriert.
– Emotionale Fähigkeit: mäßig bis gut integriert.
– Die Fähigkeit zur Bindungen- innerer und äußerer Objekt mäßig ist: bis gut integriert. Die inneren Objekte, die Geborgenheit und Stärke geben sind im Gang, sind verbessert worden, sodass sie auch mit Äußeren Objekten/Personen eine bessere Beziehungsfähigkeit hat.
10.12 Achse V Globale Erfassung des Funktionsniveaus
Zu Beginn der Analyse befand sich die Patientin auf Stufe 31 – 40 bei einer Skala von Skala zwischen 1 und 100. Daraus ergab sich einige Beeinträchtigung der sozialen Bereiche, vor allem aber im familiären Bereich in Bezug auf Partnerschaft.
Am Ende der Analyse jedoch, erreichte die Patientin die Stufe 81 – 90.Nur minimale Symptome, gute Leistungsfähigkeit, interessiert und eingebunden in ein breites Aktivitätsspektrum, soziales affektives Verhalten, im Allgemeinen zufrieden mit dem Leben und üblichen Alltagsproblemen. Im Bereich Weiblichkeit und Sexualität kam es zu einer gewissen Gelassenheit, aber es ergab sich auch ein bestehendes Vermeidungsverhalten.
Man kann nicht sicher sein, wie sich dieser Bereich weiter entwickeln wird, wobei sie schon den Wunsch hat eine Beziehung einzugehen und eine Familie zu gründen. Allerdings lassen sich nur Vermutungen anstellen. Ihre jetzige Situation ist besser als sie war, wie weit sie ausreichen wird, um eine psychosexuelle Entwicklung und eine weibliche Identität zu entwickeln, kann man nicht sicher sagen. So wie OPD beschrieben haben (ebd).

10.13 Am Ende der Analyse erreicht die Patientin Stufe 81 – 90

Nur minimale Symptome, gute Leistungsfähigkeit, interessiert und eingebunden in ein breites Aktivitätsspektrum, soziales affektives Verhalten, im Allgemeinen zufrieden mit dem Leben und üblichen Alltagsproblemen. Im Bereich Weiblichkeit und Sexualität kam es zu einer gewissen Gelassenheit aber es ergab sich auch ein bestehendes Vermeidungsverhalten. Man kann nicht sicher sein, wie sich dieser Bereich weiter entwickeln wird, wobei sie schon den Wunsch hat eine Beziehung einzugehen und eine Familie zu gründen. Allerdings lassen sich nur Vermutungen anstellen. Ihre jetzige Situation ist besser als sie war, wie weit sie ausreichen wird um eine psychosexuelle Entwicklung und eine weibliche Identität zu entwickeln kann man nicht sicher sagen. So wie OPD beschrieben haben (Arbeitskreis OPD 2006).

11 Bipolare affektive Störung

Diagnostik Laut ICD-10 V F
International Classification psychischer Störungen ICD-10 Kapitel V.
– bipolare affektive Störung, gegenwärtig mittelgradig depressive Episode F31.3
(Dilling et. al. 2011).
Wie Kasper und Hauk (2006) beschrieben haben, zeigt die bipolare, affektive Störung drei Erscheinungsformen. Unterschieden werden diese durch ihre verschiedenen Stimmungsgrundlagen. Die erste bekannteste wird Tiefphasen-Depression genannt, die zweite Manie/-Hypomanie, und die dritte Phase die Normalphase, bei welcher weder eine manischen, noch depressive Phase vorliegt. Diese Stimmungslage kann kommen und gehen unabhängig von der Zeit oder dem Ausmaß von einander. Darum ist ein Zuordnen dieser Krankheit kompliziert. Der Ablauf von diesen Formen ist geprägt von zwei verschieden abwechselnden Phasen. Einer depressiven laufenden Stimmungslage und der andren der Hochphase/ Manie. Ein Erscheinungsbild kann auch eine Mischung aus beiden Phasen sein.
Diese Verlaufsform ist geprägt von einem Wechsel von mindestens einer depressiven Phase, mit einer anschließenden starken Hochphase (Manie) oder einer gemischten Form beider Phasen (ebd.).
Die schematische Darstellung zeigt die verschiedenen Störungsphasen im Überblick

Anh. Abb.8: Einzelne Phasen der Bipolaren Erkrankung. Quelle: (Kasper & Hauk 2006)

Wenn die euphorische Phase mindestens 14 Tage dauert, kann man diesen Ablauf als Manie bezeichnen. Es ist aber nicht gesagt, dass der Patientin davor eine Depression hatte. Dies heißt immer noch nicht das ist ausschlaggebend für Manie

Anh. Abb.9: Bipolare Erkrankung Phase II.
Quelle: (Kasper & Hauk 2006:12)

Anh. Abb.10: Bipolare Störung Phase III.
Quelle: (Kasper & Hauk 2006:13)

11.1 Therapie

Wie Ebert und Loew (2011) beschreiben, ist bei bipolarer Erkrankung eine medikamentöse Behandlung notwendig, die auch mit Sicherheit einen langen Zeitraum beansprucht, ist die Rezidiv-Prophylaxe als Dauertherapie unumgänglich. Innerhalb eines Jahres sollte nach dem Abklingen der Symptome mit diesen Maßnahmen begonnen werden. Im Falle eines Rückfalles werden die Therapien wiederholt. Die Episoden lassen sich reduzieren und eine dauernde Beschwerdefreiheit wird erreicht (ebd.).

Die Behandlung der Depression erfolgt durch Psychopharmaka Therapie mit Antidepressiva. Wie schon Frank (2007) betont, wird ebenso empfohlen eine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen, allerdings ist dies erst nach der Akutphase sinnvoll. In der akuten Episode ist ein stationärer Aufenthalt notwendig, um eine intensive Therapie zu gewährleisten und die Suizidgefahr zu bannen. Bei leichteren Ausprägungsformen genügt oftmals eine ambulante Behandlung, vor allem dann, wenn zuverlässige Angehörige den Patienten überwachen. Der Patient selbst sollte sich keiner beruflichen Belastung – auch nicht dem Straßenverkehr – aussetzen (ebd.).
Nachdem die Diagnosekriterien erfüllt sind, ist es wichtig, dass internistische und neurologische Untersuchungen beginnen. Das Blutbild wird, wie schon Laux beschreibt, im Labor bestimmt (Leber, Nieren, Elektrolyte, Blutzucker, Cal, Schilddrüsenwerte, Vitamin B12 Spiegel, Serumeisenspiegel), EEG, CT, eventuell NMR, Hirnszintigraphie, SPECT, rCBF, Doppler Sonographie folgen. Eventuell sollte bei einer Remission der Depression ein Dexamethason-Test durchgeführt werden. Standardisierte Beurteilungsskalen erleichtern die Beurteilung des Schweregrades der Erkrankung (Laux 2001).

11.2 Bipolar affektive Störung in Bezug auf den Verlauf der Krankheit

Zum Zeitpunkt der Erklärung der bipolar affektiven Störung bei der Patientin war deutlich, dass Ihr Zustand unruhig ist. Sie gab eine starke innere Unruhe an, die sich auch in einer deutlichen motorischen Unruhe äußerte, wobei sie während der Anamnese oft vom Sessel aufstand und im Zimmer auf und ab ging. Ihr Gedankenverlauf war beschleunigt, weitschweifig, und teilweise sprang sie von einem Gedankengang zum anderen. Ihre Konzentration und Gedächtnisfunktion waren deutlich herabgesetzt. Die Stimmungslage schwankte stark zwischen Euphorie und Gereiztheit. Sie gab Ein- und Durchschlafstörungen an, mit dem subjektiven Gefühl, in letzter Zeit weniger Schlaf zu brauchen.
In den letzten Monaten hatte die Patientin ihre Medikamente nicht mehr regelmäßig eingenommen, was zum erneuten Ausbruch einer manischen Phase führte.
Nachdem auch mehrere depressive Phasen durch Explorer und bekannt waren, kam es zu der festzustellenden Diagnose der bipolar affektiven Störung, gegenwärtig mittelgradig depressive Episode F31.3

12 Zusammenfassung Im Prozessverlauf

In den Notizen und Erinnerungen des Autors ist bereits beschrieben, dass die erste Phase der Arbeit mit der Patientin etwas schwierig verlief, aufgrund der ständigen Übertragung, wiederstand und Wiederholung der Themen dass Wiederaufnahme des Prozesses kostete Kraft.
Dennoch ist festzustellen, dass die Triangulierungsfähigkeit der Patientin und beider Eltern mangelhaft ist, es an Fähigkeit der Selbstreflexion mangelt und die immer wiederkehrende Suche nach dem idealem Vater und einer Ersatzfigur für die Mutter ein Thema für Pat. war. Die Brüchigkeit des Ich-Selbst und die damalige Symptomatik des Ichs, dass die Patientin die Nähe, Erregungen und Eindringen im Einzelfall gar nicht vertragen hat, waren ein Thema in der Analyse. Die Patientin war in ihrer Ich-Struktur so fragil und steckte in einer negativen ödipalen Triangulierung.
Die Breite des Selbstverstehens und die Feinheit der Selbstbehandlung sind wertvolle kulturelle Güter (Hardt J, (2013, S.161)
Die Klarheit ihrer Beziehung zu den Eltern wird in verschiedenen therapeutischen Phasen bearbeitet. Was dem Autor bei den Sitzungen geholfen hat, ist die Tatsache, dass die Pat. sehr interessiert an ihrer Therapie war. Aus Sicht der Ethno-Psychoanalyse konnte sich der Autor in die Lage der Situation der Patientin empathisch versetzen.

12.1 Die Familien stammen aus dem Orient

In kurzen Momenten hat sie sich durch die Deutung des Autors erkannt, wenn sie sich im Widerstand befand. Am Anfang bestand eine große Abhängigkeit zu ihrer Mutter, was sie während der Konfrontation nicht wahrhaben wollte. Später wird ihr dies doch bewusst und sie lehnt sogar das Angebot ihrer Mutter ab, sie zu begleiten.
Sie liefert aktive Beisteuer bei der Wiederaufnahme von Erkenntnis. Manches Mal ist der Autor in die Falle getappt, indem er bei den Erzählungen über ihre Beziehungen mit Frauen, an normale Frauenfreundschaften dachte. Im Nachhinein notiere der Autor, dass das eine Inszenierung oder Verführung ihrerseits gewesen sei. In der guten therapeutischen Atmosphäre konnte die Patientin tatsächlich korrigierende, emotionale Erfahrungen machen.
Korrigierende emotionale Erfahrungen sind Erfahrungen, die sie während der Analyse erlebt hat und ihr gut tun, die sie bei den Eltern nicht erlebt, aber vermisst hat. Beispielsweise die Tatsache, dass jemand für sie da ist, sich für sie interessiert, ihr zuhört, ihren Leidensdruck versteht und sie dabei begleitet. Diesen Beistand konnte sie in dieser Weise von ihren Eltern nicht erleben. Wichtig ist, die Konflikte nicht aus den Augen zu verlieren. Nicht sicher fühlte sich der Autor in Situationen wenn die Pat. mit Tatsachen konfrontiert wurde, die sie nicht wahr haben wollte.

12.2 Am Beginn der Analyse

Am Beginn der Analyse zeigte die Patientin. Widerstand, wenn sie damit konfrontiert wurde, dass ihre Eltern keine gute Beziehung zueinander haben. Sie wollte das nicht wahrhaben. Sie musste gewisse Abspaltungen verleugnen, damit sie ihr Bild vom idealen Vater bewahren konnte. Auf diese Abspaltungen wurde sie hingewiesen. Im Nachhinein erkannte sie ihre Verleugnung und die Situation der Eltern und akzeptierte diese. Sie erkannte plötzlich, dass ihre Eltern auch eine sexuelle Beziehung zueinander haben, was sie anfangs seltsam fand. Sie wollte nicht akzeptieren, dass ihre Eltern sich in dieser Hinsicht gut verstanden. Allerdings heißt eine sexuelle Beziehung nicht automatisch, dass es eine gute Beziehung ist. Die Grenzen zwischen viel oder wenig Konfrontation zu ziehen, fällt dem Autor leicht nicht leicht.
Der Autor hat zur Identifizierung einen wesentlichen Teil beigetragen. Dabei hat sich der Autor mit der ihm bekannten orientalischen Mentalität identifiziert, in der er zum Teil aufgewachsen ist und daher auch gut kannte.
Den Therapieverlauf erlebte der Autor nur als ein Mitgestalter, aus der Sicht des neutralen Beobachters. Von Beginn an war die Atmosphäre gut, Dialog, Stil, Deutung und Konfrontation wurden zum Ausdruck gebracht. Der analytische Raum hatte die Gestalt eines geraden Linienverlaufes hin zum Therapieziel. Die Ergebnisse in der Deutung waren der beste Weg zum therapeutischen Ziel. Es gab kurzfristige und langfristige Therapiepläne. Es war für den Autor ein sehr lehrreicher Prozess, mit der Patientin zusammenzuarbeiten.

12.3 Schwierigkeiten während der Analyse

Als Schwierigkeit stellte sich die Anerkennung der Gegenübertragung dar. Einerseits wollte der Autor die biographischen Anteile und Handlungsweisen der Eltern erkennen, andererseits nur auf die Bedürfnisse und Leiden von der Pat. konzentrieren.
Oft wünschte sich der Autor einen schnelleren Erfolg erzielt zu haben, um den Leidensdruck der Patientin zu mildern, musste aber in einer zurückhaltenden Rolle bleiben.
Oft spürte der Autor eine gewisse Ohnmacht in sich, Dinge zum Besseren zu bewegen.
Manchmal langweilte sich der Autor, wenn die Patientin immer wieder dieselben Themen wiederholte. Da musste der Autor sich stark motivieren, wieder präsent zu sein. Wenn ein Patient ein Thema immer wieder ausführt, kommt er selbst aus dem Thema nicht mehr heraus. Deshalb ist zu überlege wieso sie etwas immer wieder ein bestimmtes Thema aufwirft. Hat dies einen besonderen Grund? Kann man ihr aus dem Kreis der Wiederholungen heraushelfen? Dies ist ein Hinweis, dass die Patientin in einem Problem oder in einem Widerstand steckt und somit in der Wiederholung gefangen. Diese Situation motivierte den Autor wieder vollkommen bei ihr und ihrem Thema zu sein.
Als noch nicht erfahrener Therapeut hatte der Autor immer die Befürchtung, der Sache nicht gewachsen zu sein.

12.4 Der Wunsch der Patienten

Meine Patientin will mit den Eltern und dem Bruder eine gute Beziehung haben. Sie weiß, dass das mit dem Vater nicht möglich ist. Bei ihrer Mutter weiß sie sich abzugrenzen. Vielleicht wird im Nachhinein die Beziehung zu ihrem Bruder besser. Der Vater ist mittlerweile 70 Jahre alt. Sie kann ihn nicht mehr ändern, aber sie lässt sich von ihm nicht mehr alles gefallen. Sie weiß, dass ihr Vater selbst eine gestörte Kindheit hatte. Diese Erkenntnis erleichtert es die Patientin, wieder eine Beziehung zum Vater aufzubauen. Auch die Erkenntnis in Bezug auf die narzisstische Mutter weiß die Patientin zu schätzen. Sie sagte, dass ihr dies half im entscheidenden Moment richtig zu handeln.
Ein Thema, das die Patienten lang beschäftigte, war ihre Jungfräulichkeit. Sie wollte diesen Zustand nicht mehr beibehalten. Gleichzeitig prägten Angst vor einer Beziehung und Angst vor Sexualität ihr Leben. Es galt im Rahmen des Prozessverlaufes Platz für diese Themen zu schaffen. Das Thema ihrer Sexualität scheint momentan ausgeklammert zu sein. Der Autor wollte sie mit dem Thema nicht weiter bedrängen, da sie sich damit selber schon genug unter Druck gesetzt hatte. In ihren anderen Bereichen, wie Kreativität und ihr Beruf, hat sie sich schon sehr entwickelt. Somit stellt der Autor fest, dass sich im Kern ihrer Sexualität auch bald etwas in Gang setzen wird um sich zu entwickeln. In den anderen Bereichen hatte sie sich früher auch nichts zugetraut.
Insgesamt hat sich die Befindlichkeit der Patientin deutlich verbessert, daher ist die Möglichkeit Veränderung herzustellen besser geworden und das ist auch ein begünstigender Faktor für eine Entwicklung der Perspektive, des Selbstbewusstseins, sich etwas zutrauen zu können, aktiv und kreativ zu sein. Gute Voraussetzungen sind also gegeben sich auf dem heiklen Gebiet der Sexualität mehr zuzutrauen.

12.5 Begünstigende Faktoren der Entwicklung

Kreativität im Beruf als Künstlerin, Findung ihrer Identität, Streben nach Autonomie und Freiheit. Möglichkeiten zur Selbstbehauptung durch ihr Engagement im Bereich der Kunst und Vernetzung mit anderen Künstlern im Internet. Sie ist noch eine junge, gut aussehende Frau mit Chancen auf eine Partnerschaft. Es ist anzumerken dass sie möglicherweise eine Karriere als Künstlerin machen wird. Bezüglich einer Partnerschaft wurden die Ziele zurzeit auf die Kunst verschoben. Eine Art Sublimierung ist dabei, aber Hemmungen bezüglich Sexualität und Partnerschaft haben sich bei der Patientin verbessert.
In den Therapien gewonnene Selbstbilder, Stärken und Schwächen in der Selbst- und Objektwahrnehmung werden deutlich differenziert. Die Patientin kann Grenzen setzen in Bezug auf Frauenfreundschaften und lässt sich nicht mehr so leicht ausnützen. Heute kann sie auch nein sagen. Vor dem Hintergrund des Selbstwertkonfliktes wird ein besonderer Wert auf Autonomiegewinn gelegt und dessen Steigerung sogar als Aufgabe gesehen.
Die Angst vor Abhängigkeit wird losgelassen und Selbstbehauptung tritt in den Vordergrund. Der Weg in die Familienfreiheit ihre steht jetzt offen. Die Patientin verdient aber immer noch nicht genug Geld für ihre Lebensvorsorge trotz zusätzlicher Einkünfte durch ihre künstlerische Tätigkeit, um von ihren Eltern finanziell unabhängig zu werden.

12.6 Änderungen im Beruf und im Leben

Seit kurzer Zeit ist die Patientin in ihrer Kunst selbstständig geworden und möchte nicht mehr länger vor dem PC im Büro sitzen, sondern ihre künstlerische Arbeit durch Vernetzung und Publikation im Internet vorantreiben. Zurzeit gestaltet sie für eine Jungunternehmerin Objekte und Skulpturen aus Keramik, die freiberuflich und auf selbstständiger Basis gemacht werden.
Hervorzuheben ist, dass sie ihre Schilddrüsenerkrankung und Allergie unter Kontrolle hat. Sie klagt nicht mehr über somatoforme Störungen. Auf Grund des Wegfalls psychischer Störungsfaktoren, insbesondere von Angst und sozialen Phobien, kommt es zu einer Distanz zu den Eltern und dem Onkel. Sie hält es auch länger unter vielen Menschen aus.

13 Generalisierte Angststörung F41.1 /300.82DSM-5 Code

Diagnose der Generalisierten Angststörung laut internationaler Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V. F. Klinisch-diagnostische Leitlinien und DSM-5 Code (Dilling et al. 2008). Diagnose nach ICD-10 F und DSM-5 Code.

13.1 Definition

Angst, die lange anhält, ist generalisiert und nicht auf bestimmte Objekte oder Situationen gerichtet. Sie ist frei flottierend und stellt, im Gegensatz zu Furcht, keine reale Bedrohung dar. Vegetative Übererregbarkeit und motorische Spannung sind ebenso mit Angst verbundene Symptome.
Die Abgrenzung zwischen generalisierter Angststörung und anderen Angststörungen ist sehr kompliziert. Verminderte Arbeitsleistung, Hypervigilanz, erhöhte Aufmerksamkeit, Schreckhaftigkeit, Gefühle der Anspannung, sowie Reizbarkeit und Durchschlafstörungen wurden in der Vergangenheit alle als Symptome einer Angstneurose bezeichnet: Brunhuber und Lieb fassen generalisierte Angststörungen als Störungen, die mit chronischen Beschwerden einhergehen, auf (Brunnhuber & Lieb 2000).3.3 Diagnostik

13.2 Differentialdiagnose

Wesentlich für die Diagnose einer Angststörung ist, ob es sich um eine primäre Angst handelt oder ob diese Symptom einer anderen psychischen Erkrankung ist. Möller et al heben die Wichtigkeit der Differenzierung von Depressions- und Angstsymptomen hervor, sowie die Unterscheidung zur generalisierten Angststörung. Sollte diese Trennung nicht einfach sein, muss klargestellt werden, ob das primäre Symptom die Angst selbst ist (Möller et al. 2005).
Bei den Betroffenen von generalisierter Angststörung steht während der Anamnese die Fragestellung im Vordergrund. Die übermäßige Sorge der Patienten wegen familiärer, finanzieller und beruflicher Angelegenheiten, die sie nicht kontrollieren können, ist zu erfragen. Und die generalisierte Angststörung darf nicht mit anderen Angststörungen, wie zum Beispiel mit organischen Psychosen, endogenen Psychosen oder psychogenen Störungen, phobischer Störungen F40, depressiven Episoden F32, Panikstörung F14.0, und Zwangserkrankung F42, sowie Neurasthenie F48.0 vermischt werden. Laut Brunhuber et al. (200) treten generalisierte Angststörung meistens im Alter zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr auf.

13.3 Diagnose laut DSM-IV

Laut DSM-IV sind Angststörungen dieser Art unverhältnismäßige Sorgen und Ängste über verschiedene Ereignisse und Tätigkeiten, die mindestens 6 Monaten anhalten müssen. Die Angst-Sorge hat negativen Einfluss auf das berufliche und soziale Leben und den Alltag. Betroffene haben Schwierigkeiten über ihr Leid, die Angst und die Sorge Kontrolle zu bekommen. Weitere Anzeichen sind unverhältnismäßige Angst- und Furchterregung, sowie Furchterwartung bezüglich Alltagsereignissen und Schuldgefühle.
Zur Bekämpfung dieser Symptome stehen Verständnis und Empathie im Vordergrund. Die Sorgen und Symptome des Patienten sollen absolut ernst genommen werden, besonders die subjektive Wahrnehmung aus der Sicht des Patienten. Das heißt, die Beschwerde ist nicht als Einbildung, sondern als Realität wahrzunehmen. Die Angehörigen müssen informiert und aufgeklärt werden. Möller et al betonen hierbei pharmakologische Ansätze, und die Aufdeckung durch psychoanalytische Verfahren spielen eine wichtige Rolle (Möller et al. 2005).

13.4 Angstbewältigung bei der Psychoanalyse

In der Psychoanalyse wird der Patient ganzheitlich angesehen: Alles ist wichtig und wird ernst genommen und nicht nur die Symptome und deren Leid, sondern deren Ursachen. Die psychoanalytischen Verfahren bemühen sich daher, zugrunde liegende Angststörungen zu untersuchen, sowie frühkindliche Verdrängungen und Traumata aufzuarbeiten. Dabei ist die Angstbewältigungsstrategie das wesentliche Ziel. Die Therapie muss kontinuierlich über mehrere Jahre durchgeführt werden. Dies erklärt sich daraus, dass es sich nicht nur um die Bewältigung der Angststörungen geht, sondern zugrunde liegende strukturelle Mängel aufgedeckt werden müssen, die durch Ich-Schwäche aus der Objektbeziehung, der Triangulierung: Mutter, Vater, Kind entstanden sind (Möller et al. 2005). Es kann sein, dass Ihr kindliches Verhalten nicht mehr an sich glaubt.

(Dilling et al. 2008). Diagnose nach ICD-10 F und DSM-5 Code.
Die Gesundheit ist ein Zustand sozialen Wohlbefindens, seelischen und körperlichen Ursprungs, hingegen bei Krankheit fehlen diese drei Komponenten (Ermann 2004).
Wenn Traumata und psychische Störungen nicht therapiert werden, kann sich ihr Zustand chronifizieren. Diese chronische psychische Störung hat negativen Einfluss auf die zwischenmenschlichen Beziehungen (Möller et al. 2005).

13.5 Generalisierte Angststörung F41.1 /DSM-5 Code 300.82

Diagnose der Generalisierten Angststörung laut internationaler Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V. F. Klinisch-diagnostische Leitlinien und DSM-5 Code (Dilling et al. 2008).

13.6 Definition

Angst, die lange anhält, ist generalisiert und nicht auf bestimmte Objekte oder Situationen gerichtet. Sie ist frei flottierend und stellt, im Gegensatz zu Furcht, keine reale Bedrohung dar. Vegetative Übererregbarkeit und motorische Spannung sind ebenso mit Angst verbundene Symptome.
Die Abgrenzung zwischen generalisierter Angststörung und anderen Angststörungen ist sehr kompliziert. Verminderte Arbeitsleistung, Hypervigilanz, erhöhte Aufmerksamkeit, Schreckhaftigkeit, Gefühle der Anspannung, sowie Reizbarkeit und Durchschlafstörungen wurden in der Vergangenheit alle als Symptome einer Angstneurose bezeichnet: Brunhuber und Lieb fassen generalisierte Angststörungen als Störungen, die mit chronischen Beschwerden einhergehen, auf (Brunnhuber & Lieb 2000).3.3 Diagnostik – Differentialdiagnose
Wesentlich für die Diagnose einer Angststörung ist, ob es sich um eine primäre Angst handelt oder ob diese Symptom einer anderen psychischen Erkrankung ist. Möller et al heben die Wichtigkeit der Differenzierung von Depressions- und Angstsymptomen hervor, sowie die Unterscheidung zur generalisierten Angststörung hervor. Sollte diese Trennung nicht einfach sein, muss klargestellt werden, ob das primäre Symptom die Angst selbst ist (Möller et al. 2005).
Bei den Betroffenen von generalisierter Angststörung steht während der Anamnese die Fragestellung im Vordergrund. Die übermäßige Sorge der Patienten wegen familiärer, finanzieller und beruflicher Angelegenheiten, die sie nicht kontrollieren können, ist zu erfragen. Und die generalisierte Angststörung darf nicht mit anderen Angststörungen, wie zum Beispiel mit organischen Psychosen, endogenen Psychosen oder psychogenen Störungen, phobischer Störungen F40, depressiven Episoden F32, Panikstörung F14.0, und Zwangserkrankung F42, sowie Neurasthenie F48.0 vermischt werden. Laut Brunhuber et al. (200) treten generalisierte Angststörung meistens im Alter zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr auf.

13.7 Empfehlung in der Therapie

Bei der Therapie generalisierter Angststörungen soll der Hauptfokus nicht nur auf den Symptomen, sondern eher auf den Entstehungsgrundlagen ihrer Ursachen und deren Bekämpfung liegen. Einerseits soll der Arzt oder Therapeut sich genügend Zeit für seinen Patienten nehmen und andererseits spielt auch die Motivation des Patienten eine entscheidende Rolle. Der Betroffene soll zu seiner Angst stehen und erkennen, dass diese Angst das Hauptleiden ist (Möller et al. 2005).
Allein ein Gespräch mit einem Patienten kann schon hilfreich sein. Die Partnerbeziehung in den Therapien soll ein tragfähiges und wertschätzendes Miteinander darstellen. Die Häufigkeit dieser Störung kann man über die Lebenszeitprävalenz definieren, sie betrifft ca. 7 bis 8 % mehr Frauen, als Männer. Merkmal dieser Störung ist die übertriebene Angst, insbesondere bezüglich der Lebensumstände. Befürchtungen und Ängste können beispielsweise Sorgen um das eigene Kind sein, wie die Angst, dass dem Kind etwas zustoßen könnte. Ständig Sorge um das Geld, Existenzängste und Zukunftsängste können ebenso auftreten. Diese Ängste müssen über längere Zeit anhalten, um als generalisierte Angststörung definiert werden zu können. Beim DSM-IV wird die Dauer mit 6 Monaten angegeben. Im ICD-10 V. F. wird von einer Dauer von mehreren Wochen gesprochen. In dieser Zeit reagieren die Patienten meistens mit Distanzierung oder Ablenkung. Die wesentlichen Anzeichen dieser Symptome sind Ruhelosigkeit, Zittern, Muskelanspannung, welche auch als motorische Spannung bezeichnet werden kann. Auf der vegetativen Ebene sind Übererregbarkeit, Beklemmungsgefühle und Atemnot vorhanden (Möller et al. 2005). Dilling et al (2011) dagegen listen außerdem folgende Einzelsymptome auf: motorische Spannungen, Mundtrockenheit, Oberbauchbeschwerden, Tachypnoe/ Tachykardie, Schwindelgefühle, Spannungskopfschmerz, Schwitzen, Konzentrationsstörungen, Nervosität und Sorge über zukünftiges Unglück. Die primären Symptome der generalisierten Angststörung treten über mehrere Wochen auf (ebd.).

13.8 Diagnose laut DSM-IV

Laut DSM-IV sind Angststörungen dieser Art unverhältnismäßige Sorgen und Ängste über verschiedene Ereignisse und Tätigkeiten, die mindestens 6 Monaten anhalten müssen. Die Angst-Sorge hat negativen Einfluss auf das berufliche und soziale Leben und den Alltag. Betroffene haben Schwierigkeiten über ihr Leid, die Angst und die Sorge Kontrolle zu bekommen. Weitere Anzeichen sind unverhältnismäßige Angst- und Furchterregung, sowie Furchterwartung bezüglich Alltagsereignissen und Schuldgefühle.
Zur Bekämpfung dieser Symptome stehen Verständnis und Empathie im Vordergrund. Die Sorgen und Symptome des Patienten sollen absolut ernst genommen werden, besonders die subjektive Wahrnehmung aus der Sicht des Patienten. Das heißt, die Beschwerde ist nicht als Einbildung, sondern als Realität wahrzunehmen. Die Angehörigen müssen informiert und aufgeklärt werden. Möller et al betonen hierbei pharmakologische Ansätze, und die Aufdeckung durch psychoanalytische Verfahren spielen eine wichtige Rolle (Möller et al. 2005).

13.9 Angstbewältigung bei der Psychoanalyse

In der Psychoanalyse wird der Patient ganzheitlich angesehen: Alles ist wichtig und wird ernst genommen und nicht nur die Symptome und deren Leid, sondern deren Ursachen. Die psychoanalytischen Verfahren bemühen sich daher, zugrunde liegende Angststörungen zu untersuchen, sowie frühkindliche Verdrängungen und Traumata aufzuarbeiten. Dabei ist die Angstbewältigungsstrategie das wesentliche Ziel. Die Therapie muss kontinuierlich über mehrere Jahre durchgeführt werden. Dies erklärt sich daraus, dass es sich nicht nur um die Bewältigung der Angststörungen geht, sondern zugrunde liegende strukturelle Mängel aufgedeckt werden müssen, die durch Ich-Schwäche aus der Objektbeziehung, der Triangulierung: Mutter, Vater, Kind entstanden sind (Möller et al. 2005). Es kann sein, dass Ihr kindliches Verhalten nicht mehr an sich glaubt.

14 Grundbegriff Psychoanalyse (PA)

Die PA ist eine Disziplin der Humanwissenschaften, die sich mit menschlichem Leben und dessen seelischen Leid und psychischen Erkrankungen, mit Fokus auf frühkindliche Traumata beschäftigt. Aus Sicht anthropologischer Ansätze wird der Mensch als Einheit von Körper, Geist und Seele betrachtet, welche als voneinander untrennbar verstanden werden. PA ist die Wissenschaft des Unbewussten. Sigmund Freud gründete sie vor über 100 Jahren als neue Disziplin unter dem Begriff PA. Ihre Wurzeln liegen in der Medizin, Metapsychologie und Philosophie. Als analytische Disziplin stellt sie eine Methode zur Erforschung des Unbewussten und der Erkrankungen durch frühkindliche Verdrängungen und Traumata dar. Weiter beschäftigt sie sich mit einer Reihe von praktischen psychoanalytischen Techniken und theoretischen Konzepten, sowie Modellvorstellungen über die Entstehung psychischer Erkrankungen und seelischen Leidens (List 2009).
Die PA richtet Ihren Fokus auf frühkindliche Traumata. Hierbei muss folgendes beachtet werden: Widerstand von Seiten des Patienten, die Übertragung von Verdrängungen, ödipale strukturelle Mängel, und die Einschätzung der pathologischen Sexualität. Die umfassende Kulturtheorie der PA ist eine Lehre von menschlichen Individuen, sowie als Kollektiv internalisierter Traumata und deren Betrachtung. Die Massendynamik und deren Führung zu gesellschaftlichen Opfern und den einzelnen Individuen sind außerdem abzuklären. (Freud A. & Grubrich-Simitis 2006). Die PA untersucht seelische Vorgänge, welche sonst kaum zugänglich sind, insbesondere unbewusste Bedeutungen von Reden, Handlungen, Gefühlen und imaginären Einbildungen, Träumen, Phantasien und Wunschvorstellungen. Sie ist eine psychotherapeutische Methode, die sich auf diese Untersuchung gründet und durch die Deutung von Wunsch und Abwehr, von Übertragung und Gegenübertragung gekennzeichnet ist. In dieser Bedeutung wird der Begriff Psychoanalyse als Synonym für die psychoanalytische Behandlung und Therapie verwendet (ebd.).
So wie List (2009) beschrieben hat, ist die PA und ihre Analyse etwas, das man zerlegen, zersetzen oder binden kann: Ein sprachlicher Vergleich also mit der Arbeit im chemischen Labor, wo es auch zu Zersetzungen oder chemischen Bindungen kommen kann. In der Erhebung der biographischen Anamnese des Menschen kann es zu komplizierten Zusammenhängen kommen. Im Labor des Unbewussten versucht man durch Träume und Traumdeutung anhand von freien Assoziationen den Zugang zum verdrängten Unbewussten zu finden. Der Therapeut kann dadurch die früheren Verdrängungen rekonstruieren bzw. verknüpft die Zusammenhänge zur jetzigen Psychodynamik und zum jetzigen Konflikt (List 2009).

15 Determinanten des Entscheidungsverhaltens

Bibring et al. (1999) bezeichnen das Phänomen frühkindlicher Traumata, die verdrängt wurden und nicht aufgearbeitet werden konnten, als „Verdrängtes Unbewusstes“. Psychische Veränderungen dieser Art korrelieren außerdem mit pathologischen Symptomen (Bibring et al. 1999). Das Verdrängte-Unbewusste kann als destruktiv infantiles Verhaltensmuster bezeichnet werden und zeigt sich in Form von neurotischen Übertragungsphänomenen. Diese Phänomene können sich außerdem in Projektionen äußern, welche zwischenmenschliche Beziehungen erschweren (Freud A. & Grubrich-Simitis 2006). Sofern Traumata des „Verdrängten Unbewussten“ überwunden werden konnten, transformiert sich eine zwischenmenschliche Beziehung von destruktiv-infantilen Verhaltensmustern zu gesunden, stabilen, tragfähigen Beziehungen, die ein gelungenes Zusammenleben für und miteinander ermöglichen (ebd.).
Inwiefern wirkt sich das Unbewusste negativ auf unser Verhalten aus? Das frühkindlich Verdrängte-Unbewusste ist uns Menschen nicht zugänglich. Es besteht keine Kommunikation zwischen unserem Bewusstsein und unserem Verdrängten Unbewussten (Freud A. & Grubrich-Simitis 2006). Das Bewusstsein ist alles, was wir begreifen können und wurde in dieser Form von Sigmund Freud im „Eisbergmodell“ dargestellt. Das Verhältnis des Bewusstseins zum Unbewussten wurde anhand eines Eisberges erklärt, auf welches Nagera, 2007 Bezug nimmt. Nur die Spitze dieses Berges, ein kleiner Teil, ist sichtbar. Und nur diesen Teil, das Bewusstsein, können wir auch begreifen (Freud S. 1912, in Nagera 2007). Laut Müller-Pozzi lässt sich das verdrängte Unbewusste auch mit einer Grabkammer, wo die Traumata gelagert sind, vergleichen. Angst will vor der schmerhaften Aufdeckung schützen, deshalb ist der Weg zum Unbewussten versperrt. Die betroffenen Menschen leiden und das wirkt sich belastend auf das menschliche Miteinander aus.
„Unseren Begriff Unbewusstes gewinnen wir also aus der Lehre von der Verdrängung. Das Verdrängte ist uns das Vorbild des Unbewussten. Wir sehen aber, dass wir zweierlei Unbewusstes haben, das Latente, doch bewusstseinsfähige, und das Verdrängte, an sich nicht bewusstseinsfähige“ (Freud S. 1940:241).
Für zwischenmenschliche Kommunikation bedeutet dies, dass die Beziehung durch Affekte bedroht wird und zugrunde geht. Aufgrund der Affekte des Verdrängten-Unbewussten findet kein Austausch zwischen der innerlichen und der äußerlichen Welt des Unbewussten statt. Dadurch entsteht eine Dysfunktionalität der Kommunikation in zwischenmenschlichen Beziehungen. In einem größeren Rahmen können auch Kriege dadurch erklärt werden. Man kann dies am aktuellen Beispiel des religiösen Fanatismus erläutern. Religiöse Fanatiker zeigen nach außen hin paranoides Verhalten und aufgrund der Affekte des Unbewussten können die innerliche und die äußerliche Welt nicht miteinander kommunizieren.Um ein gesundes Miteinander zu ermöglichen, ist die Überwindung dieses Zustandes unerlässlich.
Demjenigen, der dieses destruktiv-infantile Verhaltensmuster zeigt, ist dies jedoch weder bewusst, noch zugänglich. Das heißt, negatives Verhaltensmuster wird als solches vom Betroffenen nicht wahrgenommen und nicht begriffen. Jegliches Verhalten aus dem Unbewussten ist für den anderen Menschen negativ besetzt, so negativ, dass dadurch zwischenmenschliche Beziehungen zu Grunde gehen. Es ist störend für zwischenmenschliche Beziehungen und es entstehen durch frühkindliche Verdrängungen Missverständnisse, Misstrauen, Hass, Verachtung, Neid und Eifersucht und ein „Gegeneinander“. All diese negativen Eigenschaften kann man als „Vernichtungsmaschine“ (das verdrängte Unbewusste UW) bezeichnen, die sich gegen jegliche Beziehung – insbesondere zwischenmenschliche Beziehung richtet. Wenn die Vernichtungsmaschine überwunden ist transformiert sich das Leben und die Menschheit vom Krieg, Hass und der Trennung hin zum Frieden, zur Liebe und letztendlich zum gesunden Zusammenleben füreinander und miteinander.
Laut Kernberg (1998) äußert sich das Verdrängte-Unbewusste in Verhaltensmustern, unter welchen Beziehungen leiden oder sogar in Trennung und Scheidungen enden können. Hierbei findet sich folgendes Dilemma: Jeder Mensch will Gutes für seine Beziehung tun, doch fühlt sich von seinem Verdrängten Unbewussten zurückgehalten. Handlungen dieser Art werden dadurch weitgehend unmöglich gemacht (ebd.)

15.1 Zwischenmenschliche Beziehungen

Leben in guten Beziehungen ist ein biologischer Gesundheitsfaktor. All unsere Erfahrung, alles was wir lernen und erleben, wird durch zwischenmenschliche Beziehungen geprägt. Alle Beziehungen werden durch das Nervenzellennetzwerk gespeichert. Seelisches Fühlen, geistiges Tun wird in den Organismen verarbeitet und entweder als körperlicher Niederschlag oder als seelische Befreiung erlebt. Bei Dysfunktionalität einer zwischenmenschlichen Beziehung wird das Krankheitsrisiko erhöht. Gesellschaftlicher Leistungsdruck, Partnerschaftskonflikt, sowie Konflikte in Familie, Arbeitsplatz führen zu Alarmreaktionen des Körpers (Klußmann & Nickel 2009).

15.2 Destruktiv- Infantiles Verhaltensmuster

Lösungsansätze zur Überwindung destruktiv-infantiler Verhaltensmuster finden sich bei Müller-Prozzi (2002): Für den Patienten sollte einerseits der Wille zur Veränderung, sowie die Bereitschaft sich seinen Problemen durch kritische Selbstreflexion stellen zu können, vorhanden sein. Wie bereits erwähnt wurde, kann man sich das Verdrängte-Unbewusste als Grabkammer vorstellen, in der alle verdrängten Traumata lagern. In Bezug auf die Grabkammermetapher erläutert Müller-Prozzi (2002), dass sich aus ihrem Depot vorerst unbewusste Verhaltensmuster etablieren, welche sich in der Außenwelt bemerkbar machen. Diese nach außen getragenen Muster werden in der Psychoanalyse PA. neurotische Übertragungsphänomene, welche in Form von Projektionen, durch verschiedenste Situationen als Syndrome auftreten und als Übertragung verstanden werden.
Phänomene dieser Art haben negativen Einfluss auf zwischenmenschliche Beziehungen und korrelieren mit Persönlichkeitsstörungen, ins-besondere mit Borderline-Typ Persönlichkeitsstörungen BPS (ebd.).
Laut Definition des ICD-10 Kapitel V. (F) F60.31 und DSM-5 Code 301.83 wird nahegelegt, dass die Betroffenen dieser Symptome, Störungen im Verhalten und auch in zwischenmenschlichen Beziehungen aufweisen. Jedoch können psychiatrische und psychoanalytische Methoden unter Einfluss der persönlichen Glaubenshaltung eine große Rolle für den Heilungsprozess spielen (Dilling et al. 2011).

15.3 Überwindung des Verdrängten-Unbewussten

Um Überwindung von Verdrängten Unbewussten zu schaffen, muss eine Therapie angewendet werden. Bei der Therapie und dem therapeutischen Prozessverlauf besteht die Chance diese Verdrängungen aufzudecken und zu überwinden. Um Heilung zu erlangen ist es wichtig, dass die Betroffenen therapiert werden wollen und eine Heilung, verbunden mit positivem Therapieverlauf für möglich gehalten wird.
Um eine gelungene Psychotherapie zu erzielen, ist die Beziehung zwischen Patient und Therapeut in den Aspekten: Vertrauen, Akzeptanz und Wertschätzung wichtig, um eine Genesung der Symptome möglich zu machen. Im Rahmen des therapeutischen Prozessverlaufs ist eine tragfähige Beziehung wichtig, die sich positiv auf die Heilung auswirken kann (Böker 2006).

15.4 Therapie durch psychiatrische und psychoanalytische Methoden

Psychiatrische und psychoanalytische Methoden beschäftigen sich mit der Therapie psychischer Störungen. Die Psychiatrie als wesentlicher Teil der ganzheitlichen Medizin stellt einen Entscheidungsfaktor von Diagnose und Medikation nach Bedarf dar. Im Idealfall werden Psychiatrie und Psychoanalyse aufeinander abgestimmt. Für psychiatrische Behandlungsmethoden listet Rüegg (2001) eine Reihe von verschiedenen Therapiemöglichkeiten auf. Darunter medikamentöse Therapien, sowie andere Formen von unterschiedlichen psychiatrischen Methoden in ambulanten und stationären Bereichen, sowie Privatpraxen.
Die psychoanalytischen Behandlungsmethoden umfassen Diagnosen der Erkrankung und deren Ursachen, wie z.B. verdrängte, unbewusste Traumata, frühkindliche Erlebnisse und die Entwicklung neuer Traumata. Die Entstehung von psychischen Störungen hat im weiteren Leben Einfluss auf die Bildung von Charaktereigenschaften bzw. gestaltet, so Kernberg, die zwischenmenschlichen Beziehungen zueinander (Kernberg 1998).
Die oben genannten psychiatrisch psychoanalytischen Methoden sind im Aufgabenbereich der Diagnosestellung und Behandlung, sowie des Coping anzuführen. Meine vielfältige Berufserfahrung in verschiedenen Spitälern auf psychiatrischen Stationen wie z.B. im Otto-Wagner-Spital, in der Universitätsklinik AKH Wien, der Kinder-und Jugendpsychiatrie Rosenhügel, der Psychosozialen Ambulanz Favoriten, und meine Alltagserfahrung in der eigenen Praxis haben gezeigt, dass Patienten, die auf ihre Glaubenshaltung vertrauen sich leichter durch die Therapie hindurchführen lassen konnten und in kurzer Zeit mit der Therapie fertig wurden.
Wer nicht über das notwendige konditionelle Wissen über Krankheiten, deren Entstehung und Behandlungsmöglichkeiten, sowie psychische, soziale und materielle Ressourcen verfügt, ist mit den Herausforderungen im Leben meist überfordert. Möller et al. 1996 wiesen daher auf die Wichtigkeit professioneller Hilfe hin, denn ohne diese leiden die Betroffenen an ihren Krankheiten weiter und es besteht die Gefahr, dass diese chronisches Ausmaß erreichen. Die Angehörigen sind dadurch zur Krankheitsanfälligkeit prädestiniert, da sie beruflich und privat kaum mehr belastbar sind. Es folgt der soziale Abstieg (Möller et al. 1996).
Für psychiatrische Behandlungsmethoden gibt es eine Reihe von verschiedenen Therapiemöglichkeiten z.B. medikamentöse Therapien sowie andere Formen von unterschiedlichen psychiatrischen Methoden in ambulanten und stationären Bereichen des Krankenhauses und auch in der Privatpraxis (Rüegg 2001). Zur Bedeutung der Aufdeckung frühkindlicher Verdrängungen durch die Psychoanalyse und im Zusammenhang mit christlicher Glaubenshaltung stellt Therapie durch psychiatrische und psychoanalytische Methoden einen neuen Aspekt für zwischenmenschliche Beziehungen
dar.

16 Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen

Es handelt sich um Entspannung und Anspannung einzelner körperlicher Muskeln, Bio-Feedback und autogenes Training. All diese Formen zeigen als physiologischer Prozess positive Rückmeldung auf das vegetative Nervensystem.
II. Die Psychoanalyse, sowie die psychoanalytische Psychotherapie und –verfahren Beide Methoden spielen eine große Rolle beim Aufdecken des Grundes destruktiv-infantiler Verhaltensmuster, Muster von Ängsten, um Korrektur und Bewusstmachung zu erzielen. Gegen die Ängste wird eine Bewältigungsstrategie erarbeitet. Möller et al listen strukturelle Ich- Schwächen als Ursache auf, welche durch Angstbewältigungsstrategien beseitigt werden können. Hinzu kommt der Aufbau eines tragfesten psychischen Zustands und der Selbsthilfekompetenz durch Reflexion der Ereignisse, inklusive Selbstwertförderung, um unbewusste Verdrängungen der Kindheit mit Rekonstruierung zu verstehen und bewusst darstellen zu können (Möller et al. 2005). Die Betroffen sollen wissen, dass die Ängste nicht als allmächtig und unveränderbar anzunehmen sind und Hilfe suchen. Sie haben die Tendenz während des Therapieprozessverlaufes Angst vor der Mobilisierung der Abwehrmechanismen zu zeigen und somit wird die Erreichung der therapeutischen Ziele erschwert. Die Einnahme von Psychopharmaka, insbesondere von Antidepressiva, Serotonin Wiederaufnahme-Hemmer (SSRIs) bei der Therapie hat effektiven Erfolg bei der Genesung gezeigt. Um einen Rückfall vermeiden zu können, empfehlen Dilling et al. (2011), die Psychopharmaka nach bestimmter Zeit weiter zu nehmen.

17 Das Eisberg-Modell

Die Metapher des „Eisberg-Modell“ von Freud besteht aus drei verschiedenen Ebenen: Bewusstsein, Vorbewusstsein und Unbewussten. Die Spitze dieses Eisberg Modells kann mit der menschlichen Ratio, dem “ICH“ als Bewusstsein verglichen werden. Aus psychoanalytischer Sicht ist dies die Ebene, auf der Menschen ihre Wahrnehmung, Emotionen und jegliche Art von zwischenmenschlicher Beziehung begreifen können. Das Vorbewusstsein wird als “ÜBER ICH“ bezeichnet und liegt zwischen Bewusstsein und dem Unbewussten. Das Unbewusste wird von Freud als “ES“ definiert und bildet die Basis des Eisbergs, dessen Tiefe im unsichtbaren, nicht erkennbaren Bereich verborgen liegt. Versucht man das Unbewusste aufzudecken, steht Angst im Vordergrund, da sie uns vor der schmerzhaften Aufdeckung schützen will und uns deshalb den Weg zum Unbewussten versperrt (Freud S, 1912 in Nagera, 2007).
Jegliches Verhalten aus dem Unbewussten ist für den anderen Menschen negativ besetzt, sodass dadurch zwischenmenschliche Beziehungen durch Missverständnisse, Misstrauen, Hass, Verachtung, Neid und Eifersucht und ein „Gegeneinander“ anstatt eines „Mit-und Füreinander“ gefährdet werden. All diese negativen Eigenschaften kann man als „Vernichtungsmaschine“ bezeichnen, die sich gegen jegliche Beziehung richtet (Bibring et al. 1999). Demjenigen, der dieses Verhalten zeigt, ist es weder bewusst, noch zugänglich, weil der Mensch keinen Zugang zu seinem Unbewussten findet (Freud S. 1940).
Für zwischenmenschliche Kommunikation bedeutet dies, dass die Beziehung durch Affekte bedroht wird und zwischenmenschliche Beziehungen deshalb zugrunde gehen. In einem größeren Rahmen können auch Kriege dadurch erklärt werden. Man kann dies am aktuellen Beispiel des religiösen Fanatismus erläutern: Religiöse Fanatiker zeigen nach außen hin paranoides Verhalten und aufgrund der Affekte des Unbewussten können die innerliche und äußerliche Welt nicht kommunizieren (Klußmann & Nickel 2009).
Möchte man destruktiv-infantile Verhaltensmuster in der Welt verändern, stellt sich die Frage, wie ein solcher Zustand verändert werden kann: Hier muss bei einem selbst angesetzt werden: Die Bereitschaft zur kritischen Selbstreflexion ist Voraussetzung, meine eigene Grabkammer zu räumen. Doch der Wille zur Änderung muss außerdem gegeben sein. Das bedeutet, die Bereitschaft zum Aufdecken meines Unbewussten zu haben und infantile Verhaltensmuster zu erkennen, die sich in den verschiedenen Situationen als Syndrom bzw. Symptom im Unbewussten manifestieren.
Aus diesem Depot der Grabkammer werden Verhaltensmuster etabliert, die unbewusst sind und auch nach außen destruktiv getragen werden. (Freud S, 1940). Diese haben einen negativen Einfluss auf zwischenmenschliche Beziehungen. Bei der Therapie und dem therapeutischen Prozessverlauf besteht die Chance, diese Muster aufzudecken. Dies geschieht durch die Rekonstruierung der Biographie der Patienten und deren intrapsychischen Zustands. Hier spielt die „Deutungs- Sprache“ des Therapeuten eine große Rolle. Therapeutische Ziele sind, das Unbewusste auf die Ebene des Bewusstseins zu heben, das Unbewusste zu thematisieren und therapeutischen Ziele durch die neuen Erkenntnisse achtsam in die Tat umzusetzen (Kernberg 1998).
Die Abb. 21 verdeutlicht die frühkindliche Traumata und deren Verdrängungen, wodurch der Objekt-Beziehung-Konflikt, Projektion, Persönlichkeit, strukturelle Mängel und destruktiv-infantile Verhaltensmuster entstehen, weshalb nach Sündenbock-Fremdobjektrepräsentanz gesucht wird. So können auch zwischenmenschliche Beziehungen können zugrunde gehen.

Abb. 11: Frühkindliche Traumata / Objekt-Beziehung-Konflikt
Quelle: (Andrawis 2018)

Die „Deutungs-Sprache“ basiert auf drei Stufen:
I. Rekonstruierung aus der biographischen Anamnese
II. Verknüpfung zwischen biographischer Anamnese und Psycho-Dynamik
III. Aus der Verknüpfung der beiden Faktoren I. und II. entsteht „Deutungs-Sprache“ von der aus der Urgrund für die Entstehung von Traumata, sowie frühkindlicher Verdrängungen erklärt wird. Danach wird ein therapeutisches Ziel formuliert.
Schwierigkeiten, denen man im therapeutischen Prozessverlauf begegnet, sind die Abwehr und der Widerstand des Patienten. Der Betroffene hat Angst, welche die Mechanismen der Abwehr aktiviert, die wiederum den therapeutischen Zielen kontraproduktiv entgegenwirken. Hier spielen das Urvertrauen und die Urliebe eine große Rolle. Wenn diese aus biografischen Gründen aufgrund eines frühen Ödipal-Komplexes verletzt sind, regrediert damit der psychische Zustand. Hier ist der Bedarf der Rekonstruierung aus der Biografie des Patienten im Zusammenhang mit dem intrapsychischen Zustand und somit der Psycho-Dynamik gegeben (Kernberg 1998).

17.1 Regression

Die Regression wird von Freud als Abwehrmechanismen definiert, die die Neurose stärkt. Sie bedeutet sowohl das Zurückschreiten und Zurückgreifen im Sinne einer Rückbildung als Atrophie und Degeneration als auch das Zurückgreifen auf frühere Entwicklungsphasen. Sie kann auch das Bestreben danach darstellen, ein Kind bleiben zu wollen. In der Einbildung kann die Regression immer wieder unbewusst verwendet werden, um eine Schwierigkeit zu bewältigen. Diese Verhaltensweise wird als Abwehrmechanismus beschrieben. Die Regression dient dazu, die mit dem Scheitern verbundenen Schuld-, Angst- und Minderwertigkeitsgefühle nicht ins Bewusstsein kommen zu lassen. Angstbewältigung und Trieb-Impuls-Abwehr werden durch zeitweiligen Rückzug auf eine frühkindliche Entwicklungsstufe angestrebt. Kindische Ersatzhandlungen überdecken die bewusste Auseinandersetzung mit belastenden Inhalten, wie dem Griff nach Zigaretten, Alkohol oder Drogen, um der Realität zu entfliehen. Einfache primitive Reaktionen zeigen sich in Form von Weinerlichkeit, Trotzverhalten und Krankheit (ebd.).

17.2 Projektion

Die Projektion ist jegliches unbewusstes, destruktives, infantiles Verhaltensmuster, das nach außen getragen wird. Alle negativen Eigenschaften, die ein Mensch mit sich trägt werden auf den Mitmenschen projiziert. Es liegt eine Selbsttäuschung vor. Man sieht den anderen nicht so wie er ist, sondern so, wie man ihn haben möchte. Der Betroffene fühlt sich ungerecht behandelt, „Ungerechtigkeit“ steht als Defizit im Raum.

17.3 Konflikte der Objektbeziehung

Die Triangulierung zwischen Mutter, Kind und Mutterbrust wird als Objektbeziehung bezeichnet. Als Metapher für Mutterbrust steht die Bezeichnung der „Quelle des Lebens“ des Kindes. Ein neugeborenes Kind benötigt Liebe und Wärme. Es wird getragen und empfängt die Nahrung als existentielle Grundlage für das Überleben des Kleinkindes. Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Kind schreit. Es wird vor der Geburt durch die Nabelschnur mit der Mutter verbunden und dadurch versorgt. Nach der Geburt bekommt das Neugeborene eine andere Form der Nahrung, dies führt zur Entstehung von Blähungen im Verdauungstrakt, sowie schmerzhaftem Druck im Abdomen. Der Magen des Kindes ist extrem klein, wodurch das Kind schnell hungrig und weinerlich wird. Sein Unbehagen äußert sich in Schreien. Ausgangsprodukt ist ein saures Milieu, das schmerzt und Hautrötungen verursacht. Ein weiterer Grund zu schreien sind auch verschiedene Erkrankungen, die vom Kind als Traumata erlebt werden, weil es nichts versteht und es das Gefühl hat, nicht geliebt und geschätzt zu werden. Es fällt in eine Rolle der Ohnmacht. Somit sind Urvertrauen und Urliebe des Kindes verletzt worden.
Daraus resultieren frühkindliche Traumata, die in der Grabkammer verdrängt werden und sich zu pathologischen Symptomen im weiteren Verlauf des Lebens manifestieren. Aus dem Zustand der Auslieferung entstehen Affekte des Minderwertigkeitsgefühls und der Ich- Schwäche. Das Über-Ich belastet und macht diese unlösbar. Wenn Urliebe und Urvertrauen verletzt worden sind, induzieren sich die pathologischen Symptome in Form von Misstrauen, Entwertung und anderen psychischen Konflikten. Die Angst überflutet das Kind, wenn Hilfe ausbleibt, ebenfalls nur für kurze Zeit. In weiterer Folge induzieren sich Angstsymptome. Daher spielen der primäre und sekundäre ödipale Komplex für die Persönlichkeitsentwicklung eine wesentliche Rolle. Es entwickeln sich Persönlichkeitsstörungen in Form von Übertragungsphänomenen als Projektionen, die sich gegen eine gesunde zwischenmenschliche Beziehung richten. Wenn ein Mensch auf den anderen projiziert, ist ihm dies nicht bewusst und der Betroffene fühlt sich unrecht behandelt. Dieses Gefühl führt zu sadomasochistischen Verhaltensweisen von beiden Seiten. Die Partner fallen in die Rolle der Dysfunktionalität von Kommunikation und Empathie, wodurch ungelöste Konflikte entstehen, die bis zur Trennung führen können. Diese Handlungsweisen spielen sich im Bereich der Ratio, der Spitze des Eisbergs in Freuds Metapher ab. Betroffene vergessen, dass der Grund des Übels im früh-verdrängten Unbewussten liegt. Grundsätzlich kommuniziert das Unbewusste nicht mit dem Bewussten, wodurch die Entstehung zwischenmenschlicher Konflikte einleuchtend wird.
In Hinblick auf die Weltpolitik führen Angst, Misstrauen zu militärischem Wettrüsten von Atomwaffen und anderen hochtechnologischen Kriegswerkzeugen, damit sich Menschen gegenseitig vernichten können. Soldaten stehen Soldaten im Krieg gegenüber, die sie nicht kennen und bringen einander um. Für jeden gefallenen Soldaten leiden Familie, Kinder und Freunde. Die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und auch anderer Kriege hat gezeigt, dass bei existenzieller Bedrohung, Zukunftsängsten, paranoider Phänomene sowie der dazugehörenden Massendynamik ein Krieg folgt. Die in den Genen gespeicherten Ängste werden an mehrere Generationen weitergegeben (Klußmann & Nickel 2009). Die empirische Datenerhebung hat als Forschungsergebnis gezeigt, dass zwischenmenschliche Beziehungen sich nach der Überwindung von frühkindlich verdrängten Traumata verbessern (vgl. Anhang 1, Frage 25). Die fast ausschließlich positiven Antworten von 105 Personen stellen eine Verbesserung der Kommunikation, sowie des Umganges miteinander über die Ermöglichung eines unbelasteten Neuanfangs fest, wodurch ein Leben mit und für einander in Frieden und ohne Krieg gewährleistet werden kann.
Um Grundbedürfnisse zu decken, kann der Mensch seine Suche nach Wasser und Bodenschätzen vom All auf die Erde verlegen, da sie noch genügend unbenutzte Flächen zur Begrünung besitzt. Es ist möglich Wasser aus den Ozeanen nach Entsalzung zu gewinnen und Wüsten, wie die Sahara zu begrünen. Somit hat der Mensch genügend seiner Grundbedürfnisse befriedigt. Außerdem lässt sich die Solarenergie tropischer Länder nützen, um Energiebedarf zu decken. Die Ressourcen wurden bisher nur kaum genützt. Soldaten können in Soldaten des Friedens und Kriegsschiffe in normale Transportschiffe umgewandelt werden. Solche Ideen sollten auf diplomatischer Ebene austragen werden um zum Weltfrieden beizutragen.
Die folgende Abbildung verdeutlicht den ersten Eindruck des Kindes von Familienbeziehung in Zusammenhang mit dem Leben, von ödipaler Phase bis ins Erwachsenenalter und des Weiteren der eigenen Beziehung und das Scheitern an Beziehungen.

Abb. 12: Erster Eindruck des Kindes auf das Beziehungsmodel der Eltern
Quelle: (Andrawis 2018)

17.4 Erste Beziehung – Familienbeziehung

Die erste Beziehung für ein Kind ist die Familienbeziehung, bestehend aus Vater, Mutter und den Kindern. Einen ersten Eindruck, wie Beziehung funktioniert, gewinnt ein Kind über die Elternbeziehung. Sie sehen, wie Eltern mit Konflikten umgehen oder wie sie Zuneigung zeigen. Aus diesen Eindrücken lernt das Kind, wie Beziehungen funktionieren. Wir wissen aber, dass auch Alltagsbelastungen im Familienleben hinzukommen. Meistens arbeiten beide Elternteile. Das Kind wird außerhäuslich betreut. Die Überforderung der Eltern durch psychosoziale Komponenten belastet das Familienleben. Dadurch sammeln sich Konflikte, Stress, Unausgeglichenheit und Dysfunktionalität der Harmonie. In weiterer Folge kommt es zu Phänomenen der Übertragung und Gegenübertragung. So entwickeln sich Streit und ambivalente Gefühle und wiederum negative Eindrücke des Kindes. Es fühlt sich schuldig an dieser Eskalation und entwickelt auch selbst Schuldgefühle. Diese Situation zieht sich oft bis zur Pubertät durch. Danach wollen die Jugendlichen das Elternhaus verlassen und ein eigenes Leben, sowie eigene Beziehung führen.

17.5 Zweite Beziehung – Beziehungen nach der Pubertät

Am eigenen Weg auf der Suche nach den idealen Vater- Mutterbildern, sowie Urliebe und Urvertrauen ist die Erwartungshaltung der Jugendlichen sehr hoch. Der Wunsch nach einer Idealform von Beziehung steht im Fokus. Nun ist nicht zu vergessen, dass die jetzige Paarbeziehung in harte Bedingungen gerät. Beide sind von frühen Verdrängungen und Traumata erfüllt. Die negativen Eindrücke der Elternbeziehung, sowie auch die eigene strenge Beziehung, die Angst vorm Scheitern und Auftritt unbewusster, gegenseitiger Projektionen zeigen sich nach einiger Zeit im Zusammenleben. Die idealen Mutter- und Vaterfiguren werden nicht erfüllt. Der gesammelte Stress, die Überforderungen und Projektionen führen zu einem Scheitern der Beziehungen, da die ideale Erwartung an die große Liebe nicht erfüllt wurde. Enttäuschung, Verletzungen, Verlust an Liebe und Liebeskummer sperren das Herz der Jugendlichen ein und es kommt zu Trennungen.

17.6 Dritte Beziehung – Beziehungen im Erwachsenenalter

Im Erwachsenenalter suchen Menschen wieder nach dem idealen Partner und einem Ausweg aus Liebeskummer und Herzschmerz. In der Beziehung kann es dazu kommen, dass sich einer der Partner aus Verlustängsten nicht einlassen kann. Die Sammlung von Traumata aus der Herkunftsfamilie, sowie Verletzungen und Enttäuschungen aus den eigenen Beziehungen und destruktive-infantile Verhaltensmuster, einhergehend mit gegenseitigen Projektionen, führen zu Dysfunktionalität der Harmonie, Kommunikationsdefizite und unerfüllte Erwartungshaltungen.
Dazu kommen noch Defizite in der Sexualität-Genitalität. Sexualität ist als Gesamtheit der Lebensäußerung zu verstehen wie Emotionen und Interaktionen in der zwischenmenschlichen Beziehung unter Einbeziehung sozialer, kultureller, psychologischer Faktoren. Zum Vergleich ist Genitalität als orgastische wechselseitige Befriedigung, End Akt von Sexualität zu verstehen.
Ohne die Fähigkeit sich auf den anderen einlassen zu können, ist eine Beziehung zum Scheitern verurteilt.

17.7 Vierte Beziehung – Beziehungen im hohen Erwachsenenalter

In diesem Stadium der Beziehung ist ein Ritual des häufigen Partnerwechsels integriert. Unbewusste Projektionen sind immer mehr vorhanden. Die Erfahrungen aus früheren Beziehungen unterliegen einem Vergleich hinsichtlich Sexualität und Charakter-eigenschaften. Infantile destruktive Verhaltensmuster werden weitergeschleppt.

17.8 Fünfte Beziehung – Beziehungen in weiterer Folge

Gewöhnt an das Ritual des häufigen Partnerwechsels kommt es zu einer Verhaltensweise des „mit-den-Augen-naschens“ und in weiterer Folge zur Sexsucht. Dem Partner genügt die Beziehung nicht. Man hält Ausschau nach noch nicht erfüllter Urliebe, Urvertrauen und idealen Vater- und Mutterbildern. Während der Lebensreise auf der Suche nach erfüllter Partnerschaft gerät man immer wieder an Enttäuschungen des nicht Findens eines idealen Partners. In der Wirklichkeit sucht man unbewusst die ideale Vater- und Mutterfigur, Urliebe und Urvertrauen, wie bereits oben erwähnt. Auf dem Weg der Suche und dem Ritual des Weitersuchens kommt es zu zwanghaften Wiederholungen des Partnerwechsels, der Sexualität und der Genitalität. Diese Ritualsuche kann als Sucht bezeichnet werden, die sich in pathologischen Symptomen manifestiert. Factum ist, dass niemand sich und den Partner bewusst quälen oder mit Schuldbewusstsein und ambivalentem Verhalten beladen möchte. Jeder wünscht sich eine ideale Beziehung, offen, ehrlich und tragfähig gegenüber dem Partner. Dies kann leider nicht erfüllt werden, weil alle infantil-destruktiven, unbewussten Verhaltensmuster Einfluss auf das Bewusstsein haben. Dies bedeutet, dass man immer gutes tun will, aber genau in Paradoxie dazu steht. Paulus führt hierzu an: „Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Das Gute was ich will, gelingt mir nicht, sondern das Böse.“ (NT, Röm. 7).
Das Unbewusste und dessen Einfluss auf das Verhaltensmuster gilt nicht nur für Heilige, sondern für uns alle. Gründe, warum uns harmonische Beziehungen nicht gelingen, beruhen auf Tatsachen der Projektionen und unlösbaren Partnerkonflikten, Schuldgefühlen und Depression. Gewöhnlich sucht man durch Fremdobjektrepräsentanz einen sogenannten Sündenbock für das eigene unerfüllte Liebesleben. Der Begriff Fremdobjektrepräsentanz enthält das Wort Objekt und kommt aus der Erfahrung der Objektbeziehung frühkindlicher Traumata. Dies sind die Grundübel für Trennungen und Scheidungen, sowie erhebliche gesellschaftliche Konflit.

18 Abbildungsverzeichnis

Anh. Abb. 1: Vor der Therapie aus dem Jahr 2009
What nourishes me destroys me, 2009 S.72
Anh. Abb. 2: Vor der Therapie in den Jahren 2009 und 2010 S.73
Anh. Abb. 3 – während der Therapiezeit im Jahr 2012 o.T., 2012 S.77
Anh. Abb. 4: Während der Therapiezeit im Jahr 2012 S.78
Anh. Abb. 5 – Gegen Ende der Therapie im Jahr 2013 S.93
Anh. Abb.6: Tuschezeichnungen S.94
Abb. 7. Fund Objekt I+II, Dies sind zwei neuere Arbeiten der Patientin, die nach
Beendigung unserer Therapie entstanden sind. Es sind großformatige Bilder 2014 S.95
Anh. Abb.8: Einzelne Phasen der Bipolaren Erkrankung.
Quelle: (Kasper & Hauk 2006) S.116
Anh. Abb.9: Bipolare Erkrankung Phase II. Quelle: (Kasper & Hauk 2006:12) S.116
Anh. Abb.10: Bipolare Störung Phase III. Quelle: (Kasper & Hauk 2006:13) S.117
Abb. 11: Frühkindliche Traumata / Objekt-Beziehung-Konflikt
Quelle: (Andrawis 2018) S.135
Abb. 12: Erster Eindruck des Kindes auf das Beziehungsmodel der Eltern
Quelle: (Andrawis 2018) S.139

19 Ausgesuchte häufiger Krankheitsbilder

Im folgenden Kapitel befasst sich der Autor mit den drei häufigsten auftretenden Krankheitsbildern. Negative Auswirkung auf ein Leben in Fülle, gelungene zwischenmenschliche Beziehungen und soziales Umfeld
Klinisch-diagnostische Leitlinien internationaler Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 Kapitel V F / DSM-5 Code;
II. Persönlichkeitsstörung Borderliner-Typ F60.31/DSM-5 Code 301.83
III. Somatoforme Störungen-Psychosomatische Störungen F45./DSM-5 Code 300.82 (Dilling et al. 2008). Diagnose nach ICD-10 F und DSM-5 Code.
Die Gesundheit ist ein Zustand sozialen Wohlbefindens, seelischen und körperlichen Ursprungs, hingegen bei Krankheit fehlen diese drei Komponenten (Ermann 2004).
Wenn Traumata und psychische Störungen nicht therapiert werden, kann sich ihr Zustand chronifizieren. Diese chronische psychische Störung hat negativen Einfluss auf die zwischenmenschlichen Beziehungen (Möller et al. 2005).

20 Persönlichkeits- und Verhaltensstörung nach ICD10 V. F60

Eine Persönlichkeitsstörung zeigt sich in einer schweren Störung des persönlichen/sozialen Verhaltens der betroffenen Personen. Diese Störung entsteht in der frühkindlichen Phase oder in der Adoleszenz und besteht während des Erwachsenenlebens weiter. Die Ursachen sind nicht direkt auf eine Hirnschädigung oder eine psychiatrische Störung zurückzuführen, sondern viel mehr auf einen strukturellen Mangel der Erziehung. Rohde et al. führen den Verlust von Urliebe und Urvertrauen, sowie Missbrauch und Misshandlung des Kindes als Gründe für die Entstehung dieser Störung an. (Rohde &, Dachser 2006)
Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen finden sich bei Dilling et al. (2011) unter der Klassifizierung F60 – F69:
– paranoide Persönlichkeitsstörung F60.0,
– dissoziale Persönlichkeitsstörung F60.2,
– emotional instabile F60.3,
– impulsiver Typ F60.30,
– schizoide Persönlichkeitsstörung F60.1,
– Bordeline-Typ F60.31,
– histrionische Persönlichkeitsstörung F60.4,
– ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung F60.6,
– anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung F60.5,
– abhängige(asthenische) Persönlichkeitsstörung F60.7,
– andere spezifische Persönlichkeitsstörungen F60.8,
– weitere narzisstische Persönlichkeitsstörung F60.80,
– passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung F60.81,
sonstige andere spezifische Persönlichkeitsstörungen F60.88 und so weiter. (Möller et al. 2005)

Hier beschränkt sich der Autor auf F60.31 „Borderline-Typ“ als häufigste Erscheinungsform einer Persönlichkeitsstörung (Dilling et al. 2011).

20.1 Einführung Borderline-Typ Pathologie und Psychoanalyse

Wie Rohde-Dachser (2006) beschrieben hat, liegt die Geschichte von Borderline-Typ in der Psychiatrie weit zurück. Das erste Mal wurde sie im Jahr 1925 von Aichhorn bei einer Gruppe seiner Patienten praktiziert, wo er herausfand, dass seine Patienten an einem Mangel von Impulskontrolle litten. Im Jahr 1938 wurde durch Stern Borderline als Diagnose erwähnt, um Patienten dieses Patiententyps von psychotischen Patienten zu unterscheiden.
Wie bereits erwähnt, hatte Stern Merkmale der Patienten beschrieben, die Kernberg (2008) später übernommen hatte und in seinen Arbeiten zur Ich-Pathologie von Borderline veröffentlichte. Aus analytischer Sicht gibt es bei Patienten die Tendenz zur Idealisierung der Objekt- Beziehung (Kind-Mutter-Beziehung) und gleichzeitig von Idealisierung zu Entwertung zu wechseln. Hierbei spricht man von einem ambivalenten Zustand. Grinker et al. beschreibt in seinen beschriebenen empirischen Kriterien von Borderline-Patienten eine Unterteilung von vier Charaktertypen (Rohde- Dachser 2006):

20.2 Untergruppen der Charakterisierung

1.) anakastische Bezeichnungen
2.) Wutanfälle
3.) mangelnde Ich-Identität
4.) Depression durch Einsamkeit
So entwickelte Kernberg gleichzeitig Theorien über die Borderline-Typ Persönlichkeits-Organisation, in der er Phänomene der Psychodynamik fand, wobei unter den Patienten Ich-Pathologie nachgewiesen wurde, die auf primitive Abwehrmechanismen der frühkindlichen Erlebnisse von Traumata zurückführbar sind und sich hinsichtlich projektiver Identifizierung, Spaltung und Verleugnung gezeigt haben. Ursprünglich tritt eine Pathologie der Objektbeziehung und des Über-Ichs auf, die durch mangelnde Angsttoleranz, Impulskontrolle, sowie mangelnde Sublimierungsfähigkeit als Ich-Schwäche zu bezeichnen ist (ebd.).
Zurückzuführen ist diese frühe Störung einerseits auf die Beziehung zwischen Mutter und Kind, in der das Urvertrauen und die Urliebe verletzt wurden und andererseits auf frühkindliche, traumatische Erlebnisse. Hier spielen die psychosozialen Komponenten eine Rolle, darunter Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit, Armut, Alkoholismus, Trennung, Scheidung der Eltern und Gewalt in der Familie. Auch der Vater ist in Zusammenhang mit Autorität, Abwesenheit und dem Verhältnis zur Familie involviert. Des Weiteren ist die Beziehung der Eltern in ihrem Zusammenleben, innerhalb der Konfliktbewältigung, sowie eine geschwisterliche Beziehung, frei von Rivalität, in Akzeptanz und Wertschätzung wichtig. Es muss nicht zwingend zu einer Traumatisierung des Kindes gekommen sein, hierbei kann es sich auch um Epidemiologie handeln, welche zu symbiotischer Bindung führen kann (ebd.).

20.3 Exakte Diagnose nach DSM-III-R-Kriterien

Für eine exakte Diagnose des Borderline-Typs müssen 5 der folgenden 8 Kriterien gegeben sein.
1. Impulsivität in mindestens 2 Bereichen, in denen man aktiv selbstschädigend wirkt. Z.B.: Sexualität, Geldausgeben, Ladendiebstahl, Substanzen missbrauch, Rücksichtslosigkeit bei zwischenmenschlichen Beziehungen und Fressanfälle.
2. Das Aufweisen eines bestimmten Musters von Instabilität, das sich auch auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirkt und sich durch ein Abwechseln zwischen Abwertung und Überidealisierung zeigt.
3. Übermäßige Wut oder Unfähigkeit diese Wut kontrollieren zu können, z.B. Wutausbrüche, andauernde Wut bzw. Prügeleien (Möller et al. 2005).
4. Instabilität in Form von Stimmungsänderungen, von normaler Stimmung zur Depression, Angst oder Reizbarkeit, wobei diese Stimmungslage einige Stunden bis zu einigen Tagen anhalten kann.
5. Identitätsstörung, die andauernd ausgeprägt ist und sich in einer Unsicherheit in mindestens zwe der folgenden Lebensbereiche manifestiert: Eigenbild, sexuelle Orientierung, längerfristige Ziele, Berufswunsch, Wahl der Freunde oder Partner, persönliche Wertvorstellungen.
6. Suizidversuche, Selbstverstümmelung und wiederholte suizidale Drohungen.
7. Langeweile und chronisches Gefühl der Leere.
8. Verzweifeltes Bemühen, imaginäres Alleinsein oder reales Alleinsein zu verhindern (Kernberg 1998).

20.4 Borderline – Typ F 60.31

Diagnose-Kriterien nach ICD10 F internationale Klassifikation psychischer Störungen:
– Vorhandensein emotionaler Instabilität des eigenen Selbstbilds, der inneren Präferenz, einschließlich unklarer und gestörter Sexualität
– chronisches Gefühl innerer Leere
– Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen, die zu Wiederholung emotionaler Krisen führen können, einschließlich übermäßiger Bemühung, nicht verlassen zu werden. Zudem Selbstschädigung und Suizid Drohung, die auch ohne Grund und ohne Auslöser auftreten kann (Dilling et al. 2011). Die DSM-III-R-Kriterien der Borderline-Persönlichkeitsstörung können mit anderen schweren Persönlichkeitsstörungen, insbesondere der schizotypischen, histrionischen, antisozialen und narzisstischen Persönlichkeitsstörung überlappen.

20.5 Drei Kriterien für die Diagnose der Borderline-Typ Störung

Kernberg (2008) führte folgende drei Kriterien für die Borderline Störung an:
I. Niveau der Abwehroperationen
II. Identitätsdiffusion (mangelnde Integration)
III. Fähigkeit zur Realitätsprüfung
Im Gegensatz zu der neurotischen Persönlichkeitsstörung, bei der sich die Abwehrorganisation um Verdrängung und andere reife Abwehrmechanismen zentriert, stellen bei Patienten mit Borderline oder psychotischem Organisationsniveau, primitive Mechanismen der Spaltung die zentrale Abwehrform dar (Kernberg 1998). Spaltung und andere Mechanismen wie z.B. projektive Identifizierung, primitive Idealisierung, Verleugnung, omnipotente Kontrolle (Kontrolleifer) und Entwertung treten dabei in Wechselwirkung auf. Dies geschieht, um das eigene Ich vor Konflikten zu schützen und zeigt sich in widersprüchlichen Erfahrungen des Selbst, wobei die Abwehrmechanismen versuchen, widersprüchliche Bedeutungen voneinander getrennt zu halten. Somit kann man von einer Spaltung durch diese Abwehrmechanismen sprechen.
Diese Merkmale zeigen sich auch in der Patienteninteraktion. Die Spaltung führt zu einer Teilung der äußeren Objekte und des Selbst in „absolut Böse“ und „absolut Gut“. Dies bedeutet, dass man bei Übertragungen in Form der Projektion, Personen wahllos in gut oder böse einteilt (ebd.).

20.6 Primitive Idealisierung

Sie zeigt sich beispielsweise durch Übersteigerung äußerer Objekte als „gut“. Gute Eigenschaften beim anderen werden krankhaft übertrieben dargestellt. Dies kann so weit gehen, dass Patienten menschliche Fehler nicht wahrhaben wollen. Wenn eine Person von einem Patienten überidealisiert wird, dann darf sie keine Fehler aufweisen. Der Patient glaubt, dass die idealisierte Person vollkommen ist. Das Gegenteil der Über-Idealisierung ist die absolute Entwertung. Auch wird der andere als gefährlich und verfolgend wahrgenommen. Frühe Formen der Projektion und projektiver Identifizierung unterscheiden sich von reifen Formen der Projektion durch Zuweisung eines Impulses an einen anderen. Das ist ein Hinweis auf frühe Verdrängungen. Wie Kernberg beschrieben hat, ist die projektive Identifizierung durch 3 Schritte charakterisiert:
1. Angst vor anderen Personen, die scheinbar durch projizierte Impulse charakterisiert ist.
2. Das Bedürfnis dieser Person (den Therapeuten) zu kontrollieren. Ziel ist, ein bestimmtes Verhalten zu provozieren, dass die Projektion des Patienten dann scheinbar bestätigt. Dies passiert aufgrund des Ich-Strukturmangels. Im Zentrum stehen die Abwehrmechanismen der Verdrängungen. Das beruht auf projektiver Identifizierung, die sich durch Spaltung oder primitive Handlungen zeigt (ebd.).
3. Die Tendenz, einen Impuls bei sich selbst zu finden, während dieser gleichzeitig auf den anderen projiziert wird (ebd.).

20.7 Fähigkeit zur Realitätsprüfung

Sowohl bei Borderline-Persönlichkeitsstörung, als auch bei neurotischen Persönlichkeitsstörungen bleibt die Fähigkeit zur Realitätsprüfung erhalten. Im Gegensatz dazu ist dies bei der psychotischen Persönlichkeits-Organisation nicht der Fall. Die Realitätsprüfung kann man als „Nicht-Selbst“ vom Selbst trennen. Die intrapsychischen Wahrnehmungen und Reize, die ursprünglich zur Unterscheidung eigener Affekte gedacht waren, sind intensiviert, sodass soziale Normen nicht eingehalten werden können. Dieser Verlust der Fähigkeit muss geheilt werden, um zur Realität zurückfinden zu können: Dem Patient, dem die Dinge als fremdartig erscheinen, muss die Realität bewusst gemacht werden.
„Die Borderline Persönlichkeits-Organisation manifestiert sich auch in sekundären Strukturmerkmalen, wie unspezifischen Zeichen von Ich- Schwäche (Mangel an Impuls-kontrolle, fehlende Angsttoleranz und mangelhaft entwickelte Fähigkeit zu Sublimierung), von Über-Ich Pathologie (infantile, unreife Wertsysteme, widersprüchliche innere moralische Forderungen oder sogar antisoziale Züge.)“ (Kernberg 1998:16 ff) Sekundäre Strukturmerkmale beruhen auf dem pathologischen Befund. Die Diagnose beruht auf den Kriterien der Abwehroperationen, Identitätsdiffusion und Realitätsprüfung.

20,8 Identitätsdiffusion und mangelnde Integration

Der Mangel an Integration wird als Identitätsdiffusion definiert und gleichzeitig als Konzept des Objekts verstanden. Das bedeutet, dass das subjektiv Erlebte von innerer Leere, widersprüchlicher Wahrnehmungen und widersprüchlichem Verhalten geprägt ist. Die widersprüchlichen Wahrnehmungen der anderen, wie auch sich selbst, zeigen sich in Unfähigkeit zwischenmenschliche Beziehungen leben zu können. Ebenfalls sprach ein Betroffener in einem Kurzinterview über die Schwierigkeit, sich mit dem Partner über eine Sachlage realistisch und ordnungsgemäß austauschen zu können (Kernberg 1998).

20.9 Praktische Anwendungen für den Borderline-Typ

Die individuellen, pathologischen Bilder während des therapeutischen Prozesses zeigen hypomanische Persönlichkeitsstörungen (psychosomatische Störungen), die in allen Fällen zu sozialen Persönlichkeitsstörungen gezählt werden.
Kernberg geht davon aus, dass Borderline-Störungen in der Kindheit aufgrund von körperlicher Misshandlung oder sexuellem Missbrauch entstehen. Für Herman et. al (1989) kann die Diagnose der Betroffenen durch jene der schweren posttraumatischen Belastungsstörung ersetzt werden, weil keine definitive Diagnose für Borderline festgelegt werden kann. Sexueller Missbrauch taucht stets in Verbindung mit Persönlichkeitsstörungen auf (Rohde-Dachser 2006).

20.10 Konzepte der Behandlung

Die expressive Psychotherapie beruht auf einem psychodynamischen Modell und soll die Fähigkeit des Patienten steigern, sich selbst und andere als kohärente (zusammenhängende), integrierte und realistisch wahrgenommene Individuen zu erleben. Der Patient soll lernen, seine Impulse zu kontrollieren, Ängste zu tolerieren, Affekte zu regulieren, Triebwünsche zu sublimieren und Intimität und Liebe zu erleben. Das passiert auf einem psychoanalytisch-expressiven Psychotherapie-Modell. Voraussetzungen für die Therapie sind Übertragungsphänomene, Widerstandsformen, Abwehrmechanismen und Deutungstechniken. Diese Therapieform fordert einige Modifikationen (Umwandlung therapeutischer Techniken und Technische Neutralität) und setzt sie mit anerkannten Grundsätzen psychoanalytischer Behandlung in Verbindung. Bei allen Psychotherapie Formen, die unspezifische Aspekte enthalten, spielt Kontinuität, sowie Zuverlässigkeit, Akzeptanz, Wertschätzung und Authentizität, sowie eine gesunde Kommunikation zu Empathie hin, eine wichtige Rolle. Wichtig in der Therapie sind Konsequenz und Disziplin (ebd.).

20.11 Gegenstand, Behandlungsmethoden und Ziele

Wie Kernberg in Bezug auf expressive Psychotherapie für Borderline-Psychopathologie beschrieben hat, soll die Fähigkeit des Verständnisses und der Empathie für die eigene Person und sich selbst, im Betroffenen gesteigert werden. Kohärente (zusammenhängende), integrierte Zusammenhänge sollen wahrgenommen und individuell umgesetzt werden. Wichtig ist, dass gleichzeitig auf die Reduktion von Abwehrmechanismen geachtet wird laut Kernberg (1998), während die Ich- Struktur durch Verringerung der Reaktionsmöglichkeiten geschwächt wird. Die Fähigkeit zur Entwicklung des Patienten geschieht durch Kontrolle seiner eigenen Impulse, die Regulation seiner Affekte, die Möglichkeit Angst zu tolerieren und seine Triebwünsche sublimieren zu können bei gleichzeitiger Entwicklung der stabilen und befriedigenden interpersonellen Beziehungen, um Liebe und Intimität erleben zu können (ebd.). Diese Ziele können durch Erkennen und Klärung der abgespaltenen Anteile der inneren Objektwelt des Betroffenen erreicht werden. Durch die Übertragung auf den Therapeuten wird diese Spaltung sichtbar gemacht. Jede Übertragungsdisposition bedeutet Selbstvorstellung des Patienten durch die Rekonstruierung der Objektvorstellung und des affektiven Zustands und verbindet daher Selbstvorstellung und Objektvorstellung miteinander. Laut Kernberg et al. bemüht sich der Patient bei dieser Objektvorstellung um Unterdrückung und Vermeidung seiner inneren Konflikte durch Interaktion der primitiven Übertragung. Die Therapieempfehlung für Borderline-Patienten ist diese Übertragung zu verstehen und die Deutung anzunehmen, anstatt dem gegenwärtigen Bedürfnis nach Vermeidung und Unterdrückung nachzugehen. Die Deutung von Spannungsanteilen psychischer Erlebnisse des Betroffenen soll dem Patienten mitgeteilt werden. Durch Deutung und Klärung der gespaltenen Elemente, bewegen sich (gespaltene) Selbstrepräsentanzen langsam in Richtung vollständiger Selbstrepräsentanz, durch Erfassung des Bildverständnisses aggressiver und libidinöser Tendenzen. Daraus resultiert die differenzierte realistische Sicht des Selbst der Objektwelt. So entwickeln sich Selbst- und Objektwelt, sowie die Erkennung der inneren Affektzustände. Die integrierten Objektrepräsentanzen spiegeln eine realistische elterliche Bildvorstellung und die Integration mit ihnen, aus den früheren Kindheitserlebnissen wieder, so dass der Borderline-Patient in der Lage ist, seine Vergangenheit realistisch akzeptieren zu können (ebd.).

20.12 Baustein hin zum Behandlungsziel

Die Gegenwärtigkeit und Wertschätzung gegenüber dem Therapeuten, sowie allen anderen Personen ist sehr wichtig und kann als große Hilfe für Interaktionen unter den Menschen, sowie für die ganze Therapie gesehen werden, um die beiden integrierten Anteile des Patienten, der Objektrepräsentanzen mit sich selbst zusammenzuführen. Durch Spaltung und internalisierte Objektbeziehungen, sowie Charakterzüge der Spaltung, die sich in Aggression und Liebe äußern, entstehen Überidealisierung und Entwertung. Die Integrationen werden wiederum durch die Analyse der Abwehroperationen, die diese Abspaltung aufrechterhalten, verbessert. Wichtig bei diesen Patienten ist das Erkennen primitiver, gespaltener Ich-Zustände und ihrer Integration durch Auflösung von Abwehroperationen, die abgespalten voneinander existieren. Dies geschieht mit Hilfe von Integrationstechniken (ebd.).

20.13 Technische Neutralität

Psychoanalytische Psychotherapie beinhaltet das offene Gespräch zwischen Therapeut und Patient. Die Anweisung des Patienten zur offenen Aussprache gehört zur Standardregel freier Assoziation. Die Intervalle der Therapien finden normalerweise zwei bis dreimal pro Woche statt.
Expressive Psychotherapie, die als Grundtechnik der Psychoanalyse angesehen wird, gleicht ihr in Rekonstruktion der Biografie und deren Verknüpfung mit der Psychodynamik des Patienten und die daraus resultierende Deutung und Therapie. Beide Behandlungsansätze weisen Übertragungsanalyse, sowie technische Neutralität, wobei diese in expressiver Psychotherapie auch zeitweise aufgehoben werden kann und daraufhin durch Deutungstechnik erneuert werden muss. Für langfristige therapeutische Ziele muss die Überwachung der äußeren Realität in Betracht gezogen werden (ebd.).
Bei Formen der suppurativen Psychotherapie, die auch als unterstützende Therapien bezeichnet werden können, wird das „In-sich-gehen“ des Patienten durch den Therapeuten unterstützt, um ein positives Miteinander in der Anfangsphase der Therapie, in welcher Unterstützung des Patienten besonders wichtig ist, gewährleisten zu können. In dieser Phase sollten Konfrontationstherapien vermieden werden. Der Deutungsprozess orientiert sich am „Hier und Jetzt“, dem „Dort und Damals“. Die Hauptstrategie unterstützender Psychotherapie ist kognitive und affektive Unterstützung, wobei der Therapeut eher lenken, als analysieren sollte, wobei in die Lebensumstände des Patienten erst in späteren Phasen der Therapie eingegriffen wird. Aufgabe des Therapeuten ist, die Übertragungsphänomene des Patienten durch Objektaffekte, zur Gegenwart und Realität zu führen. Technische Neutralität kann hierbei leicht aufgegeben werden und muss nicht notwendigerweise wiederhergestellt werden.

20.14 Expressive Psychotherapie

Bei Borderline Patienten wird diese Methode wegen des Behandlungsprozessverlaufs „Hier und Jetzt“ anhand von Rekonstruierung der biografischen Anamnese des Patienten nur in fortgeschrittenen Therapien durchgeführt. In der Psychoanalyse hingegen wird die Rekonstruierung der biografischen Anamnese durch Deutung und Verknüpfung auf das Gegenwartsgeschehen übertragen. Die Analyse der Übertragung wird im Vergleich zur Psychoanalyse in Bezug auf die gegenwärtige Lebenssituation des Patienten überdacht, damit therapeutische Ziele nicht in Gefahr geraten und der Patient seine Schwierigkeiten auch bewältigen kann. Kernberg weist auf die Gefahr hin, dass Patienten Isolierung dissoziierend (trennend) benutzen, um den Belastungen des Alltags zu entgehen (ebd.). Ein weiterer Unterschied zur Psychoanalyse besteht darin, dass der Schweregrad des Ausagierens des Borderline-Patienten den Therapeuten häufig dazu zwingt, die Haltung der technischen Neutralität zu verlassen. Sie muss aber wiederhergestellt werden, sobald die für die Behandlung bedrohliche Situation, die diese Abweichung erforderlich machte, nicht mehr existiert (ebd).

20.15 Stützende Psychotherapie

Im Gegensatz zur expressiven Psychotherapie von Borderline- Patienten können bei diesem Ansatz z.B. Worte der Ermutigung, Lob, Überredung, Interventionen und das Umfeld des Patienten frei benutzt werden, um Hilfestellungen zu vermitteln. Bei Notwendigkeit können auch zusätzliche Therapiemethoden zugelassen werden, wobei dies nicht immer der Fall sein muss. Bei der Umsetzung der Therapie wird auf die Übertragung erzieherisch, mithilfe leichter Konfrontation, zwecks Verminderung der Übertragung, durch Hinweis auf den unangemessenen Verhaltenszustand Bezug genommen.
Das stützende Psychotherapie-Modell beinhaltet Konfrontation, Klärung, jedoch keine Deutung. Im Gegensatz dazu wird in der expressiven Psychotherapie der direkte Ausdruck affektiver/emotioneller und kognitiver/verstandesmäßiger Unterstützung, wie auch ein Eingreifen in die Lebensumstände, vermieden. Erfahrene Therapeuten sind in der Lage die Rahmenbedingungen direkt in ihrer Arbeit anzuwenden (ebd).

20.16 Behandlungsmethode

Die expressive Psychotherapie hat das Konzept einer stabilen, pathologischen, intra-psychischen Struktur zur Behandlung der Borderline Störung. Diese Technik in der Psychoanalyse ist spezialisiert auf die Behandlung pathologischer Zustände dieser Störung. Aus psychoanalytischer Sicht stellt sich das Freud´sche Modell als differenziertes, dreigeteiltes System “ICH, ÜBER-ICH und ES “ dar. Diese drei Komponenten stehen im Konflikt zueinander. Der strukturellen Organisation klassischer Charakterneurose (stark pathologische Persönlichkeitsbildung und Psychosexualität) und Psychoneurosen (psychogenetisch ausgelöste Neurosen, bei der die Auslöser frühkindlich-unbewusste verdrängte Konflikte sind) liegt dieses dreigeteilte Modell zugrunde (Kernberg 1998).
Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei der Borderline Persönlichkeits-Organisation um frühe pathologische und intrapsychische Konflikte. Diese unterscheiden sich von einer neurotischen Persönlichkeit einerseits in der Art der intrapsychischen Konflikte, die Teil des pathologischen Bildes sind und andererseits in den strukturellen Bedingungen. Innerhalb dieser Bedingungen spiegeln sich die Konflikte wieder, sodass sich eine neurotische Persönlichkeit entwickelt. Der Urgrund liegt im Ödipuskomplex – den psychosexuellen – aggressiven Trieben aus der frühkindlichen Entwicklung. Die Borderline-Störung beeindruckt durch das Vorherrschen präödipaler Konflikte die in Zusammenhang mit psychischen Vorstellungen stehen, die mit jenen der ödipalen Phase verbunden sind.
Die trianguläre sexuelle Störung steht im Zusammenhang mit der frühen Beziehung zwischen Mutter und Kind. Triebabkömmlinge drücken sich durch orale und anale Konflikte aus, die sich durch aggressive Verhaltensmuster zeigen, deren Ursprung aus präödipalen Beziehungen stammt. Durch diese Struktur entwickeln sich Boderline-Persönlichkeiten, insbesondere durch alle verdrängten Konflikte und Traumata. Deshalb zeigen sich im Unbewussten infantile Verhaltensmuster, die in Wechselwirkung zum Ich-Zustand stehen. Diese Verhaltensmuster machen sich in Form von Abwehr durch Spaltung bemerkbar. Die Ich-Zustände spalten sich innerhalb einer primitiven ICH-ES-Matrix durch Verdrängungen ab, in welcher das Ich vom Es und vom Über-Ich differenziert wird. Die einfachen Formen der ICH-ES-Matrix gehen mit einer programmierten Spaltung und Projektion einher, wodurch das Über-Ich als paranoider Zustand bezeichnet werden kann (ebd).

20.17 Objektbeziehungstheorie

Im Jahr 1972 beschrieb M. Mahler die Objektbeziehungstheorie als Individuums- und absondernde Trennungsprozesse. Die bedeutende Zeit für die Festlegung pathologischer Symptome zu einem elterlichen Objekt ist hierfür vom zweiten bis zum vierten Lebensjahr und zeigt sich als frühere Entstehung aggressiv-psychischer Erfahrungen. So beschreiben die psychischen Theorien und Techniken, dass bei der Aktivierung früher internalisierter Objektbeziehungen und deren Verdrängungen, pathologische Übertragungen durch Affektzustände sichtbar zu erkennen sind. Diese müssen sowohl als integrierte Teil- Objektbeziehungen , als auch abgespaltene oder ganze Objektbeziehungen von früheren Übertragungsstrukturen zu der Übertragung der ödipalen Entwicklung diagnostiziert und gedeutet werden. Dies spielt eine große Rolle in der Analyse der Übertragung durch eine reaktive, vergangene, internalisierte Verdrängung der Objektbeziehung im Sinne des „Hier und Jetzt“.
Für die Analyse der Bausteine von „Ich- Über-Ich und Es“ braucht man die Übertragungsformen der internalisierten Beziehung zum Objekt, sowie deren Verdrängungen, in Verknüpfung mit phantasierten und realistisch verzerrten Objektbeziehungen. Vergangene Objektbeziehungen werden verzerrt internalisiert, und es bestehen außerdem Abwehrreaktionen mit einflussreichen Projektionen Instinkt betonter Triebimpulse.
Das wichtigste Ziel der Psychotherapie von Borderline-Patienten besteht in der vollständigen Deutung sowie auch Plausibilität, indem das Unbewusste bewusst gemacht werden muss und diese Erkenntnisse letztendlich verinnerlicht und in die Tat umgesetzt werden können (ebd).

20.18 Die Psychoanalytische Deutung

Für die expressive Psychotherapie spielt das technische Instrument der Deutung eine wichtige Rolle für Borderline-Patienten. Die Patienten verirren sich in intellektuellen Äußerungen und vermischen zwischen innerhalb der Sitzung bewusst und unbewusst. So gibt es weder Verbindung, noch Ursache. Die frühkindlichen Verdrängungen haben Einfluss auf Übertragungsphänomene und deren Verwechslung zwischen Realität und Phantasie und deren Ursachen (ebd).

20.19 Deutungssprache

Die Deutungssprache basiert auf drei Stufen:
I. Rekonstruierung aus der biografischen Anamnese
II. Die Verknüpfung zwischen Biographie und Psycho-Dynamik
III. Die Formulierung therapeutischer Pläne und Ziele aus der „Deutungs-Sprache“

Die Schwierigkeiten, denen man im therapeutischen Prozessverlauf begegnet, sind die Abwehr und der Widerstand des Patienten. Der Betroffene hat Angst. Dies wird durch die Mechanismen der Abwehr verursacht, die wiederum den therapeutischen Zielen kontraproduktiv entgegenwirken. Hierbei spielen das Urvertrauen und die Urliebe eine große Rolle. Wenn diese aus biografischen Gründen aufgrund eines frühen Ödipal-Komplexes verletzt worden sind, manifestiert sich ein Musterverhalten. Daraufhin werden in Stresssituationen persönliche Lebenskonflikte regrediert. Hier ist der Bedarf der Rekonstruierung aus der Biografie des Patienten, in Zusammenhang mit dem intrapsychischen Zustand und somit der Psycho-Dynamik, gegeben.
Durch die verbalen Deutungen, die aus hypothetisch-freien Assoziationen des Patienten entstanden sind, gründet sich die Verknüpfung und Deutung zwischen dem Bewussten und unbewussten. Wirksame Deutung ist für einen verständnisvollen Patienten sehr wichtig. Danach folgt Klärung bzw. Konfrontation auf dem Weg zum Ziel. Konfrontation, Klärung oder Interpretations- Techniken, die aus einer Sitzung oder mehreren Sitzungen erlangt wurden, sind Voraussetzungen für eine komplette Deutung (ebd).

20.20 Psychoanalytischen Klärung

Klärung stellt die Plausibilitäten der ersten Schritte im kognitiven Deutungsprozess dar und kann sich auf verschiedene Felder beziehen, die von Therapeuten und Ärzten angesprochen werden:
– Die Äußerungen der Realität des Patienten
– Die Übertragungsphänomene
– Die Geschichte des Patienten oder der jetzigen Abwehr (ebd)

20.21 Konfrontationstherapie

Nach der Konfrontationstherapie besteht eine Konfrontation aus zwei Schritten:

Der erste Schritt ist die Konfrontation im Deutungsprozess und geht der Klärung der Deutung voraus. Das Ziel ist die Bewusstmachung unbewusst vorhandener Konflikte.
Im zweiten Schritt konfrontiert man die Patienten im sogenannten Deutungsprozess mit ihren getrennten vorbewussten und bewussten Inhalten, um ihnen diese Inhalte als Hilfe und Hinweise auf Einzelheiten bewusst zu machen. Vor allem werden sie auf die eigene „Maske der Phantasien“ und die daraus entstehende Ablenkung von der Realität aufmerksam gemacht. Es werden die ambivalent zueinander, widersprechenden Einstellungen und Handlungen aufgezeigt und ergänzend zum Einheitsbewusstsein der Realität dargestellt. Wenn Patienten sowohl die Konfrontation, als auch die Klärung vonseiten des Therapeuten zurückgewiesen haben, kann der Therapeut sie darauf aufmerksam machen, dass die therapeutischen Beobachtungen und Klärung im sitting von den Patienten ohne nachzudenken abgelehnt wurden und diese gleichzeitig behaupteten, in der Stunde nichts gelernt zu haben (ebd).

20.22 Die erweiterte Therapeutische Deutung

Der Deutung liegen Konfrontation und Klärungsansätze, mit Ziel, das Unbewusste und das Bewusste gemeinsam bewusst zu machen, zugrunde. Es dient auch der grundlegenden Angstabwehr der Ratio vom Unbewussten zum Bewusstsein. Dadurch entsteht eine Motivation für therapeutische Pläne und Ziele, um Konfliktinhalte des Unbewussten aufzulösen und die Abwehrmechanismen zu unterbrechen. Der Therapeut stellt während der Sitzungen hypothetische Deutungen fest und korrigiert und klärt Sinn und Ziele der Therapien (ebd). Hierbei kann wieder auf die Metapher des Unbewussten als Grabkammer hingewiesen werden, in der alle Verdrängungen und deren infantile Verhaltensmuster, die sich in den verschiedenen Situationen als Syndrom bzw. Symptom manifestieren, etwa als Übertragungen lagern. Aus dem Depot der Grabkammer wird ein Verhaltensmuster etabliert, das unbewusst ist und auch nach außen getragen wird (Freud S. 1968).

20.23 Übertragungsphänomene

Die Erlebnisse der Übertragungen von Seiten der Patienten auf den Therapeuten gründen sich durch Wahrnehmungen, Phantasien, Affekte, die sich während der therapeutischen Interaktion zeigen. Diese Übertragungen gehen niemals vom Therapeuten, sondern immer von den Verdrängungen der Patienten durch ihre Geschichte aus.

Die Übertragungen sind unbewusste Inhalte, die im Hier und Jetzt frühere internalisierte Objektbeziehungen (im „Dort und Damals“) wiederholen. Sie werden von den Patienten oft als „realistische“ Reaktionen auf zutreffend wahrgenommene Aspekte beim Therapeuten rationalisiert. Sie sind für Patienten von den Verzerrungen zu trennen. Übertragung ist der unangemessene oder verzerrte Aspekt der Reaktion des Patienten auf den Therapeuten.“ (Kernberg 1998:26).

20.24 Primitive und reife Übertragungen

Die primitiven Übertragungen werden beim Patienten schnell mobilisiert, mit absoluten und extremen Verzerrungen. Im Vordergrund handelt es sich um einen Mangel des Patienten an stabilem Selbstgefühl. Er täuscht sich, weil es sich um etwas völlig anderes handelt und agiert nicht im „Hier und Jetzt“. Die Ursachen liegen in früheren verdrängten Objekten bzw. anderen Objekten und verschiedenen Situationen. Jedes Übertragungsphänomen kann ins Gegenteil kippen oder als eigene vollkommene Identität angenommen werden.
Der Therapeut empfindet diese Übertragung als verwirrend, chaotisch und auch oft bedrohlich, da es nicht möglich ist, sich darin einzufühlen. Die Bedrohung besteht darin, dass die Patienten möglicherweise die Therapie unterbrechen könnte. Wenn der Patient unbewusste Schwierigkeiten hat, reagiert er mit Abwehr. Er trägt eine Maske und sieht sie als seine subjektive Wahrheit. Dies kann man als ein infantil-destruktives Verhaltensmuster sehen, das so weit gehen kann, dass der Patient die Realität nicht akzeptieren will und nicht in der Lage ist, seine psychischen Konflikte zu überwinden. Das ist ein Grund dafür, dass der Betroffene sich zurückzieht und glaubt, dass dies für ihn der beste Weg sei.. „Primitive Formen der Übertragung handeln von Teil-Objektbeziehungen, während reife Übertragungen ganze Objektbeziehungen widerspiegeln.“ (ebd.).

20.25 Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung

Man kann die Borderline-Störung entweder mit verhaltenswissenschaftlichen oder auch mit psychoanalytischen Methoden behandeln. Beide Therapieansätze haben das Ziel, eine stabile therapeutische Beziehung aufzubauen, das psychotherapeutische Setting zu strukturieren und dort Grenzen zu setzen, wo es sonst zu selbst- bzw. fremd destruktiven Verhalten kommen könnte. Außerdem ist es legitim, jede Borderline-Behandlung auch mit Psychopharmaka zu kombinieren (Böker 2006).
Bei der schulspezifischen Ausrichtung ist zu erwähnen, dass sich einerseits die behavioralen Therapien mit strengen Denkmustern, Verhaltensweisen und Emotionen beschäftigen, während die psychodynamische Heilmethode eher den unbewussten Konflikten und innerpsychischen Strukturen Aufmerksamkeit schenken, genauer gesagt, jenen unbewussten Konflikten, die sich des Ichs nur aufgrund von Symptomen bewusst werden können, weil sie sich seiner Steuerung entziehen.
Mit der Inszenierung der inneren Konflikte während der Behandlung mit dem Psychotherapeuten oder dem Psychoanalytiker macht man sie dem Patienten bewusst und verändert sie auf diese Weise. Böker weist auf die Ansätze Fonagys für die psychodynamische Therapie hin. Andererseits gibt es auch die dialektisch-behaviorale Therapie von Marsha Linehan (1993/1996), die mit besonderem Erfolg gekrönt war. Seitdem alle drei erwähnten Arten der Therapien als störungsspezifisches Manual vorliegen, hat sich die psychoanalytische Methode weiterentwickelt und kann daher heutzutage bei einer Vielzahl an Borderline-Patienten angewendet werden (Böker 2006).
Ein wichtiger Aspekt während des therapeutischen Prozessverlaufs ist, dass die Patienten mit destruktiv-infantilen Verhaltensmustern, versuchen den Therapeuten zu kontrollieren oder dessen Bemühungen um therapeutischen Erfolg zerstören wollen. Während der Therapeut versucht, eine gemeinsame therapeutische Beziehung für die Zusammenarbeit mit den Borderline-Patienten zu finden, konzentrieren sich die Patienten auf ihre Vorurteile dem Therapeuten gegenüber und sind damit beschäftigt, vorgefasste Meinungen auf ihn zu projizieren, die von der Realität aber abweichen (Böker 2006).

20.26 Schwarz-Weiß-Denken

Der Therapeut wird von den Patienten als absolut gut oder absolut böse erlebt und somit von ihnen entweder idealisiert oder entwertet. Kernberg bezeichnet dieses Phänomen als „Schwarz-Weiß-Denken“, die Bezeichnung als entweder Engel oder Teufel, aufgrund verdrängter Objektbeziehungen, durch welche der Therapeut als Fremdobjekt-Repräsentant wahrgenommen wird. Beim therapeutischen Prozess gibt es einen wichtigen Aspekt zur Übertragung und Gegenübertragung: Affekte sind Übertragungen außerhalb der Realität durch Inhalte früherer Traumata, die verdrängt wurden. Diese Formen der Übertragung wiederholen sich während des Therapieprozesses immer wieder. Wenn die Patienten sich in Themen verzetteln und ihre Aussagen nicht mit ihrem Verhalten übereinstimmen, zählt nicht die Erzählung, sondern ihr Verhalten. Diese Übertragung ist ein wichtiges Kriterium für psychische Dynamik (Kernberg 1998).

20.27 Warum die Therapie vom Patienten abgebrochen wird

Es gibt viele Gründe, therapeutische Behandlungen seitens der Patienten abzubrechen:
1.) Eine Übertragung erscheint bei den Patienten als eine Verschiebung von Liebes- und Hassgefühlen aus frühkindlichen Verdrängungen der ursprünglichen Objekte. Diese wird von den Patienten als eine fremde Repräsentanz (Sündenbock) auf den Therapeuten übertragen.
2.) Die narzisstischen Anteile bei den Borderline-Patienten führen durch die konstante Beziehung zum Therapeuten zu einem Gefühl von Eifersucht, Neid und Konkurrenz. Diese narzisstischen Anteile empfinden sie als Angriff auf die persönliche Selbstachtung und Wahrnehmung. Sie betrachten den Erfolg des Therapeuten als ihre eigene Niederlage. Dies kann ein großes Problem darstellen, da sich die Patienten dabei noch minderwertiger und weniger intelligent als zuvor fühlen, mitunter auf andere Therapieteilnehmer eifersüchtig sind und glauben, fehl am Platz zu sein. Diese Anteile können als eine Bedrohung des therapeutischen Prozesses gesehen werden (ebd).
3.) Die Patienten verlieren sich in einer Fantasie, die sie glauben lässt, alles um sie sei ungesund, weshalb sie vor der Therapie flüchten müssen. Des Weiteren fürchten sie, vom Therapeuten abhängig werden zu können und wollen dies ebenso unterbinden. Auch weckt das Wissen über die Sorge des Therapeuten, der Patient könnte die Therapie abbrechen, Aufmerksamkeit von Seiten des Patienten, wodurch noch mehr Druck ausgeübt wird.
4.) Sobald die Betroffenen eine erste Besserung spüren, kann es dazu kommen, dass die Therapie als Aufarbeitung von psychischem Leid, frühzeitig abgebrochen wird, obwohl der Heilungsprozess noch nicht vollständig abgeschlossen ist.
5.) Die Patienten empfinden durch die Intensität der Intervalle eine Bedrohung, zu scheitern oder zu versagen.
6.) Die Patienten verlassen die Sitzung, um nicht selbst verlassen zu werden.
7.) Eine defizitäre Wahrnehmung der Patienten, die sie aus Scham glauben lässt, der Therapeut oder andere Menschen hegen sexuelle Wünsche gegenüber ihnen, die als sadistisch betrachtet werden, kann einen Grund für Therapieunterbrechung darstellen.
8.) Auch die Einflussnahme von Angehörigen bzw. Familienmitgliedern der Patienten kann auf den Verlauf der Therapien insofern Einfluss nehmen, als dass diese deren Abbruch herbeiführen wollen, damit lang bestehende Muster oder Verhaltensweisen des Patienten weiterhin aufrecht erhalten bleiben und der psychologische Gleichgewichtszustand innerhalb der Familie nicht gestört wird.
9.) Sofern sich die Patienten als Opfer fühlen und ihren Therapeuten als Verfolger wahrnehmen, tauschen sie die Rollen und verlassen den hilflosen Therapeuten.
10.) Patienten können ihren Therapeuten entweder idealisiert oder andererseits demütigend erleben. Daher glauben sie ihn zu überfordern, weil er teilweise wütend und somit inkompetent zu sein scheint. Des Weiteren glauben sie, dass der Therapeut nicht in der Lage sei, die Behandlung zu meistern und gehen quasi aus Rücksicht von der Therapie fort, damit sie ihn endlich entlasten können.
Kernberg empfiehlt für all diese Gründe, diese rechtzeitig zu erkennen und ein klärendes Gespräch mit dem Patienten zu führen (ebd).

20.28 Zurückhalten von Informationen und das Pathologische Lüge

Während der wichtigsten Interventionen empfinden die Patienten im Falle einer Fortsetzung der Therapie, eine Bedrohung ihres Lebens, sowie des Lebens anderer Menschen. Weshalb sie dann zu Täuschungsmanövern und Ausweichmethoden in Form von Lügen greifen, kann verschiedene Ursachen haben:

a) die Verhinderung von Vergeltung und Missbilligung des Therapeuten
b) die Vermeidung der Auseinandersetzung mit dem möglichen Resultat, Verantwortung für ihre Aktionen übernehmen zu müssen
c) Machtausübung und Kontrolle über den Therapeuten
d) Die Patienten wollen mittels Lügen gegenüber dem Therapeuten Dominanz ausüben, aus dem Glauben heraus, alle Beziehungen seien ohnehin entweder ausnützend oder verfolgend.

Eine paranoide Übertragung kann zu notorischer Unehrlichkeit, Beeinflussung und Täuschung führen. Neurotische Übertragungsphänomene sind die Ursache hierfür. Weiteres können die Patienten auch glauben, ihr Therapeut sei feindselig, aggressiv und primitiv, weil der Erfolg oder das Scheitern der Therapien von der Offenheit der Kommunikation abhängt. Deshalb hat der Therapeut die Aufgabe, Lügen seiner Patienten genauso ernst zu nehmen, als würde sich der Patient selbst damit schädigen wollen (ebd).

20.29 Psychoanalyse und Entstehung von Psychischen Störungen

Wie Mentzos (2010) bereits beschrieben hat, ist die Entstehung von psychischen Störungen, durch frühkindliche Traumata, sowie genetische Risiken mit ungünstigem sozialem Umfeld begünstigt. Alle verdrängten Traumata, die niemals aufgedeckt wurden und sich im Unbewussten manifestieren, aufgedeckt und therapiert werden können, kommt es zum Ausbruch von Krankheit. Die strukturellen Mängel, insbesondere die primären und sekundären, begünstigen alle die Entstehung von verschiedenen Persönlichkeitsstörungen, wie z.B. narzisstische, schizoide und paranoide, Psychose und Borderline-Typ (ebd.). Dies ist des Weiteren nicht verwunderlich, allerdings umso mehr beschämend.
Die Entstehung von Abhängigkeit und Bindung und die Entwicklung von früheren Ängsten, Urvertrauen und Sicherheitserleben haben nachhaltige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit des Erwachsenen. (Hoffmann & Hochapfel 2009:23)
Wie Hoffman et. al. beschrieben haben, beginnt die Abhängigkeit eines Kindes direkt nach der Geburt unter Berücksichtigung seines sozialen Umfeldes. Aus physiologischer Sicht beginnen Angstzustände des Kindes, wenn sich die Mutter von ihm entfernt und/oder wenn ihm Fremde begegnen. Weitere können entstehen, wenn das Kind einen Verlust an Urliebe und Urvertrauen aus Missachtung des infantilen Sicherheitsgefühls und einem Bedürfnis nach Nähe nicht erfüllt (Hoffmann & Hochapfel 2009:23).

21 Psychosomatische Medizin (PSM)

Die Psychosomatische Medizin (PSM) ist die Lehre der Wechselwirkung zwischen der Psyche und den gesamten Körperorganen, sowie der Entstehung von psychosomatischen Störungen. Das untergeordnete Neurotransmittersystem hat einen großen Einfluss auf die Entstehung von verschiedenen Erkrankungen, besonders bei psychosomatischen Krankheiten, die sehr schwer zu erkennen sind. Es kann einige Jahre dauern, bis man psychische Störungen als solche erkennt und den Auslöser nicht bei dem Organ selbst findet (Schubert 2015).
Der Austausch im Denken und Handeln innerhalb der Kommunikationsgesellschaft geschieht in einem Vernetzungssystem. Die bisher angewandte Biomedizin wird durch ein bio-psycho-soziales Konzept abgelöst. So sieht die Medizin psychosomatische Störungen heute nicht nur als Störung des kommunikativen Gewebes (vegetatives Nervensystem, Verdauungstrakt), sondern identifiziert auch Belastungen durch die Umwelt als Auslöser. Individualität und Kultur, Gene und Gesellschaft stehen in Wechselwirkung zueinander. Kränkende und heilende Ereignisse nehmen Einfluss auf das Verhalten des Menschen. Nicht nur Medikamente können bei Schmerzen helfen, sondern auch neue Ziele und die damit verbundene Hoffnung. Wie schon Deter betont hat, können Stress im Berufsleben oder Einsamkeit zur Schwächung der Abwehrkräfte führen (Schubert 2015).

21.1 Psychosomatische Erkrankungen

Die Frage, wie sich seelisches Erleben und körperliches Geschehenmiteinander verbinden, war (…) ein immer wieder behandeltes Thema. Mit der Bewegung der psychosomatischen Medizin wurde es im 19. Jahrhundert zur wissenschaftlichen Herausforderung und in der Praxis zur therapeutischen Aufgabe (Bräutigam in Deter 2001:29).

Die Entstehung von psychosomatischen Erkrankungen zeigt eine Korrelation mit Überforderung, Gewichtsverlust, Veränderung emotional-physischer Reize, sowie des seelischen Gleichgewichts und schließlich Überbelastung: Aus physiologischer Sicht einer Leib-Seele-Reaktion betreffen sie das autonom-vegetative Nervensystem, sowie das endokrine System, während der humorale Inhalt als Faktor im Vordergrund steht. Die Steigerung biochemischer Vorgänge, wie in der Hypophyse-Nebennieren-Achse, dem ACTH, der Glukokoritikoide und dem Cortisol, sowie dem SerumTriglyzeride und Cholesterin, können auf Stressreaktionen hinweisen. Die Immunität ändert sich in Bezug auf den Einfluss der Umwelt ( (Klußmann & Nickel 2009).

21.2 Die Müdigkeit beim gesunden Menschen und körperliche Beschwerden.

Wie Tölle & Windgassen (2009) schon beschrieben haben, wird Müdigkeit beim gesunden Menschen als angenehm wahrgenommen. Gegenteilig dazu verläuft es bei Betroffenen psychosomatischer Störungen, welche unter innerlichem Druck stehen und bei denen Symptome der Müdigkeit häufig als Erschöpfung wahrgenommen werden.

Abb. 3 Physische Beschwerden ohne körperliche Veränderungen
Quelle: (Möller et al. 2005:253)
.
Dies äußert sich durch Anspannung, Unruhe, Reizbarkeit, Konzentrationsstörung, Leistungsunfähigkeit, bedrückt sein, Lustlosigkeit, Stimmungsschwankungen, unruhigem Schlaf, Flimmern vor den Augen, feines Zittern der Finger, klopfendem Kopfschmerz, unangenehmer Empfindung des beschleunigten Pulses / Extrasystolen, anderen Herzbeschwerden ohne organischen Befund, Magenbeschwerden, Durchfall, Impotenz oder Obstipation einhergehen (Tölle & Windgassen 2009).

Abb.4 Symptome Somatoformer Störungen
Quelle: (Möller et al. 2005:256)

21.3 Somatisierungsstörungen

Diagnose nach ICD-10 F und DSM-5 Code 300.82
Die Patienten klagen meistens über organische Beschwerden, bei denen oft ein Befund ohne Hinweis auf organische Erkrankung vorliegt und psychische Störungen im Hintergrund stehen. Wie bei Deister erwähnt, besteht eine Wechselwirkung zwischen psychischer Störung und Körperorganen. Folgende bekannte Formen dieser Störung existieren:
– hypochondrische Störung
– somatoforme Schmerzstörung
– Somatisierungsstörung (Möller et al. 1996)

Für Deister (2005) leiden Menschen mit Somatisierungsstörungen viel eher an Depressionen und Angst. Die meisten dieser psychischen Erkrankungen unterschiedlichen Schweregrades müssen nicht extra diagnostiziert werden. Sollten die Beschwerden aber lange Zeit bestehen, ist die Erstellung einer Diagnose notwendig.

21.4 Zur hypochondrischen Störung

Diese Störung geht mit übermäßiger Angst und Befürchtung, dass eine schwere körperliche Belastung vorliege könnte einher, obwohl keine organischen Ursachen vorliegen. In Wirklichkeit leiden zirka 14% der Patienten von Hausärzten an einer hypochondrischen Störung, darunter sind Männer und Frauen etwa gleich stark betroffen (Möller et al. 1996).
Die Patienten verlangen immer wieder nach Untersuchungen, um sich die Symptome ihrer Krankheiten vom Arzt bestätigen zu lassen und neigen zu übertriebenem Medikamenten-missbrauch (Dilling et al. 2008). Bei somatoformer Schmerzstörung fühlen Betroffene dauerhaft quälenden Schmerz, der physiologisch nicht erklärbar ist. Dieser Schmerz wird durch emotionale und psychosoziale Komponenten ausgelöst. Selbst bei psychischen Störungen, wie Angststörung, können Symptome wie Migräne und Muskelverspannungen, Grund für erhöhtes Schmerzbefinden bei den Betroffenen sein (Dilling et. al 2008).
Bei den sogenannten somatoformen Störungen leiden alle funktionellen Körperorgane. Man kann die Konversionsstörungen als Teil der somatoformen Störungen sehen. Es liegt eine Vielzahl an körperlichen Symptomen vor, die seit mehreren Jahren bestehen und ebenfalls ohne organische Befunde nachgewiesen wurden. Sie betreffen bis zu 10% der Patienten bei praktischen Hausärzten, wobei es fast nur Frauen sind, die diesen Kriterien der Störung entsprechen. Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen liegt dabei eins zu zwei (Möller et al. 1996).

Abb.5 Psychosomatische Symptome bei somatischer Depression
Quelle: (Möller et al. 2005:85)

21.5 Somatisierte Depression

Nach Laux ist somatisierte Depression jene depressive Episode, die meistens mit körperlichen Beschwerden als maskierte Depression auftritt. Dies bedeutet, dass sie kein eigenes Krankheitsbild darstellt. Die Diagnose kann man nach Ablauf dieser Beschwerden feststellen. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass medizinische Befunde, zum Beispiel die Gesundheitsuntersuchung, sowie körperliche Untersuchungen und Laborbefunde herangezogen werden müssen (Laux 2011).

21.6 Diagnose und Differenzialdiagnose

Die vegetativen Symptome können vorübergehend auch gesunde Menschen betreffen. Dabei handelt es sich um Angespanntheit, Nervosität, Schlafstörungen, Ermüdbarkeit und Konzentrationsstörungen. Das schließt aber nicht aus, dass eine Diagnose für somatoforme Erkrankungen vorliegt. Merkmale für die Diagnose einer somatoforme Störung sind die Entstehung einer Vielzahl an körperlichen Symptomen, wobei kein organischer Befund vorliegt. Die psychischen Symptome liegen im Vordergrund, etwa depressive Verstimmung und Angst (Möller et al. 1996).
Die Gefahr während der Differentialdiagnose einer organischen Störungen eine echte körperliche Krankheit zu entwickeln, ist bei jenen Patienten, die an chronischen Somatisierungsstörungen leiden, genauso hoch wie bei allen anderen Personen ihres Alters auch. Der Arzt entschließt sich dann zu zusätzlichen Beratungen oder Untersuchungen, wenn die Patienten über ständige Veränderungen ihrer Beschwerden klagen und deshalb eine echte körperliche Krankheit befürchtet werden muss. Ängstliche Störungen, sowie affektive und depressive Beschwerden können als Begleiterscheinungen bei Somatisierungsstörungen auftreten (Dilling et al. 2008).

21.7 Diagnose nach ICD-10 F

Nach ICD-10F können folgende Feststellungen klassifiziert werden:
1.) unbedingte Ablehnung der Fachmeinung von Ärzten, dass die Symptome der Patienten nicht körperlich wären
2.) es muss seit mindestens zwei Jahren eine Vielzahl körperlicher Symptome bestehen, bei denen kein Organbefund vorliegt
3.) Störung familiärer und sozialer Beziehungen aufgrund der Erkrankung
Bei den betroffenen Patienten können jederzeit auch organische Erkrankungen auftreten (Möller et al. 1996). Dabei ist festzustellen, dass nicht nur die multiplen Symptome, sondern vor allem der Mensch als Ganzheit physischer und psychischer Komplexität zu betrachten.

21.8 Therapeutische Ziele

Es ist wichtig, den Patienten zu helfen, um herauszufinden woher die Beschwerden kommen und außerdem die Ursache der Symptome anzunehmen und zu verstehen, sowie die Beeinträchtigung aus familiären und sozialen Kontakten geringzuhalten. Des Weiteren ist darauf zu achten, dass die Dosis der verschriebenen Medikamente niedrig bleibt und es nicht zu Medikamentenmissbrauch kommt. Relevantes Ziel der Therapie ist die Verringerung der medizinischen Maßnahmen und Vermeidung von Operationen. Bei tiefenpsychologisch orientierten Methoden, so wie der Psychoanalyse, ist es die Aufdeckung der Ursache psychischer Störungen und deren Bearbeitung. Dabei soll der Fokus auf den Missbrauch von Medikamenten gerichtet werden. Den Patienten muss bewusst gemacht werden, dass die Nebenwirkungen der Medikamente sensibel zu betrachten sind. Die psychotherapeutische Behandlung soll für lange Zeit angesetzt werden und möglichst kontinuierlich sein, um die Möglichkeit einer vertrauensvollen und tragfähigen Beziehung zwischen Therapeut und Patienten zu bieten (Möller et al. 1996). In psychoanalytischen Verfahren, der Neurosenlehre der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, so wie bei Bräutigam et. al. wird betont, dass mehrere körperliche Symptome sich als Konversionsstörung zeigen können. Es kann nicht nur Stress alleine zur Erkrankung führen, sondern noch viel eher die Umweltbelastung, sowie psychosoziale Komponenten, da die Betroffenen auf Belastungen oft so sensibel reagieren, dass sie überfordert sind. Hier spielt die Psychotherapie eine wesentliche Rolle für die Genesung (Bräutigam et al. 1992).

21.9 Weitere Aspekte der Psychotherapie für Angehörige

Bei den Angehörigen stellen Information und Aufklärung über die Krankheiten und möglichste Unterstützung durch Entspannungstechniken, die Entlastung von Sorgen und Ängsten durch abgefangene Affekte dar, um eine präzise Lösung zu finden. Durch Angstabbau bei betroffenen hypochondrischen Patienten kann sehr viel Positives erreicht werden. Wie Ermann beschreibt, können Veränderung im Leben Grund für Ängste sein, wie etwa die Angst, alleingelassen zu werden, Angst vor Spitälern oder im Alltag, sowie Kränkungen und Belastungen, welche die vegetative Steuerung von Körpersymptomen beeinflussen. Bei akutem psychischem Zustand sollte die Verabreichung von Psychopharmaka in Erwägung gezogen werden (Ermann 2004).

22 Literatur

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